Italien als Rätsel und Vorstellung
11.03.2025Eine Ausstellung an drei Standorten erkundet die „Phantastischen Orte“ im Werk des Würzburger Malers Wolfgang Lenz. Unter dem Titel „Pittura Capricciosa“ beteiligt sich auch das Würzburger Universitätsmuseum.

Unzählige Künstler strömten seit dem 18. Jahrhundert über die Alpen, getrieben von der Sehnsucht, durch die Begegnung mit dem Süden ihre Kunst freier entfalten zu können. Einer der prominentesten „Deutschrömer“ war Martin von Wagner, der von 1804 bis zu seinem Tod 1858 in der Ewigen Stadt lebte und arbeitete.
Wagner war Würzburger – wie Wolfgang Lenz, dem jetzt zum 100. Geburtstag eine umfangreiche Schau gewidmet wird, die im Museum im Kulturspeicher (MiK), im Martin von Wagner Museum der Universität Würzburg (MvWM) und in der Würzburger Residenz gezeigt wird. Zum ersten Mal arbeiten Stadt, Universität und Bayerische Schlösserverwaltung zusammen, um einen Maler zu präsentieren, der wie wenige andere zum kulturellen Substrat der Stadt Würzburg gehört.
Der Titel „Phantastische Orte“ trägt zwei wesentlichen Merkmalen in Lenz‘ künstlerischer Produktion Rechnung: Zum einen wird sie zum Phantastischen Realismus gerechnet, zum anderen spielen bestimmte Orte für seine bald kapriziösen, bald rätselhaften Bildvisionen eine übergeordnete Rolle.
Keine Retrospektive klassischen Zuschnitts
Elf Jahre nach der Gedenkausstellung 2014 sollte es keine neuerliche Lenz-Retrospektive klassischen Zuschnitts geben. „Stattdessen legt die aktuelle Schau mit der Ortsbezogenheit seiner Werke ein zentrales Charakteristikum seiner Kunst offen“, erläutert Professor Damian Dombrowski, Direktor von Gemäldegalerie und Graphischer Sammlung des Universitätsmuseums. Dombrowski kuratiert die Ausstellung gemeinsam mit Dr. Henrike Holsing, der stellvertretenden Leiterin des MiK, und Dr. Susanne Hoppe, Referentin der Schlösserverwaltung für Würzburg.
Das städtische Museum widmet sich Lenz‘ Blick auf Würzburg und Unterfranken, aber auch auf Frankreich, Holland, Spanien und Ostasien als Destinationen seiner künstlerischen Neugier. In der Residenz werden seine Verdienste um die Rekonstruktion des 1945 zerstörten Spiegelkabinetts gewürdigt. Lenz‘ künstlerische Einfühlung und technische Versiertheit haben dort einen wahrhaft „phantastischen Ort“ entstehen lassen.
Unter den vielen Weltgegenden, die Lenz bereiste, kommt Italien die größte Prägekraft für sein künstlerisches Œuvre zu – nicht nur hinsichtlich der Motive, sondern auch für seine spezifische Weltwahrnehmung und deren Ausdrucksformen. 1955/56 war er Stipendiat der Villa Massimo, 1992 Ehrengast dieser Deutschen Akademie in Rom. Seine in Italien entstandenen oder von den italienischen Seherfahrungen angeregten Werke – über siebzig sind im MvWM zu sehen – fassen sein Schaffen wie eine große Klammer zusammen.
Insofern ist es vielleicht nicht falsch, in Lenz den letzten „Deutschrömer“ zu sehen. Aber nicht nur die italienische Hauptstadt, auch Neapel und vor allem Venedig besuchte Lenz immer wieder. Einer Darstellung Italiens als „kanonischer“ Hort der Künste ging er dabei aus dem Weg. Es zog ihn an künstlerisch unerforschte Orte, um sich individuellen und unverbrauchten Objekten zuzuwenden.
Die Station im Universitätsmuseum
Seine unerwarteten Zugänge zur visuellen Kultur Italiens, jenseits von Topos und Klischee, gaben der Ausstellungsstation im MvWM den Namen: „Pittura capricciosa“ spielt sowohl auf die italienische „Pittura metafisica“ des frühen 20. Jahrhunderts an, die den Grundstein für die Wirklichkeitsverfremdung der Moderne legte, als auch auf die Kunstübung des Capriccio, die in Tiepolo ihren unerreichten Meister fand – Lenz‘ Lieblingsepoche war das Rokoko.
In seinen Zeichnungen präparierte er das Schwingende der barocken Bauten heraus, während er antike Statuen häufig mit einer gewissen Eckigkeit ausstattete. Auch von mittelalterlichen Mosaiken, Altarbildern der Renaissance und der zeitgenössischen italienischen Malerei ließ Lenz sich zu jener gliederpuppenhaften Anmutung anregen, die das Bildpersonal seiner späteren Gemälde bestimmt. Seine Skizzenbücher, von denen zwanzig im MvWM ausgestellt sind, illustrieren diesen künstlerischen Zugriff, der das Gesehene schon beim Aufzeichnen der formenden Phantasie unterwirft.
Neben Kunstwerken zeichnete Lenz unablässig das alltägliche Treiben auf der Bühne der italienischen Städte. „Die Menschen nahm er wie Schauspieler der Commedia dell’Arte wahr, wie Masken und Typen, die er schließlich für die Bewohner seiner Bildwelten nutzte“, sagt Dombrowski. Der Professor für Kunstgeschichte ist überzeugt: „Für Lenz zählte die szenische Wirkung, nicht die Handlung an sich. Seine persönliche Signatur ist die Betonung des Unpersönlichen.“
Die meisten Gemäldekompositionen mit italienischen Motiven entstanden im Würzburger Atelier. Dort wurden die zeichnerisch festgehaltenen Erinnerungen von seiner Vorstellungskraft umgeschmolzen zu traumwandlerischen Bildsequenzen. Verfall und Untergang sind darin ebenso zur Stelle wie Parodie und Komödie – immer im Dienst an der Idee, dem Gefühl der Zeit eine Gestalt zu geben.
Öffnungszeiten
15.03.–15.06.2025 (Eröffnung am Freitag, 14.03. um 19 Uhr im Museum im Kulturspeicher). „Pittura capricciosa“ in der Kleinen Galerie des Martin von Wagner Museums, geöffnet dienstags bis samstags 13:30 bis17 Uhr und jeden zweiten Sonntag 10 bis13:30 Uhr im Wechsel mit der Antikensammlung. Eintritt 3 Euro.
Kuratorenführungen durch Prof. Dr. Damian Dombrowski an vier Freitagen um 18 Uhr (28.03., 25.04., 16.05., 13.06.). Dauer: 1 Stunde, Kosten: 10 Euro, einschließlich Eintritt.
Die Katalogbroschüre (Verlag J. H. Röll, 74 Seiten, 189 farbige Abbildungen) kostet 8 Euro.
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