Corona I: Was Schulen aus der Krise lernen können
19.05.2020Seit dem 16. März waren in Bayern alle Schulen geschlossen; jetzt kehren die ersten Klassen zum Unterricht zurück. Die erzwungene Quarantäne hat auch ihre guten Seiten, findet Didaktikprofessor Thomas Trefzger.
Professor Thomas Trefzger ist Inhaber des Lehrstuhls für Physik und ihre Didaktik sowie Direktor der Professional School of Education (PSE) der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU). Die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Lehramtsstudierenden sowie von Lehrkräften, die bereits im Beruf stehen, sind Teil seiner täglichen Arbeit.
Besonders intensiv arbeitet Trefzger momentan – gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus Bildungswissenschaft, Fachdidaktik und Fachwissenschaft – daran, neue Konzepte zur Digitalisierung und innovative Lernformate in der Lehrerbildung zu entwickeln und zu erforschen. Dafür hat die JMU im Rahmen des Förderprogramms „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) rund 2,1 Millionen Euro eingeworben.
Kein Wunder, dass Trefzger mit besonderem Interesse beobachtet, wie Unterricht in Bayern abläuft, wenn Schulen geschlossen sind und Lehrkräfte vor der Herausforderung stehen, ihre Schulklassen auf ganz neuen Wegen zu erreichen.
Herr Professor Trefzger: Haben sich in den vergangenen Wochen eigentlich vermehrt ratsuchende Lehrkräfte an die Professional School of Education gewandt, weil sie nicht wissen, wie sie ihre Schülerinnen und Schüler erreichen können? Es gibt nur wenige verzweifelte Hilferufe, aber unsere Angebote für Lehrkräfte wurden und werden sehr gerne angenommen. Insbesondere zu Beginn der Pandemie waren einfache Webinare, in denen wir beispielsweise Videoplattformen vorgestellt haben, stark nachgefragt. Mittlerweile kennen die Lehrkräfte ihre Programme. Jetzt liegen die Probleme eher darin, dass einzelne Systeme, wie beispielsweise die Lernplattform mebis, bisweilen überlastet sind.
Wie kann die Universität in dieser Zeit helfen? Durch Webinare, Online-Lehrerfortbildungen und Beratungsgespräche. Aber natürlich auch durch Lehramtsstudierende, die beim Online-Unterrichten unterstützen.
Inwiefern können Studierende dabei helfen? Die für Lehramtsstudierende verpflichtenden Schulpraktika finden momentan ebenfalls online statt. Die Studierenden helfen dann Lehrerinnen und Lehrern, indem sie Materialien entwickeln oder einzelne Schülergruppen online unterrichten. Das ist zwar nur ein kleiner Beitrag, der aber auch eine Entlastung sein kann.
Niemand hatte mit monatelangen Schulschließungen gerechnet, dann waren sie plötzlich da. Wie gut waren Bayerns Lehrerinnen und Lehrer darauf vorbereitet, ihre Schulklassen zu Hause zu unterrichten? Sehr unterschiedlich nach Schularten. Am besten vorbereitet waren sicherlich weiterführende Schulen, zum Beispiel Gymnasien. Aber auch dort können nicht vorhandene oder veraltete Technik, der Online-Zugang oder die Datenschutzbestimmungen zum Problem werden. Lehrkräfte sind zum Glück sehr verschieden, manche kommen besser mit der Situation zurecht, manche schlechter. Viele von ihnen hatten mit tollen Ideen innovative Konzepte umgesetzt. Auch gab es viel Unterstützung für Schulen von lokalen Firmen oder kostenlose Beratung durch externe Anbieter.
Hätten sie besser vorbereitet sein müssen? Oder erleben wir momentan eine Ausnahmesituation, auf die man sich schlichtweg nicht vorbereiten kann? Eine bessere Vorbereitung wäre nicht möglich gewesen. Alle, auch die Uni oder die Wirtschaft, waren darauf nicht vorbereitet. Und wenn keine gute Netzverbindung vorhanden ist, oder Schülerinnen und Schüler keine Handys oder Laptops zur Verfügung haben, hilft es auch nicht, wenn bei Lehrkräften ein fertiges Konzept in der Schublade liegt. Man sieht jetzt allerdings auch, dass andere Länder in Skandinavien oder in Asien uns einige Schritte voraus waren, weil dort die IT-Ausstattung an Schulen teilweise besser ist beziehungsweise seit vielen Jahren massiv ausgebaut wurde. Dadurch waren diese Länder besser vorbereitet.
