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Alarmzeichen Fettleber

12.04.2022

Bei jedem fünften Fettleber-Betroffenen kommt es zu Entzündungen. In einer Würzburger Patientenkohorte werden dazu Daten von tausend Betroffenen gesammelt, um Risikoeinschätzung und Therapie zu verbessern.

Monika Rau und Andreas Geier vom Universitätsklinikum Würzburg begrüßen die 1.000 Patientin in der Würzburger Patientenkohorte zum Thema Fettleber.
Monika Rau und Andreas Geier vom Universitätsklinikum Würzburg begrüßen die 1.000 Patientin in der Würzburger Patientenkohorte zum Thema Fettleber. (Bild: Uniklinikum Würzburg)

Laura Caracci* ist die tausendste Patientin in der Würzburger Patientenkohorte zu Steatosis hepatis, der Fettleber. Sie war in letzter Zeit oft müde und hatte ein merkwürdiges Druckgefühl im Bauch. Glücklicherweise hat sie einen aufmerksamen Hausarzt, der sie gründlich untersucht und beim Abtasten des Bauches eine vergrößerte Leber entdeckt hat. Eine Ultraschalluntersuchung bestätigte den Verdacht. Laura Caracci hat eine nicht-alkoholische Fettlebererkrankung, kurz NAFLD genannt. Sie steht für jeden vierten Menschen auf dieser Welt.

Wenn gut ein Viertel der Allgemeinbevölkerung betroffen ist, scheint die Fettleber ja nicht so schlimm zu sein, denken viele. „Doch diese Bagatellisierung ist fatal“, mahnt Professor Andreas Geier, Leiter der Hepatologie am Universitätsklinikum Würzburg (UKW). Denn bei jedem fünften Betroffenen entzündet sich die Leber. Aus der nicht-alkoholischen Fettleber wird eine nicht-alkoholische Fettleber-Entzündung (NASH). Und die Entzündung, auch bekannt als Hepatitis, kann schwerwiegende Folgen haben. Das Lebergewebe wird durch hartes narbiges Bindegewebe ersetzt und vernarbt. Aufgrund der so genannten Fibrose können die Leberzellen ihre zahlreichen Stoffwechsel- und Entgiftungsfunktionen nur noch eingeschränkt wahrnehmen. Die Leber kann sich schließlich bis zu einer Zirrhose verhärten und Krebs entwickeln.

Mehr Bedarf an Transplantationen, weniger Spenderorgane

Eine US-amerikanische Studie, die Patientinnen und Patienten mit nicht-alkoholischer Fettlebererkrankung am häufigsten auf der Warteliste von Lebertransplantation sieht, sollte uns Geier zufolge alarmieren. Zum Glück hinke Europa eine Dekade hinterher. „Doch die Welle rollt auch auf uns zu“, gibt Geier zu Bedenken. Nach Modellierungen, die das Würzburger Leberzentrum mit internationalen Kooperationspartnern für Deutschland aufgestellt haben, wird sich die Zahl der Zirrhose-PatientInnen in den nächsten zehn Jahren mehr als verdoppeln.

Übersetzt heißt das, dass sich auch die Zahl der Transplantationskandidatinnen und Kandidaten duplizieren wird. Demgegenüber stünde die sinkende Zahl an Spenderorganen. Die Zahl der Lebertransplantationen ist bundesweit eingebrochen. „Diese gegenläufigen Entwicklungen machen uns große Sorgen“, klagt Geier. Wer auf der Liste steht hat ohne Transplantation eine Lebenserwartung von unter zwei Jahren. Ein Funktionsersatz wie ein künstliches Herz oder eine Dialyse gibt es für die Leber nicht.

Mit Zahl der Übergewichtigen steigt die Zahl der Fettleber-Patienten

Wie kommt es zu diesem rapiden Anstieg an Fettleberpatienten? „Weil immer mehr Menschen unter Übergewicht und Fettleibigkeit leiden“, lautet die simple Antwort des Leberspezialisten. In Deutschland sind rund zwei Drittel der Männer und die Hälfte der Frauen übergewichtig, ein Viertel der Erwachsenen sind stark übergewichtig. Die Folgen sind zu viel Bauchfett, Bluthochdruck, Diabetes und Fettstoffwechselstörungen. In der Fachsprache wird diese Kombination metabolisches Syndrom bezeichnet, im Volksmund aufgrund des erhöhten Risikos für Gefäßerkrankungen auch tödliches Quartett. In seltenen Fällen ist eine Fettleber genetisch bedingt.

