Alltagskultur in ihrer ganzen Vielfalt
14.11.2017Imkerei in der Großstadt, Menschen und Wölfe, Populärkultur in Europa: Die Europäische Ethnologie/Volkskunde bietet ein weites Forschungsfeld. An der Uni Würzburg wird das Fach seit Oktober von der neuen Lehrstuhlinhaberin Michaela Fenske vertreten.
In Deutschland gibt es seit einigen Jahren wieder wildlebende Wölfe. Das führt regelmäßig zu Ängsten in der Bevölkerung und zu kontroversen Diskussionen zwischen Naturschützern, Tierhaltern und Jägern. Mit der Rückkehr der Wölfe befasst sich auch Michaela Fenske, die seit 1. Oktober 2017 den Lehrstuhl für Europäische Ethnologie/Volkskunde an der Universität Würzburg innehat. Das von ihr beantragte und geleitete Projekt wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert.
Michaela Fenske und das Team des Projekts, zwei Promovierende und eine wissenschaftliche Hilfskraft, erforschen dabei unter anderem, welche Dynamiken das Wiederauftauchen der Wölfe in den europäischen Gesellschaften auslöst. Zu dieser Frage bereiten Fenske und ihr Team aktuell eine Tagung vor, die 2018 in der Lausitz stattfinden wird. Dabei kooperiert sie mit dem Sorbischen Institut in der Lausitz, dem Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft der Universität Zürich und weiteren Partnern.
Geschichte und Gegenwart der Alltagskultur
Die Geschichte und Gegenwart der menschlichen Alltagskultur in ihrer gesamten Vielfalt zu analysieren: Darum geht es im Fach der neuen Professorin. In Lehre und Forschung möchte sie ein möglichst breites Themenfeld abdecken, gleichzeitig aber auch Schwerpunkte setzen.
Vier große Schwerpunkte lassen sich bei Michaela Fenske ausmachen: Politik und Ökonomie, Populärkulturforschung, Raumforschung und Green Cultural Studies bzw. Multispecies Ethnography. „Besonderes Augenmerk lege ich auf eine Erforschung regionaler Kulturen, auch in ihrer historischen Dimension“, erklärt sie.
Ein weites Feld also, mit dem sich die Professorin beschäftigt.
Publiziert hat sie bislang beispielsweise über ökonomische und soziale Praktiken unter den Bedingungen des Wirtschaftens im 17. und 18. Jahrhundert: Ihre Dissertation von 2006 trägt den Titel „Marktkultur in der Frühen Neuzeit“.
In ihrer Habilitation (2013) warf sie einen Blick auf Formen politischen Engagements, die weniger bekannt sind. Dabei konzentrierte sie sich auf Bürgerbriefe und Petitionen aus den ersten drei Jahrzehnten des Bestehens der Bundesrepublik Deutschland.
„In der Populärkulturforschung interessieren mich unter anderem spätmoderne Inszenierungen von Geschichte in unterschiedlichen Medien und Praxisformen“, so Fenske. Auf diesem Gebiet befasst sie sich zum Beispiel mit filmischen Darstellungen historischer Lebenswelten, aber auch mit Events wie den Biedermeiermärkten der ostdeutschen Kleinstadt Werben an der Elbe oder Postkutschenreisen in die Zeit des frühen 19. Jahrhunderts.
Mit Wandlungsprozessen in vormodernen Agrargesellschaften befasste sich die Wissenschaftlerin schon in ihrer Magisterarbeit („Ein Dorf in Unruhe“, 1999). Seitdem widmet sie sich immer wieder einer Anthropologie des Ländlichen.
Dabei nimmt sie nicht nur Dörfer in den Blick: Angesichts der Rückkehr der Landwirtschaft in die Städte – Stichwort Urban Gardening – erforscht sie auch Phänomene wie die urbane Imkerei. Damit hat sie sich in den vergangenen drei Jahren am Beispiel der Stadt Berlin intensiv befasst. Das große Interesse an dem „NaturKulturwesen Honigbiene“ verbindet Fenske mit einigen in Würzburg wirkenden Naturwissenschaftlern, unter anderem mit dem Bienenforscher Professor Jürgen Tautz.
Schwerpunkte des Lehrstuhls weiterführen
„Die von meinen Vorgängern am Lehrstuhl erarbeitete profunde Expertise etwa im Bereich der Raumforschung oder der Narrativen Kultur soll weitergeführt und um neue Schwerpunkte aktualisiert werden“, sagt Fenske.
Zu diesem Zweck werde sie in enger Kooperation mit ihren Kolleginnen und Kollegen an der Philosophischen Fakultät und anderen Fakultäten die Schwerpunkte einer Anthropologie des Raumes und einer „Anthropology beyond the Human/Multispecies Ethnography“ aufbauen.
Bei letzterem geht es darum, Menschen als Teil eines Netzwerks des Lebens im Austausch mit Tieren, Pflanzen und der weiteren Umwelt zu betrachten. Typische Forschungsfragen hier sind: Wie leben Menschen und andere Lebewesen zusammen, wie beeinflussen sie sich gegenseitig, und welche Handlungsoptionen gibt es angesichts ökologischer Krisen des frühen 21. Jahrhunderts?
Werdegang von Michaela Fenske
Michaela Fenske, Jahrgang 1966 und in der Nähe von Oldenburg i. Ol. aufgewachsen, hat Europäische Ethnologie/Volkskunde, Empirische Kulturwissenschaft sowie Mittlere und Neuere Geschichte an den Universitäten Göttingen und Tübingen studiert. Als Dozentin sammelte sie vielfältige Erfahrungen in der Lehre an den Universitäten Berlin, Göttingen, Hamburg, Wien und Zürich. Zusätzlich gewann sie wichtige Einblicke ins Wissenschaftsmanagement; sie war unter anderem Geschäftsführerin der Landeskonferenz niedersächsischer Hochschulfrauenbeauftragter.
Nach ihren Tätigkeiten als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lehrbeauftragte forschte sie von Oktober 2014 bis September 2017 als Heisenberg-Stipendiatin der DFG am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität Berlin. Von dort folgte sie zum 1. Oktober 2017 dem Ruf auf den Würzburger Lehrstuhl für Europäische Ethnologie/Volkskunde.
Kontakt
Prof. Dr. Michaela Fenske, Lehrstuhl für Europäische Ethnologie/Volkskunde der Universität Würzburg, T +49 931 31-89921, michaela.fenske@uni-wuerzburg.de