Auf die Faltung kommt es an
16.05.2023Ein Forschungsteam am Helmholtz-Institut Würzburg hat untersucht, wie sich Ribonukleinsäure (RNA) faltet. Seine Erkenntnisse liefern mögliche neue antivirale Angriffspunkte bei HIV-1.
HI-Viren (HIV) sind weltweit für Millionen von Infektionen verantwortlich. Die Erreger verursachen die Immunschwächekrankheit AIDS, die seit Ausbruch der HIV-Pandemie in den 1980er-Jahren zu beinahe 40 Millionen Todesfällen geführt hat. Seit Dekaden forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an möglichen antiviralen Therapien, und inzwischen stehen den Infizierten auch wirksame Virostatika zur Verfügung. Allerdings hat erst die Kombination mehrerer, auf unterschiedliche Angriffspunkte gerichtete Medikamente die HIV-Therapie revolutioniert, und es werden laufend neue Arzneien benötigt, um Resistenzen zu überwinden.
Den Viren einen Schritt voraus
„In unserer Studie stellen wir ein mögliches neues antivirales Ziel vor, mit dessen Hilfe wir HIV und anderen potenziell zoonotischen Retroviren einen weiteren Schritt voraus sein können“, sagt Redmond Smyth. Smyth ist Gruppenleiter am Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) in Würzburg, einem Standort des Braunschweiger Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Kooperation mit der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg, und hat die aktuelle Studie geleitet.
„Unsere neue Methode kann die strukturellen Variationen zwischen sehr ähnlichen RNAs unterscheiden – insbesondere auch solche, die durch Spleißen entstanden sind“, erklärt Patrick Bohn, Doktorand in der Forschungsgruppe von Smyth. Der Wissenschaftler ist einer der beiden Erstautoren der Studie, die im Fachmagazin Nature Methods erschienen ist.
Spleißen ist ein biologischer Prozess, der gewissermaßen den in der Vorform einer Boten-RNA enthaltenen genetischen Bauplan einer Zelle präzisiert, damit dieser anschließend in neue Proteine übersetzt werden kann. „In höheren Organismen sorgt Spleißen für Proteinvielfalt, aber unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass es auch zur biologischen Funktion beitragen kann, indem es die RNA-Struktur verändert“, erklärt Patrick Bohn.
Sehr ähnlich und doch anders
Möglich wurde diese Erkenntnis durch die Verbesserung einer Technologie, mit der gemessen werden kann, wie RNA in der Zelle gefaltet ist. Viele Forschende haben bereits versucht, die Strukturen gespleißter und ungespleißter HIV-1-RNA zu untersuchen, allerdings wurde dies meist im Reagenzglas (in vitro) durchgeführt. Während Letzteres nur kurze Sequenzierungsabschnitte erzeugt, hat das Team am HIRI seine neue Methode angewandt, um zu untersuchen, wie das HIV-1-Virus seine RNA in voller Länge für die Verpackung in virale Partikel auswählt.
„Wir haben herausgefunden, dass sich gespleißte RNA in ihrem natürlichen zellulären Kontext anders faltet als im Reagenzglas – eine Entdeckung, die zeigt, wie wichtig es ist, biologische Prozesse sowohl in einer reduzierten Versuchsanordnung, also in vitro, als auch in ihrer komplexen nativen Umgebung zu untersuchen“, sagt Anne-Sophie Gribling-Burrer, Postdoc in der Forschungsgruppe von Smyth und Co-Erstautorin. In der Folge zeigte sich, warum gespleißte Versionen der HIV-1-RNA nicht verpackt wurden. „Gespleißte RNAs besitzen nicht sämtliche Strukturen, die für die virale Verpackung erforderlich sind. Die Veränderung ihrer Struktur stellt also einen Mechanismus der Verpackungsselektivität dar und nimmt damit Einfluss auf die Vermehrung der Viren“, erklärt Anne-Sophie Gribling-Burrer.
„Das Verständnis dieses Mechanismus ist ein wichtiger Schritt bei der Entwicklung neuer antiviraler Mittel gegen ein breites Spektrum an Retroviren“, sagt Redmond Smyth. Darüber hinaus erhoffen sich die Forschenden, dass ihre Methode in Zukunft für zahlreiche Molekularbiologen in ganz unterschiedlichen Bereichen nützlich sein kann.
Fachlicher Hintergrund
Die einzelsträngige RNA kann sich durch Basenpaarung in komplexe Strukturen falten. Genomweite Messungen der RNA-Struktur können mithilfe von Reagenzien durchgeführt werden, die mit ungepaarten Basen reagieren und zu Addukten führen, die durch Mutationsprofile auf Next-Generation-Sequenziermaschinen identifiziert werden können. Ein Nachteil dieser Vorgehensweise besteht darin, dass die so generierten kurzen Sequenzen selten spezifischen Transkript-Isoformen zugeordnet werden können. Folglich werden die Informationen als Populationsdurchschnitt erfasst, was jedoch die zugrunde liegende strukturelle Landschaft in den Regionen verwischt, die in verschiedenen Transkripten vorkommen.
In ihrer Studie stellen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Helmholtz-Instituts Würzburg Nanopore-Dimethylsulfat-Mutationsprofilierung (Nano-DMS-MaP) vor, eine Methode, die isoformaufgelöste Strukturinformationen von sehr ähnlichen RNA-Molekülen liefert.
Über HIV
Das Humane Immundefizienz-Virus (HIV) zählt zur großen Familie der Retroviren. Diese sind behüllt, und ihre Erbinformation besteht aus einzelsträngiger Ribonukleinsäure (RNA, von engl. ribonucleic acid). Bislang sind zwei Virustypen bekannt, die den Menschen infizieren: HIV-1 und HIV-2. Vorliegende Studie befasst sich mit HIV-1 – der Variante, die mehr als 90 Prozent aller Infektionen ausmacht. Mit hoher Wahrscheinlichkeit haben die Infektionen ihren Ursprung in einer Zoonose: Zoonotische Viren sind zwischen Mensch und Tier wechselseitig übertragbare Erreger.
Spleißen
Spleißen ist ein Prozess, bei dem die nicht codierenden Abschnitte der Gene – sogenannte Introns, die nicht zur Proteinherstellung benötigt werden – aus der ursprünglichen Boten-RNA entfernt werden. Zurück bleiben nur die codierenden Segmente, Exons genannt, die dann wieder miteinander verbunden werden. Durch das Spleißen entsteht somit eine reife Boten-RNA, also der Bauplan für neue Proteine, der für die Proteinsynthese bereit ist.
Originalpublikation
Bohn P, Gribling-Burrer A-S, Ambi UB, Smyth RP (2023): Nano-DMS-MaP-seq allows isoform specific RNA structure determination, Nature Methods, DOI: 10.1038/s41592-023-01862-7