Vorbeugen ließe sich also durch eine Umstellung der Ernährung und Bewegung. Doch diese Lebensstiländerung ist leichter gesagt als getan. „Selbst Betroffene, die wissen, dass ihre Leber in Gefahr ist, schaffen es selten, abzunehmen und ihr Normalgewicht langfristig zu halten“, weiß Monika Rau aus Erfahrung. Die Oberärztin hat den Forschungsschwerpunkt Fettleber am UKW von Beginn an mitgeprägt und vor zehn Jahren gemeinsam mit Andreas Geier die Würzburger Patientenkohorte zur Fettleber aufgebaut, die inzwischen eine der größten NAFLD-Kohorte in Deutschland und Europa ist.

Studien haben gezeigt: Wenn Patientinnen und Patienten zehn Prozent an Gewicht verlieren, können die Vernarbungen und die damit einhergehenden histologischen Veränderungen der NAFLD zurückgehen. „Eine Gewichtsabnahme ist sicherlich die archaistische und intuitivste Form der Therapie, Stand heute aber auch die einzige Therapie der NAFLD“, bemerkt Geier. „Zur Behandlung der Fettleber gibt es bislang noch keine zugelassenen Medikamente. Dieses fulminante Problem wurde lange nicht erkannt.“

Unterschiedliche Medikamentenklassen befinden sich in klinischer Prüfung

Inzwischen hat auch die Pharmaindustrie den Ernst der Lage erkannt und arbeitet mit Hochdruck an verschiedenen Wirkstoffklassen zur medikamentösen Therapie der NASH. Einige Arzneimittel sind in der Phase III der Entwicklung. Das heißt, sie werden in klinischen Studien an einer größeren Patientengruppe auf Wirksamkeit und Verträglichkeit getestet.

Die NASH-Patientinnen und Patienten aus der Würzburger Patientenkohorte haben die Möglichkeit an nahezu allen relevanten Phase 2 und 3 Studien teilzunehmen, sofern das Profil passt. „Wir haben ein gutes Portfolio aus unterschiedlichen Medikamentenklassen. Einige gehen in den Stoffwechsel, andere in die Entzündung“, sagt Geier, der mit seinem Team bei vielen Studien die deutschlandweite Leitung innehat. Äußerst attraktiv seien bei diesem komplexen pathophysiologischen Krankheitsbild Kombinationen aus verschiedenen Wirkstoffen. Geier hofft, dass in den nächsten zwei bis drei Jahren Optionen auf den Markt kommen.

Forschung nach Biomarker für bessere Diagnostik

Ebenfalls mit Hochdruck wird an der Verbesserung der Diagnostik gearbeitet. Erstens wissen viele Betroffene gar nicht, dass sie eine Fettleber haben. Man spürt sie nicht. Der Schmerz der vernarbten Leber ist die Müdigkeit. Dieser unspezifische Leistungsknick kann jedoch viele Ursachen haben. Zweitens muss ein besserer Biomarker her. „Auf die bisherigen Leberwerte aus dem Labor können sie sich überhaupt nicht verlassen“, betont Geier. „Das sage ich auch immer meinen Studierenden.“ Die Routine-Leberwerte GOT und GPT sagen oft nichts über den Zustand der Leber aus. Die können sogar bei einer völlig zerstörten Leber normal sein.

Vor diesem Hintergrund fördert die EU das Biomarker-Konsortium LITMUS NAFLD mit mehr als 40 Millionen Euro. In dem Konsortium, an dem auch das Würzburger Zentrum maßgeblich beteiligt ist, laufen mittlerweile europaweit große wissenschaftliche Projekte, um neue einfache und breit verfügbare Biomarker zu entwickeln, die sowohl eine Fettleber als auch eine drohende Entgleisung der Erkrankung anzeigen. Bis dahin bleiben Behelfslösungen mit kombinierter Laboruntersuchung und Ultraschall. Und wenn diese in der Praxis regelmäßig angewendet werden, dann sei laut Monika Rau schon viel erreicht.

Risikostratifizierung durch den Hausarzt

Monika Rau rät allen Allgemeinmedizinern, insbesondere Risikopatientinnen und Patienten wie Übergewichtige und Diabetiker regelmäßig auf die Entwicklung einer NAFLD zu screenen. Dazu gehört erstens das Abtasten, denn Fett vergrößert die Leber, und zweitens ein Ultraschall der Leber. „Ist im Ultraschall eine Leberverfettung zu sehen, sollte unbedingt eine Risikostratifizierung vorgenommen werden. Eine reine Verfettung ist nicht mit einer erhöhten Sterblichkeit verbunden. Relevant sind die Entzündung und damit verbunden die Vernarbung.

