Die Quellen des modernen Handelsrechts
24.03.2020Handelsgerichtliche Gutachten der Frühen Neuzeit aus Nürnberg stehen im Mittelpunkt eines Forschungsprojekts an der Juristischen Fakultät der Uni Würzburg. Es startet jetzt in seine zweite Förderperiode.
Den Startschuss gab das kaiserliche Appellationsprivileg für die Stadt Nürnberg vom 14. März 1508. In dem Schreiben legte Kaiser Maximilian I. fest, dass fortan in „Kauffmanns-Händeln“ der Instanzenzug an die beiden Reichsgerichte verwehrt war. In der Folge entstand das wahrscheinlich erste in Handelssachen spezialisierte deutsche Gericht: das Nürnberger Banco-Amt. Mitglieder der Kaufmannsgilden regelten dort sämtliche Streitfälle, die sich unter Handeltreibenden entwickelten, weil – so der Kaiser in seinem Edikt – „überhaupt niemand geschickter ist, die obgemeldeten Gebrechen der Kaufleut und Kaufmannshändel zu entscheiden, als die verständigen Kaufleut“. Mit ihrem „Expertenwissen“ sollten sie schnelle, kostengünstige und verlässliche Entscheidungen treffen.
Die Nürnberger Handelsgerichtsbarkeit steht im Mittelpunkt eines Forschungsprojekts an der Juristischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU). Geleitet von der Rechtshistorikern Anja Amend-Traut und seit 2015 gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), geht es jetzt in seine zweite Phase. Der Blick der Wissenschaftlerin und ihres Teams gilt dabei vor allem kaufmännischen Gutachten, der gerichtlichen Praxis und deren Beiträge zur Entwicklung einer handelsrechtlichen Normativität in der Frühen Neuzeit.
Unerforschte Quellen vom 16. bis zum 19. Jahrhundert
„Wir interessieren uns dabei für einen bislang unerforschten Quellenbestand des Nürnberger Stadtarchivs, nämlich kaufmännische Gutachten, sogenannte Parere, die sowohl von verschiedenen Gerichtsgremien als auch von streitenden Parteien in Auftrag gegeben und vom Nürnberger Handelsvorstand zwischen 1567 und 1806 verfasst wurden“, erklärt Anja Amend-Traut. Diese Gutachten waren nicht nur für die jeweiligen Konfliktparteien von Bedeutung: Anonymisiert zirkulierten sie zwischen den wichtigsten europäischen Handelsplätzen und dienten dort als Vorlage in vergleichbaren Streitfällen.
Nürnberg hat eine einzigartige Position eingenommen
„Nürnberg hat im Vergleich mit der handelsgerichtlichen Praxis anderer großer deutscher Handelsplätze mit seiner permanenten Einrichtung des ‚Banco-Amtes‘ früh eine eigene Position eingenommen“, schildert die Rechtshistorikerin ein zentrales Ergebnis ihrer bisherigen Forschung. Verantwortlich war dafür die Tatsache, dass in Nürnberg seit 1622 nicht mehr nur erfahrene Kaufleute, sondern auch Juristen an der Urteilsfindung beteiligt waren. Im Unterschied dazu war beispielsweise der 1635 eingerichtete „Merkantilmagistrat“ in Bozen ein rein kaufmännisch besetztes Messegericht, das von italienischen Vorbildern geprägt war.
Am Nürnberger Vorbild orientierte sich hingegen das erste permanent tagende deutsche Handelsgericht, das im Dezember 1682 in Leipzig als eigene Instanz der städtischen Gerichtsbarkeit etabliert wurde. „Leider sind aus Leipzig keine Primärquellen von gerichtlichen Verfahren in einem archivalischen Bestand überliefert“, bedauert Amend-Traut. In Frankfurt am Main, Augsburg, Hamburg, Köln und Lübeck blieben die bereits etablierten ordentlichen Gerichte für Handelssachen zuständig, wobei die Verfahren zum Teil den spezifischen Anforderungen für Handelssachen angepasst wurden.
Eine große inhaltliche Komplexität
Was sich ebenfalls im Laufe der bisherigen Forschung der Würzburger Rechtshistorikerin gezeigt hat: Die Nürnberger Handelsgerichtsbarkeit war bereits zu einem frühen Zeitpunkt hochdifferenziert. 1697 wurde das Banco-Amt weitgehend unverändert zum Merkantil- und Bancogericht mit einer eigenen Gerichtsordnung erhoben. „Anmerkungen in den Parere von dieser Zeit an lassen erkennen, dass dem nun eingerichteten Handelsgericht Schlichtungsverfahren obligatorisch vorgeschaltet waren, in dessen Rahmen ein Parere erstellt wurde“, erklärt Amend-Traut. Daneben konnten diese auch weiterhin außerhalb dieses Verfahrens von Ratsuchenden als Instrument der einvernehmlichen Einigung eingesetzt werden.
Abgesehen von diesen institutionellen Erkenntnissen offenbart das Begutachtungsverfahren eine große inhaltliche Komplexität: Spezifische Fragen zum Wechsel- und Gesellschaftsrecht werden dort ebenso behandelt wie auch Kommissionsgeschäfte, Währungsprobleme und andere, auch allgemeinere Probleme zu Vertragsabschlüssen zwischen Kaufleuten. So konstatieren die Marktvorsteher, es sei „bekandt, das Versprechen und Halten eines der fürnehmsten Stücke in der menschlichen Gesellschafft“, aber besonders unter den Kaufleuten sei. In einem anderen Parere geben die Marktvorsteher zu verstehen, dass man sich an seine vertraglich eingegangene Verpflichtung halte müsse, als sie einem Vertragspartner Recht gaben, der von seinem Händler Ware minderer Qualität beziehungsweise schlecht verpackte Ware erhalten hatte: Man könne nicht, „wie man im Sprichwort redet, Maußkoth vor Pfeffer einpacken“.
1.300 Dokumente harren ihrer Bewertung
Rund 1.300 Quellenstücke liefern Anja Amend-Traut und ihrem Team reichhaltiges Material zu den tatsächlichen Handelspraktiken sowie deren rechtlicher Beurteilung. Diese sollen nun, in der zweiten Projektphase, inhaltlich ausgewertet und rechtlich bewertet werden. Die DFG stellt ihnen dafür in den kommenden drei Jahren rund 245.000 Euro zur Verfügung.
Die Juristin will dabei auch der Frage nachgehen, ob die Nürnberger Parere in der Neuzeit eine Normativierung des Handelsrechts herausgebildet beziehungsweise dafür die Grundlagen geschaffen haben. „Sofern sich diese Annahme bestätigt, ergänzen diese zur Allgemeingültigkeit gewordenen Rechtsaussagen die wenigen, bereits vorhandenen partikularrechtlichen Rechtquellen und füllen deren Lückenhaftigkeit aus“, so Amend-Traut. Dann dürften sie gemeinsam mit Letzteren in die „kodifikatorischen Handelsgesetzbücher“, so die Juristensprache, also namentlich den französischen Code de Commerce und das Allgemeine Deutsches Handelsgesetzbuch von 1861, gemündet sein.
Weitere Informationen zum Projekt
Kontakt
Prof. Dr. Anja Amend-Traut, Lehrstuhl für Deutsche und Europäische Rechtsgeschichte, Kirchenrecht und Bürgerliches Recht, T: +49 931 31-88689, anja.amend-traut@uni-wuerzburg.de