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Angriff aus dem Darm

28.03.2023

Darmbakterien sind häufiger Auslöser von Komplikationen nach einer Operation. Das zeigt eine neue Studie von Forschungsteams aus Würzburg und Bern. Eine Lösung für dieses Problem könnte aus der Leber kommen.

Nach einem operativen Eingriff können Bakterien aus dem Darm in den Organismus gelangen. Spezielle Zellen des Immunsystems, die in der Leber ansässig sind, bekämpfen sie.
Nach einem operativen Eingriff können Bakterien aus dem Darm in den Organismus gelangen. Spezielle Zellen des Immunsystems, die in der Leber ansässig sind, bekämpfen sie. (Bild: Mercedes Gomez de Agüero)

Knapp 16 Millionen Operationen haben deutsche Krankenhäuser im Jahr 2021 vorgenommen. In der Schweiz sind es rund 1.1 Millionen. Auch wenn der eigentliche Eingriff gut verläuft, kommt es nicht selten im Anschluss daran zu einer Wundinfektion, die für die Betroffenen dramatische Folgen haben kann. Im Extremfall sind solche Infektionen tödlich.

Eine neue Studie zeigt jetzt: Bei den Verursachern dieser Infektionen handelt es sich in einem Großteil der Fälle um Bakterien aus dem Darm des Patienten selbst. Dafür muss der Darm während der Operation nicht einmal verletzt werden. Auch so überwinden diese Erreger postoperativ die Darmbarriere und verbreiten sich über die Blut- und Lymphbahnen im ganzen Körper. Sie können von speziellen Immunzellen aufgehalten werden, die in allen Organen, auch in der Leber, patrouillieren.

Publikation in Cell Reports

Veröffentlicht wurde diese Studie in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Cell Reports. Gemeinsam dafür verantwortlich sind Professor Guido Beldi, Chefarzt Viszerale Chirurgie der Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin des Inselspitals in Bern, und Dr. Mercedes Gomez de Agüero, Leiterin einer Nachwuchsforschungsgruppe am Institut für Systemimmunologie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU).

„Dass Begleitinfektionen bei invasiven Eingriffen die Sterblichkeit erhöhen, ist seit Langem bekannt. Aus diesem Grund werden umfangreiche Maßnahmen der Hygiene und Asepsis durchgeführt, um Mikroorganismen im Operationsfeld zu eliminieren“, erklärt Guido Beldi. Wie sich jetzt allerdings zeigt, kommt die Gefahr aus einer ganz anderen Ecke: dem Darm des Patienten.

100 Billionen Mikroorganismen leben im Darm

„Im menschlichen Darm leben mehrere hundert Stämme unterschiedlicher Bakterien mit rund einhundert Billionen Mikroorganismen. Sie bilden die natürliche Darmflora, auch Mikrobiom genannt“, erklärt die beteiligte Wissenschaftlerin Gomez de Agüero. Für den Menschen ist ihre Existenz von Vorteil: Sie helfen bei der Verdauung, beseitigen Krankheitserreger und trainieren das Immunsystem. Das gilt jedoch nur so lange, wie diese Bakterien nicht die sogenannte Darmbarriere überwinden und sich im Körper ausbreiten.

Nach einem operativen Eingriff kann allerdings genau dies passieren: „In unserer Studie haben wir die Mikroorganismen analysiert, die bei fast 4.000 Patienten nach einem größeren chirurgischen Eingriff Begleitinfektionen verursacht haben“, erklärt Guido Beldi. Dabei zeigte sich, dass es sich in so gut wie allen Fällen bei den Erregern um Bakterien aus dem Darm des Patienten handelte, wie beispielsweise Enterococcus, Escherichia coli und Clostridium.

Diese sorgten am häufigsten nach Operationen an der Leber, der Bauchspeicheldrüse und den Gallenwegen sowie bei Operationen am Dünn- und Dickdarm für Infektionen. Vor allem Patientinnen und Patienten, die sich einer großen Leberresektion – also der Entfernung großer Teile der Leber – unterziehen mussten, erlitten solch eine Infektion, die den Heilungsprozess deutlich verzögerte.

Wichtige Akteure sitzen in der Leber

Dass die Leber in diesem Infektionsgeschehen tatsächlich eine besondere Rolle spielt, konnten die Forschenden im Mausmodell nachweisen: „Wir wissen, dass spezielle Zellen des Immunsystems, die in der Leber ansässig sind, für die Kontrolle dieser sich ausbreitenden Bakterien und für den Heilungsprozess nach größeren Operationen verantwortlich sind“, sagt Gomez de Agüero. Bei ihnen handelt es sich um eine Gruppe von Lymphozyten, die sogenannten „Innate Lymphoid Cells“ (ILCs), die wichtige Akteure des angeborenen Immunsystems sind.

