Auf Würzburgs höchster Baustelle
06.10.2020Seit mehr als einem Jahr ist der Turm der Neubaukirche eingerüstet, seit Ende 2019 laufen dort umfangreiche Sanierungsarbeiten. Das Ende dieser Arbeiten ist absehbar, die Spitze und das Oktogon erstrahlen bereits in neuem Glanz.
Im Sommer wird es auf der Südseite ziemlich heiß, im Winter liegt auf der obersten Ebene Schnee, und luftig ist es das ganze Jahr über: Wer auf Würzburgs derzeit höchster Baustelle – dem Turm der Neubaukirche – arbeitet, sollte mit Wetterextremen kein Problem haben. Und schwindelfrei muss er sowieso sein. Immerhin misst der Turm bis zu seiner Spitze exakt 79,57 Meter. Er ist damit der höchste Kirchturm in Würzburg – höher noch als die Türme des Doms.
Seit Ende 2019 laufen umfangreiche Sanierungsarbeiten an dem mehr als 400 Jahre alten Bauwerk. Das dafür notwendige Gerüst steht noch länger: Dessen Aufbau startete im Mai 2019 und war ein hochkomplexes Unterfangen. Weil der Turm alleine das Gewicht des Gerüsts nicht hätte tragen können, musste es auch auf andere Teile der Neubaukirche abgeleitet werden. Dafür wurde unter anderem ein Stahlträger quer durch das Gebäude eingebaut, 18 Meter lang und gut vier Tonnen schwer.
Sanierung für 2,3 Millionen Euro
Die Witterung, Luftschadstoffe, Vogelkot: Diese drei Faktoren sind im Wesentlichen für die Schäden am Turm der Neubaukirche verantwortlich. Im Laufe der Jahrzehnte haben sie für feine Risse, poröse Stellen und schadhafte Mörtelfugen gesorgt, Hohlstellen sind entstanden und Steinfragmente abgebröckelt. Nach einer detaillierten Schadensaufnahme 2015/16 war klar, dass es mit einzelnen Reparaturen, für die Fassadenkletterer zum Einsatz kamen, nicht mehr getan war. Eine Generalüberholung war angesagt – geplante Kosten: 2,3 Millionen Euro.
Verantwortlich für die Sanierung ist das Staatliche Bauamt Würzburg; zuständig ist dort die Abteilung LU1 mit der Diplom-Ingenieurin (FH) Birgitt Graf, die die Liegenschaft der Alten Universität und die Neubaukirche betreut. Sie teilt sich die Aufgabe mit Heike Wolter, Diplom-Restauratorin bei der Pro Denkmal GmbH, einer Projektierungsgesellschaft für Denkmalpflege in Bamberg. „Wir sind, grob gesagt, zuständig für das Gerüst, die Steinrestaurierung, die Natursteinarbeiten, die Reinigung der Fassade sowie die Dachdecker- und Spenglerarbeiten“, erklärt Heike Wolter. Die Projektleitung, die Planung und Bauüberwachung der Maler-, Schlosser- und Kunstglasarbeiten, die Zimmerarbeiten, der Taubenschutz und die Turmuhr sowie Holzarbeiten und Dachdeckung an der Turmkuppel und der sogenannten Laterne stehen unter der Aufsicht des Bauamts, zählt Birgitt Graf auf.
Elf Kilometer neue Fugen
Die Reinigung und ein Großteil der Steinmetzarbeiten sind bereits abgeschlossen. 3.000 Quadratmeter groß war die Fläche, die von einer Jahrzehnte alten Schmutzkruste befreit werden musste – mit einem sogenannten Partikelstrahler sowie an besonders dreckigen Stellen mit dem Hochdruckreiniger. Nicht weniger umfangreich war die Arbeit der Steinmetze: Insgesamt 700 Steine haben sie neu in die Turmwand eingebaut; an etwa 6.000 Stück mussten sie oberflächliche Schäden, wie beispielsweise Risse, ausbessern; an weiteren 5.000 waren die mineralischen Steinersatzmassen defekt und mussten ersetzt werden. Jede neue Ergänzung erhielt eine Armierung, um zukünftige Abstürze zu verhindern.
