450. Todestag des Humanisten Joachim Camerarius
09.04.2024Eine Arbeitsgruppe am Zentrum für Philologie und Digitalität der Universität Würzburg macht die Schriften des Bamberger Humanisten erstmals digital zugänglich.
Vor 450 Jahren, am 17. April 1574 starb Joachim Camerarius der Ältere, Professor für Latein und Altgriechisch an der Universität Leipzig. Heute gilt er als einer der bedeutendsten deutschen Humanisten. An der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg wird das Werk des gebürtigen Bambergers seit 2017 erforscht. Das Projekt „Camerarius digital“ stellt zum 450. Todesjahr erstmals alle seine Schriften in digitaler Form zusammen; ein ausführliches Online-Lexikon ordnet die Texte in den historischen Kontext ein.
Ein Lexikonartikel gab den Anstoß
Das aktuelle Projekt baut auf dem vorherigen auf: „2009 wurde ich gebeten, einen Lexikoneintrag über Joachim Camerarius zu schreiben,“ erinnert sich Joachim Hamm, Professor für Deutsche Philologie an der Universität Würzburg. „Ich habe dabei schnell gemerkt, dass es hier eine riesige Forschungslücke gab: Camerarius‘ Name war Forschenden bekannt und an seiner herausragenden Bedeutung bestand kein Zweifel. Doch einen Überblick über sein Werk hatte damals niemand.“
Gemeinsam mit Thomas Baier, Professor für lateinische Philologie, und dem Medizinhistoriker Dr. Ulrich Schlegelmilch stellte Hamm 2017 das Projekt „Opera Camerarii“ auf die Beine, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert wurde. Das Ergebnis des Projekts ist das „Camerarius-Wiki“, das seit Ende 2019 frei zugänglich ist. Die Datenbank umfasst einen Katalog von zurzeit rund 1.000 Werken und über 2.000 Briefen, Zusammenfassungen und Analysen zu den einzelnen Texten sowie Informationen zu relevanten Personen, Organisationen und Orten. Doch die Würzburger wollten mehr.
Camerarius im Kontext
„Das erste Projekt hat wichtige Grundlagenarbeit geleistet. Doch letztlich handelte es sich dabei um eine Bestandsaufnahme,“ sagt Mitanträger Thomas Baier. „Das Ergebnis von ‚Opera Camerarii‘ war ein Katalog von Einzelwerken. Für ein tieferes Verständnis von Camerarius‘ Werk müssen wir dieses jedoch im größeren Kontext seines Lebens und des 16. Jahrhunderts allgemein sehen. Daher waren wir uns schnell einig, dass es ein zweites Projekt braucht, um die im Camerarius-Wiki gesammelten Daten umfassend auszuwerten.“
Wieder übernahm die DFG die Förderung: Im Oktober 2021 startete „Camerarius digital“; als eines der ersten zog das Team 2023 in das neu eröffnete Zentrum für Philologie und Digitalität am Hubland ein.
Ziel des Projekts ist die Erforschung der Hintergründe von Camerarius‘ Gesamtwerk. Erstmals sollen Schriften des Humanisten dafür vollständig digitalisiert und als Lesetext online verfügbar gemacht werden. Dafür holte die Gruppe Frank Puppe mit ins Boot, Professor für Informatik, der mit seinem Team eine neue Software zur automatischen Texterkennung entwickelt hat. „Zu transkribieren sind etwa 20.000 Seiten,“ so Puppe. „Ohne maschinelle Hilfe wäre das in so kurzer Zeit kaum möglich.“
Die Philologen widmen sich unterdessen der Kontextualisierung von Camerarius‘ Werk: Neue Einträge im Camerarius-Wiki analysieren ganze Korrespondenzen mit einzelnen Briefpartnern und ordnen die Briefe in den größeren Zusammenhang ein. Ein digitales Lexikon, das CamLex, bietet Kontext zu Camerarius‘ Werk: Ausführliche Artikel zu einzelnen Wissensgebieten wie Mathematik, Medizin, Astrologie und Naturkunde werden im Camerarius-Wiki publiziert. Sie verorten Camerarius‘ Schriften in seiner Biografie und den Wissenslandschaften des 16. Jahrhunderts und bieten so Hintergrundinformationen zu den einzelnen Werken und Briefen.
Das handschriftliche Werk bleibt bisher unberücksichtigt
Zu Projektabschluss im Dezember wird das Wiki neben den bisherigen Tausenden von Seiten für einzelne Werke, Briefe, Personen und Orte weitere umfangreiche Einträge zu Korrespondenzen und Wissensfeldern umfassen. Daneben werden Camerarius‘ Schriften in einem separaten Viewer als Volltext dargeboten. Das Wirken des Bamberger Humanisten wird damit so detailliert beleuchtet werden wie noch nie. Die Würzburger Arbeitsgruppe blickt indessen bereits in die Zukunft: Denn es bleibt noch viel zu tun.
„Die beiden bisherigen Projekte erforschen systematisch nur den Teil von Camerarius‘ Werk, der vor dem Jahr 1700 im Druck erschienen ist,“ sagt Medizinhistoriker Ulrich Schlegelmilch, Mitantragsteller beider Camerarius-Projekte. In den letzten Jahren hat er sich einen gründlichen Überblick über die nur handschriftlich überlieferten Texte des Camerarius verschafft. „Ein großer Teil gerade der Briefe wurde nie in gedruckter Form publiziert.“
Und Latinistikprofessorin Marion Gindhart, Forscherin in beiden Camerarius-Projekten und Herausgeberin des im Januar erschienenen Bandes „Camerarius im Kontext. Konstellationen und Diskurslandschaften des 16. Jahrhunderts“, berichtet: „Bei der Arbeit am CamLex ziehen wir teils auch handschriftliche Texte hinzu. Die dadurch gewonnenen Einsichten sind jedes Mal von unschätzbarem Wert; eine systematische Durchsicht können wir aber im Rahmen des aktuellen Projekts nicht leisten. Man kann nur ahnen, welche Schätze das noch zu Tage bringen würde.“ Einen ersten Einblick in das hier schlummernde Potenzial bietet der ungedruckte Briefwechsel des Humanisten mit Medizinern seiner Epoche, der in dem ebenfalls in Würzburg arbeitenden Langzeitprojekt „Frühneuzeitliche Ärztebriefe“ eine erste Dokumentation erfahren hat.
Kontakt
Alexander Hubert, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt „Camerarius digital“, alexander.hubert@uni-wuerzburg.de
Projektteam, Tel.: (0931) 31-82821, digital@camerarius.de
Projektteam
Leitung: Prof. Thomas Baier (Latinistik), Prof. Joachim Hamm (Germanistik), Prof. Frank Puppe (Informatik), Dr. Ulrich Schlegelmilch (Geschichte der Medizin)
Projektmitarbeiter: Norbert Fischer (Informatik), Prof. Marion Gindhart (Latinistik), Vinzenz Gottlieb (Geschichte der Medizin), Alexander Hubert (Latinistik)