Gelangen nun über den Blutstrom Bakterien aus dem Darm in die Leber, werden diese ILCs aktiviert und setzen spezielle Botenstoffe frei, wie beispielsweise Interleukin 22, ein Protein, das Immunreaktionen auslösen und regulieren kann. Auf diese Weise regen sie Leberzellen dazu an, antimikrobielle Substanzen zu produzieren. „Damit kontrollieren in der Leber ansässige angeborene lymphatische Zellen die systemische Ausbreitung von Darmbakterien und bekämpfen wirksam Begleitinfektionen nach Operationen“, so die Wissenschaftlerin.

“Die Stärkung der Immunität stellt somit eine sinnvolle prophylaktische und therapeutische Alternativstrategie zu den üblichen antimikrobiellen Therapien dar, um Begleitinfektionen nach Operationen zu verhindern“ schlägt Guido Beldi vor. Zumindest so lange, bis aufgeklärt ist, welche Faktoren dafür verantwortlich sind, dass nach einem operativen Eingriff die Darmbarriere Darmbakterien nicht mehr davon abhält, in das Körperinnere einzudringen. Dieser Fragen will das Forscherteam jetzt nachgehen.

Originalpublikation

ILC3s restrict the dissemination of intestinal bacteria to safeguard liver regeneration after surgery. Manuel O. Jakob, Daniel Spari, Daniel Sanchez-Taltavull, Lilian Salm, Bahtiyar Yilmaz, Remi Doucet Ladeveze, Catherine Mooser, David Pereyra, Ye Ouyang, Theresa Schmidt, Irene Mattiola, Patrick Starlinger, Deborah Stroka, Franziska Tschan, Daniel Candinas, Georg Gasteiger, Christoph S.N. Klose, Andreas Diefenbach, Mercedes Gomez de Agüero, Guido Beldi. Cell Reports, DOI: https://doi.org/10.1016/j.celrep.2023.112269

Das Institut für Systemimmunologie

Das Institut für Systemimmunologie hat seine Wurzeln in der Max-Planck-Forschungsgruppe für Systemimmunologie – einer gemeinsamen Initiative der Universität Würzburg und der Max-Planck-Gesellschaft mit dem Ziel exzellente immunologische Forschung zu fördern. An seiner Spitze stehen die Professoren Wolfgang Kastenmüller, Inhaber des Lehrstuhls für Systemimmunologie I, und Georg Gasteiger, Inhaber des Lehrstuhls für Systemimmunologie II. Rund 50 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus über 20 Ländern arbeiten mittlerweile am Institut für Systemimmunologie. Gemeinsames Ziel ist es, die Grundlagen einer erfolgreichen Immunantwort gegen Infektionserreger, chronisch entzündliche Erkrankungen und Tumore zu verstehen, um neue Konzepte und Strategien für Impfstoffe und Immuntherapien zu entwickeln.

Die Insel Gruppe

Die Insel Gruppe ist die schweizweit führende Spitalgruppe für universitäre und integrierte Medizin. Sie bietet den Menschen mittels wegweisender Qualität, Forschung, Innovation und Bildung eine umfassende Gesundheitsversorgung: in allen Lebensphasen, rund um die Uhr und am richtigen Ort. In der Insel Gruppe werden jährlich über 900.000 ambulante Konsultationen vorgenommen und rund 62‘000 stationäre Patientinnen und Patienten nach den neuesten Therapiemethoden behandelt. Die Insel Gruppe ist Ausbildungsbetrieb für eine Vielzahl von Berufen und wichtige Institution für die Weiterbildung von jungen Ärztinnen und Ärzten. An der Insel Gruppe arbeiten über 12.000 Mitarbeitende (inkl. Lernende).

Kontakt

Prof. Dr. med. Guido Beldi, Chefarzt Viszerale Chirurgie, Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin, Inselspital, Universitätsspital, und Universität Bern, T: +41 31 632 82 75, guido.beldi@insel.ch. Kontakt via Medienstelle: T: +41 31 632 79 25;  kommunikation@insel.ch

Guido Beldis Webseite

Dr. Mercedes Gomez de Agüero, Junior Group Leader, Institut für Systemimmunologie, Julius-Maximilians-Universität Würzburg, T: +49 931 31 80303, mercedes.gomez@uni-wuerzburg.de 

Mercedes Gomez de Agüeros Webseite

Weitere Bilder

Von Gunnar Bartsch

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