Corona: Eine Stimme für Familien mit Kindern
15.12.2020Welche Folgen haben die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie für Familien und Kinder? Welche Lehren kann die Politik daraus ziehen? Das untersucht ein neues Forschungsprojekt an der Universität Würzburg.
Die Schulen über viele Wochen geschlossen, Kindergärten dicht, private Betreuungsmodelle wegen des Lockdowns unmöglich: Die Maßnahmen, mit denen viele Länder Europas auf die Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus reagieren, treffen Eltern mit Kindern schwer – vor allem, wenn sie berufstätig sind. Über Wochen und Monate hinweg sahen – und sehen – sie sich mit einer noch nie dagewesenen Überschneidung von Arbeit, Schule, Kinderbetreuung und Haushalt konfrontiert.
Das gilt in erster Linie für Mütter, die in der Regel nicht nur die Hauptlast der Verantwortung und den damit verbundenen Stress im Haushalt tragen. Frauen betrifft zusätzlich die Entwicklung, dass in der Pandemie traditionelle Geschlechterrollen und Stereotype wieder aufleben mit dem Bild vom Mann, der als Ernährer der Familie ungestört arbeiten darf, während die Frau für Kinder und Küche zuständig ist. Aber natürlich leiden auch Kinder unter den Ausgangsbeschränkungen und dem fehlenden Kontakt zu Freundinnen und Freunden.
120.000 Euro von der VolkswagenStiftung
Wie sich die Corona-Pandemie auf die psychische Gesundheit von Familien, insbesondere von Frauen und Kindern, auswirkt, und welche Lehren politische Entscheidungsträger daraus ziehen können: Das untersucht ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universitäten in Würzburg, Linz und Aarhus in einem neuen Forschungsprojekt. Die Leitung des Projekts liegt bei Andrea Christina Felfe de Ormeño, Professorin für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Arbeitsmarktökonomik, an der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg. Die VolkswagenStiftung finanziert das Vorhaben mit 120.000 Euro über einen Zeitraum von 18 Monaten.
„Unser Forschungsprojekt soll Familien mit Kindern eine Stimme geben und damit der Gruppe, die nicht das Gesicht dieser Pandemie ist, die aber Gefahr läuft, zu ihren größten Opfern zu gehören“, beschreibt Felfe de Ormeño eines der Ziele der Studie. Zwar nehme die Zahl an wissenschaftlichen Studien zu, die den Zusammenhang zwischen psychischen Erkrankungen und der Corona-Pandemie untersuchen. Bislang fehle jedoch eine detaillierte Analyse, inwieweit politische Maßnahmen im Kampf gegen die direkten gesundheitlichen Auswirkungen der Pandemie indirekt psychische Probleme verursachen können. Auch Studien zur Frage, mit welchen politischen Maßnahmen gefährdete Gruppen während und nach der Corona-Krise wirkungsvoll unterstützt werden können, gebe es so gut wie nicht.
Untersuchungen in Deutschland, Dänemark und Österreich
Deutschland, Dänemark und Österreich stehen im Fokus der jetzt gestarteten Studie. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler greifen dabei auf Daten unterschiedlicher Einrichtungen zu, die ihnen medizinische Angaben zu einem Großteil der jeweiligen Bevölkerung liefern – angefangen von Krankschreibungen über Diagnosen bis zu verordneten Medikamenten. Für Deutschland sind dies die Daten des Zentralinstituts für die Kassenärztliche Versorgung und damit Datensätze aller bei den gesetzlichen Krankenkassen registrierten Ärztinnen und Ärzte.
Im Fall von Österreich und Dänemark können medizinische Daten mit zusätzlichen Informationen aus den Datenbanken der Sozialversicherungen verknüpft werden, was unter anderem Rückschlüsse auf Unterschiede zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen ermöglicht. Dänische Register liefern zusätzlich für die gesamte Bevölkerung umfangreiche Hintergrundinformationen, beispielsweise zu Beschäftigungsverhältnissen und Bildungsstand der Betroffenen oder auch zur Inanspruchnahme von Kinderbetreuungsangeboten.
Ein Leitfaden für die Zukunft
Da diese drei Länder mit unterschiedlichen Maßnahmen auf die Ausbreitung des Corona-Virus reagiert haben, waren die Auswirkungen auf die Familien entsprechend unterschiedlich: Während an einem Ort Kinder Schulen oder Kitas kontinuierlich besuchen durften, mussten anderenorts Kinder drei oder mehr Monate zu Hause bleiben. Für das Forschungsprojekt ist das natürlich ein Glücksfall: „Unsere empirische Strategie wird sich auf diese Variation stützen, um den Effekt der spezifischen politischen Maßnahme ‚Schließung von Bildungseinrichtungen‘ auf das Wohlbefinden von Haushalten mit Kindern zu isolieren“, sagt Felfe de Ormeño.
Mithilfe spezieller Methoden will das Forschungsteam die Auswirkungen spezifischer Pandemiemaßnahmen herausfiltern und so Gruppen identifizieren, die in vergleichbaren Fällen in Zukunft eine sofortige Unterstützung erhalten sollten. „Unsere Ergebnisse werden gezielte politische Interventionen ermöglichen, die bedürftige Familien unterstützen“, ist sich Felfe de Ormeño sicher.
In der verbleibenden Zeit dieser Pandemie sowie bei möglichen Virusinfektionen in der Zukunft können sie als Leitfaden dienen und den politischen Entscheidungsträgern eine wissenschaftlich fundierte Basis für ihre Entscheidungen liefern, ob sie erneut Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen schließen und, wenn dies die Pandemielage verlangt, mit welchen Angeboten und Maßnahmen man die zukünftige Generation unterstützt und stärkt. „Letztendlich sind es ja sie, die die jetzt gemachten Schulden tilgen müssen“, so die Wissenschaftlerin.
Kontakt
Prof. Dr. Christina Felfe de Ormeño, Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Arbeitsmarktökonomik, T +49 931 31-84969, christina.felfe@uni-wuerzburg.de