Die Frage ist: Gehört der Patient oder die Patientin zu den 20 Prozent, die ein erhöhtes Risiko für eine Fibrose, Zirrhose oder Krebs entwickeln? Konkret: Hat er oder sie viel Bauchfett oder Diabetes? Wenn ja, sollte er oder sie zum Spezialisten, um den Zustand der Leber mittels Fibroscan oder Biopsie beurteilen zu lassen. Wenn nein, sollte er oder sie unbedingt in der Primärversorgung bleiben und die Leberfunktion alle zwei bis drei Jahre kontrollieren lassen.“

Fibroscan-Sprechstunde am UKW

Das UKW bietet seit zwei Jahren im Rahmen eines Modelprojekts eine Fibroscan-Sprechstunde an. Bei diesem Spezial-Schall, der in Deutschland derzeit noch viel zu selten zum Einsatz kommt und nicht von der Krankenkasse vergütet wird, werden die Steifigkeit der Leber und der Verfettungsgrad gemessen. Anhand der Vernarbung können Rückschlüsse auf eine Entzündung gezogen werden, die bei konkretem Verdacht mittels einer Gewebeprobe, Biopsie, bestätigt werden kann. Denn eine Entzündung an sich kann mittels Fibroscan nicht festgestellt werden. „Ohne Gewebeprobe messen wir die Entzündung an den Spätfolgen, der Vernarbung. Das ist wiederum fatal. Denn mit einer bloßen Entzündung und wenig Vernarbung kann bereits der ganze Körper Schaden nehmen. Viele kardiovaskuläre Risiken sind durch Leberentzündungen erhöht“, schildert Geier.

Betroffene und Wissenschaft profitieren von Würzburger Kohorte

Personen mit einer entzündeten Fettleber (NASH) sind also Risikopatientinnen und Patienten, auch für Herz-Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen. Diese haben auch und vor allem die Möglichkeit, sich im Rahmen der Würzburger Fettleberkohorte eingehend betreuen zu lassen. Während die NAFLD-Betroffenen mit reiner Verfettung nur alle zwei bis drei Jahre zur Untersuchung kommen, werden die NASH-Betroffenen in der Regel alle sechs Monate einbestellt.

In der Beobachtungsstudie werden sämtliche Veränderungen erfasst, Medikationen erhoben sowie Daten und Biomaterialen gesammelt und ausgewertet. „Die Kohorte hilft uns dabei, die Entstehung und Entwicklungen der Fettleberbedingten Krankheiten noch besser verstehen und Ansätze für Diagnostik und Behandlung finden“, erklärt Monika Rau. „Wir haben zum Beispiel gelernt, ab welchem Steifigkeitsgrad man PatientInnen zur Biopsie schicken sollte. Und wir haben Immunzellen im Blut gefunden, die auf eine Leberentzündung hindeuten. Auch die Darmbakterien wurden unter die Lupe genommen. Sie sind dafür verantwortlich, wie viel Energie wir durch die Nahrungsbestandteile, die im Darm ankommen, aufnehmen. Schlanke Menschen haben andere Darmkeimzusammensetzungen als Übergewichtige.“ Und da wie bei allen metabolischen Erkrankungen die Ernährung ein großer Faktor ist, erhalten nun auch alle Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer einen sehr ausführlichen Ernährungsfragebogen. Das Studienteam gibt jedem eine individuelle Rückmeldung zur Ernährung. Darüber hinaus verwerten sie die Daten für wissenschaftliche Fragestellungen. Eine Ernährungsinterventionsstudie ist in Planung.

Es kommen immer neue wissenschaftliche Fragstellungen, die im Rahmen der Kohorte und dank der inzwischen tausend Beteiligten beantworten werden könnten. Monika Rau hat gerade das achte Amendment bei der Ethikkommission eingereicht. „Das ist ein kontinuierlicher Lernprozess für uns Ärztinnen und Ärzte“, sagt sie. „Eine Win-win-Situation. Die Wissenschaft profitiert von den neuen Erkenntnissen, die Patientinnen und Patienten profitieren davon, dass die neuen Entwicklungen rasch im Alltag ankommen, und die Studienteilnehmerinnen und Teilnehmer profitieren von den vorzeitigen Therapieoptionen und der intensiven Betreuung.“ Wie Laura Caracci. Bei ihr hat der Fibroscan bereits erste Vernarbungen gezeigt.

*Name der Patientin wurde geändert.

Von Pressestelle Universitätsklinikum Würzburg

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