Wird die Vorbereitung auf solche Situationen an der Uni in Zukunft ein größeres Gewicht bekommen? Das ist bereits passiert. Mit dem neu an der Uni eingerichteten Kompetenzzentrum für digitales Lehren und Lernen und dem BMBF-Projekt in der Qualitätsoffensive Lehrerbildung ist es jetzt schon während des Studiums möglich, die zukünftigen Lehrkräfte besser auf den Unterricht mit digitalen Medien und Werkzeugen vorzubereiten und entsprechende Fortbildungsangebote anzubieten.
Der Bund hat gerade ein 500-Millionen-Euro-Programm zur Sofortausstattung von Schulen sowie Schülerinnen und Schülern aufgelegt. Ist das der richtige Schritt zum passenden Zeitpunkt? Geld und Technik alleine helfen nicht. Was jetzt notwendig ist, sind mehr Beratungsangebote für Lehrkräfte, klare Bestimmungen, welche Programme genutzt werden dürfen, und klare Regeln für den Datenschutz. Tatsächlich sind aber viele Schülerinnen und Schüler technisch nur schlecht ausgerüstet. Oft gibt es nur einen PC oder Laptop im Haushalt, der von den Eltern für die Arbeit im Homeoffice benötigt wird. Manche Haushalte verfügen gar nicht über solche Geräte. Dann unterstützen die Schulen, soweit es möglich ist. Da kann das Programm schon helfen.
Aber es gibt doch bestimmt in jeder Familie ein Smartphone. Smartphones eignen sich nur bedingt für Online-Lernangebote. Wenn beispielsweise interaktive Bildschirmexperimente oder Arbeitsblätter bearbeitet werden müssen, ist das Display einfach zu klein oder der verfügbare Speicherplatz nicht ausreichend.
Ist das Schuljahr 2019/20 ein verlorenes Schuljahr? Nein. Schließlich bemühen sich alle darum, den regulären Stoff über Online-Angebote zu vermitteln. Inzwischen können auch neue Lerninhalte Teil des Online-Unterrichts sein. Die Abschlussprüfungen werden stattfinden, die fehlenden Noten für die Schulabgänger werden aus Vorleistungen zu Gunsten der Schülerinnen und Schüler berechnet. Vieles funktioniert unter den gegebenen Umständen recht gut. Sowohl Lehrkräfte als auch Schülerinnen und Schüler lernen neue Konzepte, Methoden und Kompetenzen kennen, die sie auch in Zukunft nutzen können. Natürlich fehlen zur Zeit Dinge wie der direkte Dialog, der Austausch der Schülerinnen und Schüler untereinander, das gegenseitige Unterstützen, Gruppenarbeit. Trotzdem ist es für die Lehrkräfte auch in den Abschlussklassen leistbar, die Schulklassen adäquat auf die Prüfungen vorzubereiten.
Werden diese erzwungenen Schritte in digitale Lernformate Ihrer Meinung nach positive Auswirkungen auf den Unterricht nach der Corona-Zeit haben? Oder kehren dann alle erleichtert wieder zurück zu Business as usual? Nein, die Lehrkräfte lernen jetzt aus der Not heraus sehr schnell und sehr viel und werden dieses Wissen auch im normalen Schulalltag in irgendeiner Form in Zukunft weiternutzen. Firmen, die jahrelang ein Konzept für Homeoffice oder Online-Tools entwickelt haben, haben jetzt innerhalb weniger Wochen diese Konzepte umgesetzt, beziehungsweise umsetzen müssen. Ähnlich ist es an den Schulen. Wir werden froh sein, uns wieder zu begegnen und auszutauschen, aber einige der Online-Angebote werden sicher in Zukunft zum Schulalltag gehören.
Lässt sich aus der jetzigen Krisensituation überhaupt etwas lernen für den „normalen“ Unterricht? Die Fähigkeit, sich mit der Schulklasse via Zoom auszutauschen, wird ja vermutlich später nicht mehr benötigt werden? Vielleicht kein Unterricht via Zoom, aber Konzepte wie beispielsweise das vom Flipped Classroom, Eigenlernzeiten, eine gewisse Flexibilität im Schulalltag werden selbstverständlicher sein als vor Corona.
Haben Sie einen Tipp für Schüler, Lehrer und natürlich auch Eltern, die vermutlich bisweilen am Verzweifeln sind? Durchhalten! Spazieren gehen, gesund bleiben!
Vielen Dank für das Gespräch.