Und dann sind da noch die Fugen: Die wurden auf einer Länge von insgesamt 11.600 Metern komplett erneuert, auf dass sie nun wieder zuverlässig Regenwasser am Eindringen hindern. Die gleiche Aufgabe erfüllt die Schieferabdeckung, die an mehreren Stellen den Turm vor Regen und Schmelzwasser schützt. Auch sie wird, wo nötig, ausgebessert oder neu angebracht.
Sandstein aus dem Elsass
Am Oktogon – dem achteckigen Teil des Turms direkt unterhalb der Kuppel – sind die Renovierungsarbeiten bereits beendet. Dort ist auch das Gerüst schon abgebaut. Aus direkter Nähe sind vereinzelt Steine in der Fassade zu erkennen, die einen geringfügig helleren Ton aufweisen als ihre Nachbarn. Sie wurden neu eingesetzt. Während der ursprüngliche Turm der Neubaukirche zu Echters Zeit aus rotem Sandstein aus Mainfranken gebaut wurde, kommt jetzt Rothbacher Sandstein aus dem Elsass zum Einsatz, erklärt Heike Wolter. Dieser komme im Farbton und in seinen physikalischen Eigenschaften dem Original nahe. Von der Straße aus werden diese Farbunterschiede kaum zu sehen sein.
Was den Passanten in der Neubau- oder der Schönthalstraße ebenfalls nicht auffallen wird, sind die Maßnahmen, mit denen in dieser Höhe Schmucksteine und Kapitelle versehen wurden. Vorrangiges Ziel dieser Sicherungskörbe ist es, „die Verkehrssicherheit herzustellen und die bauzeitliche Bauzier umfangreich restauratorisch zu sichern“, wie Heike Wolter sagt. Damit werde ein Absturz von Fragmenten auch in der Zukunft verhindert.
Nach der Sanierung ist vor der Sanierung
Wenn das Wetter mitspielt und nicht Herbststürme oder lang andauernder Frost die restlichen Arbeiten verzögern, soll die Sanierung des Turms Ende des Jahres abgeschlossen sein. Dann vergehen weitere drei Monate, bis das Gerüst abgebaut und der Turm wieder in seiner vollen Pracht sichtbar sein wird.
Allerdings: Nach der Sanierung ist vor der Sanierung. Ungefähr so könnte man zumindest die Worte von Birgitt Graf interpretieren. Die Witterung und Schadstoffe aus der Luft werden dem Turm wieder zusetzen und im Lauf der Jahre neue Schäden verursachen. „Durch die aktuellen Sanierungsarbeiten soll ein Zeitfenster von ca. 30 Jahren schadensfrei gehalten werden, und vom Turm, der an der viel befahrenen und auch von Passanten begangenen Neubaustraße steht, darf keine Gefährdung der Verkehrssicherheit ausgehen“, so Graf. Was nicht bedeutet, dass die Neubaukirche in den kommenden Jahrzehnten keine Arbeit machen wird. Als nächstes wird die Fassade des Kirchenschiffs in Augenschein genommen, das Dach wird sowieso alle zwei Jahre kontrolliert, und auch die Turmfassaden werden überwacht.
Hier schlägt das Herz der Universität
Wer sich im Übrigen fragt, wieso auf der Plane, die derzeit noch das Gerüst verhüllt, ein großes Herz und der Spruch „Hier schlägt das Herz der Universität“ zu sehen sind: Fürstbischof Julius Echter von Mespelbrunn hatte die Universität Würzburg im Jahr 1582 wieder gegründet (nach ihrer Erstgründung im Jahr 1402). Sitz der Uni damals war der Gebäudekomplex der Alten Universität inklusive Neubaukirche – die damals tatsächlich noch Kirche war.
1586 begannen die Arbeiten an der Kirche. Zwei Jahre später gab Echter den Auftrag, ein Grabmal für sich in der Kirche zu errichten. Er verfügte, dass sein Herz dort beigesetzt werden sollte. Dort befindet es sich auch heute noch. 1982 wurde Echters Herz feierlich in einem speziell dafür angefertigten Ehrenmal in der Kirche beigesetzt.
Mehr Informationen
Ausführliche Informationen zur Geschichte der Neubaukirche stehen auf den Seiten des Universitätsarchivs
Ein Video über die Neubaukirche, das zum Tag des Denkmals 2020, gedreht wurde, ist im Youtube-Kanal der JMU zu sehen.