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Big Data im Klassenzimmer

09.10.2018

An der Herbsttagung der Professional School of Education an der Universität Würzburg haben 400 Lehrkräfte und Erzieherinnen und Erzieher teilgenommen. Sie haben unter anderem über Kopierschutzstecker und „Fake News“ diskutiert.

Teilnehmende bei der Herbsttagung der Professional School of Education
Über Visionen künftiger Bildung diskutierten 400 Lehrkräfte und Erzieherinnen und Erzieher bei der Herbsttagung der Professional School of Education an der Universität Würzburg.

Früher hätte Mohamed das Gedicht „Der Schneemann auf der Straße“ vorlesen müssen. „Im schlimmsten Fall vor der ganzen Klasse“, sagt Philipp Arnold, Leiter der Mittelschule Ebern im Kreis Haßberge. Was ihm womöglich spöttisches Grinsen eingebracht hätte. Denn Mohamed kann noch nicht allzu gut Deutsch. In der Mittelschule Ebern erhielt er die Chance, ein kleines Video über das Gedicht zu drehen. Er malte zu jeder Strophe ein Bild. Und sprach zu den einzelnen Bildern das Gedicht.

Während der Herbsttagung der Professional School of Education (PSE), die am 2. Oktober 2018 an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) stattfand, stellte Philipp Arnold Mohameds Werk als ein Beispiel für die Möglichkeiten Neuer Medien vor. Mehr als 400 Lehrkräfte, Forschende, Erzieherinnen und Erzieher sowie Studierende setzten sich bei der Tagung mit den Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung in der Schule auseinander. In 18 Workshops erhielten sie Impulse, wie die Forderung nach digitaler Bildung in den verschiedenen Schularten konkret umgesetzt werden kann.

Video führt zur gerechteren Benotung

Laut Philipp Arnold helfen digitale Tools, Schüler gerechter zu benoten. Fabian aus der fünften Klasse zum Beispiel sollte beweisen, dass er verstanden hat, was eine Vorgangsbeschreibung ist. Auch er drehte ein Video. Darin erklärte er mit Bildern, Worten und Sprache, wie man Figuren aus Salzteig herstellt. Die Präsentation enthielt Rechtschreibfehler. Worauf ihn die Lehrkraft natürlich hingewiesen hat. „Doch sein Video belegt, dass er verstanden hat, wie man einen Vorgang beschreibt“, so Arnold. Hätte Fabian einen Aufsatz schreiben müssen, wären seiner Lehrkraft wahrscheinlich nur die Rechtschreibfehler aufgefallen. Und Fabian hätte eine schlechte Note bekommen.

Die Mittelschule in Ebern ist eine „Referenzschule für Medienbildung“. Hier gibt es einen Medienentwicklungsplan und eine schulinterne Fortbildungsreihe, durch die einzelne digitale Werkzeuge erklärt werden. Andere Schulen sind noch nicht so weit. Für die hier beschäftigten Lehrkräfte stellt es allein schon eine Herausforderung dar, sich im Dschungel der digitalen Tools zu orientieren. Wie kommt zum Beispiel das Bild vom Smartphone auf den Beamer? Jörg Tully vom Lehrstuhl für Sonderpädagogik I an der JMU erklärte den Teilnehmenden seines Workshops, was man unter „Screen Stream Mirroring“ versteht und wie Kopierschutzstecker namens „Dongels“ verwendet werden.

Pädagogen stehen jedoch nicht nur vor der Herausforderung, sich Know-how über den Einsatz verschiedener Hard- und Software für den Unterricht anzueignen. Gleichzeitig sind sie gefordert, die mit der Digitalisierung verbundenen Probleme aufzugreifen und die Schüler im Umgang mit Neuen Medien kompetent zu machen.

„Fake News“ und „Wählermanipulation“ sind wichtig

Besonders brisant ist das Thema „Fake News“. Laut Harald Retsch, Deutsch- und Sozialkundelehrer am Würzburger Ursulinen-Gymnasium, gab es zwar von jeher die Gefahr falscher Nachrichten: „Doch durch die Neuen Medien verbreiten sich diese Nachrichten in einer ganz anderen Geschwindigkeit, auch ist die Reichweite viel höher.“

Das bedeutet für die Verbreiter falscher Nachrichten einen Qualitätsunterschied im Vergleich zu früher – und für Lehrkräfte eine Herausforderung. So war das Thema „Wählermanipulation“ noch nie so virulent wie heute. Eine verlässliche „Checkliste“, um eine Meldung als wahr oder falsch einschätzen zu können, gebe es nicht.

„Wichtig ist es aus diesem Grund, den Jugendlichen zu vermitteln, dass sie sich langfristig eine Meinung über verschiedene Parteien bilden müssen“, so Retsch. Was zugegebenermaßen mühselig sei. Doch Wahlentscheidungen, die wenige Stunden vor der Wahl aufgrund einer im sozialen Netzwerk verbreiteten „Topmeldung“ getroffen werden, können nicht fundiert sein.

Lösungsorientiertes Lernen wird vermittelt

„Natürlich gibt es Risiken der Digitalisierung“, sagte auch Olaf-Axel Burow, der bis April 2017 eine Pädagogik-Professur an der Universität Kassel innehatte. Lehrer seien gefordert, ihren Schülern beizubringen, neue Medien kritisch und kreativ zu nutzen. Vor allem Demokratieerziehung sei heute wichtiger denn je: „Denn dass von Politikern Lügen verbreitet werden, ist ein riesiges Problem.“ Für die Schule bedeutet die Digitalisierung laut dem Autor des Buchs „Digitale Dividende“, dass sie sich grundlegend reformieren muss. Ihre Aufgabe bestehe nicht länger darin, Schülern einen „Rucksack voll Wissen“ mitzugeben: „In Zukunft kann es nur um lösungsorientiertes Lernen gehen.“

Mehrere Schulen in Deutschland haben sich Burow zufolge inzwischen radikal gewandelt. Zu den Pionieren gehört die Alemannenschule in Wutöschingen im Landkreis Waldshut in Baden-Württemberg. Die Schüler verbringen hier die meiste Zeit in einem „Lernatelier“, wo jedes Kind einen eigenen Arbeitsplatz hat. Wird neuer Stoff vorgestellt, geschieht dies in aller Kürze gemeinsam in einem „Input-Raum“. Die Schüler arbeiten sich anschließend selbst vom „Mindeststandard“ über einen „Regelstandard“ hin zum „Expertenstandard“. Wer den „Expertenstandard“ erreicht hat, geht zur Lehrkraft und lässt sich testen.

Visionen künftiger Bildung waren auch Thema beim abschließenden interaktiven „SozioPod“ mit dem Mainzer Erziehungswissenschaftler Nils Köbel und Patrick Breitenbach, Konzeptentwickler für die digitale Transformation aus Würzburg. Die beiden provozierten mit der Frage, ob Schule heute tatsächlich allen Jugendlichen die Chance zur Teilhabe an der Gesellschaft eröffnet oder ob sie nach wie vor dazu beiträgt, Menschen zu selektieren. Vor allem die permanente Bewertung von Schülern sehen die beiden kritisch. „Ich kann mir sehr gut eine Schule vorstellen, in der es keine Noten gibt“, so Köbel. Diese Idee zu verwirklichen, bedeute aber „sehr dicke Bretter zu bohren“.

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