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Alte Objekte, neue Perspektiven

26.06.2018

In einem außergewöhnlichen Seminar erforschen Studierende die Herkunft und Geschichte von Objekten aus Universitätssammlungen. Diese sehr praktische Arbeit bereitet sie auf ihre zukünftige berufliche Tätigkeit vor.

Steinschnittmesser zur Behandlung von Blasensteinen
An einem Steinschnittmesser betreiben Studierende des Seminars „Zum Erkenntnispotential von Objekten: Multiperspektivität und Objekterzählungen“ Provenienzforschung. (Foto: Corinna Russow)

Viele kennen sie noch, zwei kreisrunde Punkte am Oberarm; am eigenen, am Arm der Mutter, des Vaters oder anderer Menschen im Umfeld: Narben einer Pockenimpfung. Für junge Menschen ist es kaum noch nachvollziehbar, dass eine Impfung solche Narben hinterlässt.

Auch die Teilnehmenden des Seminars „Zum Erkenntnispotential von Objekten: Multiperspektivität und Objekterzählungen“ an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) kennen die frühere Art der Pocken-Impfung nicht mehr. Sie sind viel zu jung dafür. Und deshalb erkennen sie vermutlich ein Pocken-Impfset auch dann nicht, wenn es vor ihnen liegt, wie beispielsweise in der Lehrveranstaltung von Nora Halfbrodt.

„In dem Seminar kooperieren wir mit drei verschiedenen Universitätssammlungen, der Medizinhistorischen Sammlung, dem Röntgen Archiv und dem Virchow Archiv“, sagt Nora Halfbrodt, Leiterin des Museologie-Seminars an der JMU. Die Studierenden durften sich zu Beginn des Seminars eine der Sammlungen auswählen und bekamen dann ein Objekt aus dieser Sammlung zugeteilt. „In der Medizin habe ich die Gegenstände zugedeckt auf dem Tisch verteilt, und die Studierenden haben sich zu einem Objekt gesetzt. Da bekam manch eine große Augen, als sie den Gegenstand das erste Mal sah.“

Fragenkatalog gibt Orientierung

Und genau darum geht es in dem Seminar: Die Studierenden sollen so unvoreingenommen wie möglich an das Objekt herangehen und es dann erforschen. Sie stellen Fragen wie: Wie groß ist der Gegenstand? Wo kommt er her? Wer hat den Gegenstand benutzt? Wie hat die Person damit gearbeitet? „Dafür haben wir im Seminar einen langen Fragenkatalog erarbeitet. Nicht jeder kann immer alle Fragen beantworten, aber so haben die Studierenden eine Richtlinie, an der sie sich orientieren können“, sagt Nora Halfbrodt. Ihre Antworten recherchierten die Studierenden aufwendig – im Internet, im Universitätsarchiv, auf den Gegenständen selbst oder mithilfe anderer Unterlagen. „Im Grunde ist es wie eine Schnitzeljagd. Manchmal findet man was und manchmal nicht“, beschreiben die Studierenden selbst ihre Arbeit.

Unter den Gegenständen waren neben dem Pocken-Impfset weitere ausgefallene Objekte: Ein Holzkasten, der sich später als Bülau-Drainage herausstellte und für die Behandlung von Tuberkulose eingesetzt wurde. Oder ein Steinschnitt-Messer, um Blasensteine in einem schmerzhaften Verfahren zu entfernen. Außerdem erforschten die Studierenden einen Schreibtisch von Virchow und eine Ehrenurkunde, die Albert Einstein unterschrieben hat. „Das sind alles spannende Objekte, mit denen wir sonst nicht in Berührung kommen würden“, sagt Halfbrodt.

Die Provenienzforschung

Das Seminar „Zum Erkenntnispotential von Objekten: Multiperspektivität und Objekterzählungen“ gehört zum Masterstudiengang „Sammlung – Provenienz – kulturelles Erbe“, eine Zusammenarbeit von Geschichte, Kunstgeschichte und Museologie. Hier üben die Studierenden, was später ihr beruflicher Alltag sein wird, im Kunsthandel, Museen oder anderen sammlungsbezogenen Institutionen:

Sie betreiben die sogenannte Provenienzforschung. Darunter versteht man die Erforschung der Herkunft und Geschichte von Objekten. Hauptsächlich beziehe sich diese Forschung auf das Ausfindigmachen der rechtmäßigen Eigentümer beschlagnahmter Nationalsozialistischer Raubkkunst, Kunst aus der Kolonialzeit oder der DDR, erklärt Dozentin Halfbrodt. „Ich sehe den Begriff eher weiter: Ich sehe Provenienzforschung als objektgeschichtliche Aufarbeitung. Es gibt so viele spannende Geschichten, die sonst verborgen bleiben. Es wird Zeit, die Geschichten ins Museum zu bringen“, sagt sie.

Das Seminar, das in Kooperation mit Dr. Lisa Regazzoni von der Universität Frankfurt stattfindet, dauert ein Semester und mündet für die Studierenden in einer benoteten Arbeit. „Die Studierenden verfassen über ihr Objekt zwei knackige Texte aus unterschiedlichen Perspektiven. Also zum Beispiel aus der Perspektive eines Patienten, der mit dem Steinschnitt-Messer behandelt wurde, oder aus Sicht von Einstein, der die Urkunde unterschreiben musste“, sagt Halfbrodt. Das sei nicht so einfach. Zwar haben alle Studierenden ein Nebenfach, das ihnen später im Berufsleben helfen kann, doch Medizin studiere keiner der Seminar-Teilnehmenden, sagt Halfbrodt.

Die Texte verwenden Halfbrodt und ihre Studierenden für die Internetseite des Studiengangs. Diese Methode, die Regazzoni mitentwickelt hat, soll neben wissenschaftlichen Informationen auch einen emotionalen Zugang zum jeweiligen Objekt ermöglichen. „Denkbar wäre auch, eine Ausstellung zu organisieren und zu planen“, erklärt die Seminarleitung. Das wäre dann noch näher an der späteren täglichen Arbeit.

Von Corinna Russow

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