Digitalisierung in der Kirche: Was da ist und was fehlt
04.10.2022Im Sommer 2022 haben Forschende der Universitäten Würzburg und Zürich und des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD die Online-Umfrage CONTOC² durchgeführt. Jetzt liegen die ersten Ergebnisse vor.
Bei CONTOC2 handelt es sich um die Nachfolgestudie des im Sommer 2020 durchgeführten internationalen ökumenischen Forschungsprojekts CONTOC – Churches Online in Times of Corona. Die aktuell gewonnene Stichprobe resultiert aus den Antworten von insgesamt rund 1500 Personen aus den evangelischen Kirchen in Deutschland und der Schweiz. Erstmals wurden in dieser Bandbreite neben Pfarrerinnen und Pfarrern auch Kirchenmusikerinnen und -musiker, Gemeinde- und Sozialdiakoninnen und -diakone sowie Religionspädagoginnen und -pädagogen zum gegenwärtigen Stand digitaler Kommunikationspraktiken in der Kirche befragt.
Im Fokus standen Fragen zur Einschätzung der Chancen und Risiken von Online-Kommunikation, nach dem individuellen Arbeitsaufwand in den unterschiedlichen Berufsfeldern, der digitalen Angebotspraxis in Gottesdienst, Seelsorge und Bildung, nach den vorhandenen Unterstützungssystemen und dem damit verbundenen aktuellen Handlungsbedarf.
Online-Kommunikation: eine nachhaltige Chance
In beiden Ländern und über die Berufsgruppen hinweg schätzen die Teilnehmenden an CONTOC2 kirchliche Online-Kommunikation als nachhaltige Chance ein. Den Befragten sind insbesondere die sozialen Dimensionen von Kommunikation in der digitalen kirchlichen Praxis wichtig. Hierzu zählen das Bedürfnis nach Anerkennung und Wertschätzung sowie die Wahrnehmung jeder einzelnen Person.
Den digitalen Angeboten in den Bereichen Gottesdienst, Seelsorge und Bildung wird eine hohe Bedeutung für persönliche Begegnungen, Gemeinschaftsbildung und Vernetzung zugemessen. Dies gilt interessanter Weise in hohem Maße auch für diejenigen Befragten, die selbst im Rahmen ihrer beruflichen Praxis keine eigenen digitalen Kommunikationsformen anbieten.
In der Seelsorge hinkt die Digitalisierung hinterher
Die CONTOC2-Ergebnisse zeigen in den verschiedenen kirchlichen Arbeitsbereichen ein differenziertes Bild. Erkennbar wird ein unterschiedlich starkes Aktivitäts- und Kreativitätsniveau gottesdienstlicher, seelsorgerlicher und bildungsbezogener Online-Kommunikation.
Digitale Gottesdienste werden in Deutschland von 40 Prozent der Befragten regelmäßig angeboten, in der Schweiz von immerhin knapp über 30 Prozent. Die Vielfalt von auch kürzeren Gottesdienstformen, die schon CONTOC1 bereits sichtbar machen konnte, weist darauf hin, dass sich viele der Befragten auf digitale Nutzungslogiken eingelassen haben.
Insbesondere in den Bereichen von Seelsorge und Bildung ist die Weiterentwicklung von digitalen und hybriden Angebotsformaten allerdings nur teilweise zu konstatieren.
Digitales Engagement ist nicht selbstverständlich
In Hinblick auf das Engagement der Akteurinnen und Akteure in den verschiedenen kirchlichen Arbeitsbereichen wird eine intensive digitale Angebotspraxis, große Kreativität sowie hohe digitale Affinität erkennbar. Durch den von vielen Befragten markierten höheren Arbeitsaufwand ist zugleich aber deutlich, dass das digitale Engagement noch längst nicht flächendeckend etabliert ist und kein selbstverständlicher Bestandteil kirchlicher Berufspraxis und kirchengemeindlicher Realität ist.
Folglich wird von den Befragten ein nachhaltiger Ausbau der strukturellen Rahmenbedingungen (etwa technische Ausstattung) und kirchlichen Unterstützungssysteme (etwa IT-Fachstellen) markiert. Die vorhandenen Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten – auch für die erwünschte theologische Reflexion und Kriterienbildung – sowie die zur Verfügung stehenden Ressourcen werden als bisher nicht ausreichend angesehen.
Wunsch nach verstärkter Zusammenarbeit
Darüber hinaus besteht für viele der Befragten ein besonderer Handlungsbedarf in der Begleitung und Förderung von Ehrenamtlichen und Freiwilligen. Der erkennbar werdende Wunsch nach verstärkter Zusammenarbeit der unterschiedlichen Berufsgruppen sowie der Haupt- und Ehrenamtlichen im Bereich digitaler Angebotspraxis erlaubt den Schluss, dass ein deutliches Potenzial für die gemeinsame verantwortliche Zusammenarbeit vorhanden ist.
Zwar ermöglichen die bisherigen Ergebnisse, die im Lauf der kommenden Monate weiter vertieft interpretiert werden, noch kein eindeutiges Urteil darüber, ob sich die evangelischen Kirchen in Deutschland und der Schweiz bereits umfassend auf die Anforderungen digitaler Kommunikationskultur eingestellt haben. Um von einer digitalen Transformation sprechen zu können, bedarf es der längerfristigen Beobachtung der begonnenen Entwicklungen.
Allerdings erlaubt die erkennbar werdende Intensität und Kreativität digitaler Angebotspraxis den Schluss, dass mit einer Rückkehr zum "old normal" einer ausschließlich analogen kirchlichen Präsenz nicht mehr zu rechnen ist.
Hohe Bereitschaft, digitale Angebote weiterzuentwickeln
Die Bereitschaft des befragten kirchlichen Personals, die Weiterentwicklung digitaler kirchlicher Präsenz in ihrem jeweiligen Arbeitskontext kreativ und aktiv zu befördern, wird durch die Ergebnisse der CONTOC2-Studie deutlich erkennbar. Weitere Aspekte, zum Beispiel wie sich digitale Aktivitäten auf die Rolle von Hauptamtlichen in der Gemeinde auswirken, wird durch tiefergehende Auswertungen der CONTOC2-Ergebnisse weiter erforscht werden.
Ob und in welcher Intensität sich die evangelischen Kirchen in Deutschland und der Schweiz insgesamt in strategischer, struktureller und ressourcenbezogener Hinsicht auf diese Potenziale und Chancen digitaler Präsenzformen unter den Bedingungen digitaler Kommunikationskultur einlassen, bleibt einstweilen offen.
Mehr Informationen: www.contoc.org
Kontakt
Prof. Dr. Ilona Nord, Institut für Evangelische Theologie und Religionspädagogik, Uni Würzburg, ilona.nord@uni-wuerzburg.de