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3D-Brille für topologisches Quantenmaterial

18.07.2023

Einem internationalen Wissenschaftsteam ist es gelungen, ein Merkmal topologischer Materialien experimentell zu bestätigen. Beteiligt waren die Uni Würzburg und die Uni Dresden mit ihrem Exzellenzcluster ct.qmat.

Mit Röntgenstrahlen (im Bild grün) haben Forschende auf dem Kagome-Metall TbV6Sn6 Effekte wie im 3D-Kino erzeugt. So ist es gelungen, dem Verhalten von Elektronen (im Bild blau und gelb) auf die Spur zu kommen.
Mit Röntgenstrahlen (im Bild grün) haben Forschende auf dem Kagome-Metall TbV6Sn6 Effekte wie im 3D-Kino erzeugt. So ist es gelungen, dem Verhalten von Elektronen (im Bild blau und gelb) auf die Spur zu kommen. (Bild: Jörg Bandmann/ct.qmat)

Sie gelten als Hoffnungsträger für energiesparende Elektronik und die Hightech der Zukunft: Topologische Quantenmaterialien. Eine ihrer Eigenschaften ist die Leitung von spinpolarisierten Elektronen auf ihrer Oberfläche – und das, obwohl sie in ihrem Inneren eigentlich nichtleitend sind. Zur Einordnung: Bei spinpolarisierten Elektronen ist der Eigendrehimpuls, also der Drehsinn der Teilchen (Spin), nicht rein zufällig ausgerichtet.

Um topologische Materialien von herkömmlichen zu unterscheiden, untersuchte man bisher ihre Oberflächenströme. Die Topologie der Elektronen ist jedoch eng mit ihren quantenmechanischen Welleneigenschaften und ihrem Drehsinn verknüpft. Diesen hat man nun direkt mittels photoelektrischem Effekt nachgewiesen. Dabei werden Elektronen mithilfe von Licht zum Beispiel aus einem Metall gelöst.

Per „3D-Brille“ Topologie der Elektronen sichtbar machen

„Weil sich Elektronen und Photonen quantenmechanisch sowohl als Welle als auch als Teilchen beschreiben lassen, können Elektronen einen Drehsinn besitzen – und der kann dank des photoelektrischen Effekts gemessen werden“, erläutert Prof. Giorgio Sangiovanni, Gründungsmitglied von ct.qmat am Standort Würzburg, der zu den theoretischen Physikerinnen und Physikern im Projekt gehört. „Dafür haben wir zirkular polarisiertes Röntgenlicht verwendet – also Lichtteilchen, die einen Drehmoment besitzen. Wenn ein rechtsdrehendes Photon auf ein Elektron mit linkem Drehsinn trifft, so löschen sich ihre Drehsinne gegenseitig aus. Das Elektron wird nicht freigesetzt. Anders verhält es sich, wenn Elektron und Photon den gleichen Drehsinn aufweisen. Das Signal für links- und rechtspolarisierte bzw. -ausgerichtete Strahlung ist bei Elektronen mit starkem Drehsinn unterschiedlich. Daher kann man sich dieses Experiment vorstellen wie eine Polarisationsbrille im 3D-Kino – auch hier werden unterschiedlich ausgerichtete Strahlen eingesetzt. Unsere ‚3D-Brille’ macht die Topologie der Elektronen sichtbar.“

Unter Federführung des Würzburg-Dresdner Exzellenzclusters „ct.qmat – Komplexität und Topologie in Quantenmaterialien“ sei es erstmals gelungen, ein solches Experiment samt theoretischer Beschreibung zu verwirklichen sowie Quantenmaterialien topologisch zu charakterisieren, so Sangiovanni. Dabei kam ein Teilchenbeschleuniger zum Einsatz. „Den Synchrotron-Teilchenbeschleuniger benötigen wir, um dieses spezielle Röntgenlicht zu erzeugen und den 3D-Kinoeffekt zu erzielen.“  

Quantenmaterial, Teilchenbeschleuniger, Supercomputer

Insgesamt drei Jahre haben die Forschenden bis zum Erfolg gebraucht. Als Ausgangsstoff wählten sie das Kagome-Metall TbV6Sn– ein Quantenmaterial. Bei dieser besonderen Materialklasse weist das Atomgitter eine Mischung aus Dreiecks- und Honigwabengitter auf. Diese Struktur erinnert an ein japanisches Korbgeflecht. Kagome-Metalle spielen in der Materialforschung von ct.qmat eine wichtige Rolle. „Bevor unsere experimentell tätigen Kolleginnen und Kollegen das Experiment am Synchrotron durchführen konnten, mussten wir die Ergebnisse simulieren. So haben wir sichergestellt, dass wir der richtigen Spur folgen. Wir haben also zunächst theoretische Modelle entwickelt und am Supercomputer berechnet“, so der theoretische Physiker und Projektleiter Dr. Domenico di Sante, assoziiertes Mitglied des Würzburger Sonderforschungsbereichs (SFB) 1170 „ToCoTronics“. Die Messergebnisse entsprachen der Theorie, damit konnten die Forschenden die Topologie der Kagome-Metalle sichtbar machen und nachweisen.

Internationales Forschungsnetzwerk

An dem Forschungsprojekt waren internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Italien (Bologna, Mailand, Triest, Venedig), Großbritannien (St. Andrews), den USA (Boston, Santa Barbara) und Würzburg beteiligt. Der Supercomputer für die Simulationen befindet sich in München, die Synchrotron-Experimente wurden in Triest durchgeführt. „Die Forschungsergebnisse sind ein Paradebeispiel dafür, was theoretische und experimentelle Physik gemeinsam leisten können“, so Sangiovanni.

Publikation

Flat band separation and robust spin Berry curvature in bilayer kagome metals. Domenico Di Sante, Chiara Bigi, Philipp Eck, Stefan Enzner, Armando Consiglio, Ganesh Pokharel, Pietro Carrara, Pasquale Orgiani, Vincent Polewczyk, Jun Fujii, Phil D. C. King, Ivana Vobornik, Giorgio Rossi, Ilija Zeljkovic, Stephen D. Wilson, Ronny Thomale, Giorgio Sangiovanni, Giancarlo Panaccione & Federico Mazzola. Nature Physics (2023). DOI: 10.5281/zenodo.7787937. https://www.nature.com/articles/s41567-023-02053-z

Kontakt

Prof. Dr. Giorgio Sangiovanni, Institut für Theoretische Physik und Astrophysik der Uni Würzburg, sangiovanni@physik.uni-wuerzburg.de, t: +49 931-3189100

Von Katja Lesser / TU Dresden

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