DNA-Schere kann auch RNA zerschneiden
06.03.2018Bakterien verfügen über ein Immunsystem namens CRISPR-Cas9, das fremde DNA eliminiert. Würzburger Forscher haben nun entdeckt, dass es auch RNA zerschneiden kann – ein Resultat mit potenziell weit reichenden Konsequenzen.
Unsere Fähigkeit, den Inhalt von Genen nach Belieben zu verändern – sei es, um genetische Erkrankungen zu kurieren oder Agrarpflanzen zu verbessern – wird momentan revolutioniert. Angetrieben wird diese Revolution durch eine neuartige Technologie namens CRISPR-Cas9. Sie basiert auf einem Immunsystem von Bakterien. Dieses Abwehrsystem erkennt und zerschneidet fremdes Erbgut – die DNA – eindringender Viren und schützt die Bakterien so vor einer Infektion.
Für das Einbringen des Schnitts ist dabei das Cas9-Protein zuständig, das als eine Art Schere fungiert. Andere Bestandteile des Systems leiten die Cas9-Schere zu der Stelle in der DNA, die zerschnitten werden soll. Wissenschaftler können diese Leitfunktion programmieren: Sie können dadurch gezielt bestimmte Gene modifizieren– nicht nur in Bakterien, sondern auch in Pflanzen und Tieren.
Schere auf spezifische RNA-Moleküle programmiert
Von den Cas9-Scheren weiß man, dass sie typischerweise DNA zerlegen. Wissenschaftler der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) und des Helmholtz-Instituts für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI), einem Standort des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI), konnten nun zeigen, dass die Cas9-Schere aus dem Lebensmittelkeim Campylobacter jejuni noch mehr kann.
„Das Protein hat die Fähigkeit, neben DNA auch verwandte Moleküle zu zerschneiden – die Ribonukleinsäuren, kurz RNAs“, betont Prof. Dr. Cynthia Sharma vom Institut für molekulare Infektionsbiologie (IMIB) der Universität Würzburg. „Nicht nur das: Wir konnten das Cas9-Protein so programmieren, dass es sich spezifisch gegen ausgewählte RNA-Moleküle richtet.“
RNA spielt in allen Lebensformen eine zentrale Rolle. Vor allem dient es in den Zellen als „Bote“ der Erbinformation. Vereinfacht gesagt, ähnelt die DNA einem riesigen Lexikon, das Tausende von Bauanleitungen enthält – die Gene. Wenn eine Zelle ein bestimmtes Protein herstellen möchte, fordert sie die passende Anleitung an. Dazu werden die entsprechenden Seiten des Lexikons abgeschrieben. Diese Abschriften bestehen aus RNA. Die in ihnen gespeicherte Information wird dann in Proteine übersetzt.
Einsatzspektrum der Schere erweitert sich
Dass die Cas9-Scheren auch RNA zerlegen können, erweitert ihr Einsatzspektrum. So lässt sich mit dieser Funktion möglicherweise besser kontrollieren, welche Gene an- oder abgeschaltet werden. Eventuell lassen sich mit ihr auch menschliche Viren bekämpfen, deren Erbgut aus RNA besteht, oder die Erreger einer Infektion schneller nachweisen.
Die Wissenschaftler entdeckten die Eigenschaft der Genschere, als sie sich anschauten, welche Moleküle an das Cas9-Protein von Campylobacter binden. Darunter waren auch zahlreiche RNAs. Weitere Analysen zeigten dann, dass das Cas9-Protein diese RNAs nicht nur binden, sondern auch in einer ähnlichen Weise wie DNA schneiden kann – und dass Cas9 so programmiert werden kann, dass sie sich gezielt gegen spezifische RNAs richtet.
„Dieser Befund war erstaunlich, weil man bislang annahm, Cas9 könne normalerweise nur DNA zerlegen“, erklärt Prof. Dr. Chase Beisel. Beisel ist kürzlich von der NC State Universität in den USA an das HIRI gewechselt und hat in dem Projekt mit Prof. Sharma kooperiert.
Möglicherweise ein generelles Merkmal der Scheren
Die Cas9-Schere aus Campylobacter steht mit ihrer Fähigkeit, RNA zu schneiden, nicht allein: Zwei weitere Arbeitsgruppen haben kürzlich diese Eigenschaft auch bei den Cas9-Proteinen aus zwei anderen Bakterien nachgewiesen. Möglicherweise handelt es sich also um ein generelles Merkmal der Genscheren.
Unbekannt ist bislang, inwieweit die Fähigkeit, RNA zu schneiden, für die Mikroorganismen von Nutzen ist. Es gibt jedoch zunehmend Hinweise darauf, dass das CRISPR/Cas-System nicht nur als Immunsystem dient: Möglicherweise reguliert es auch, welche Gene in Bakterien an- oder abgeschaltet werden.
Gaurav Dugar, Ryan T. Leenay, Sara K. Eisenbart, Thorsten Bischler, Belinda U. Aul, Chase L. Beisel und Cynthia M. Sharma: CRISPR RNA-dependent binding and cleavage of endogenous RNAs by the Campylobacter jejuni Cas9; Molecular Cell, DOI: 10.1016/j.molcel.2018.01.032
Kontakt
Prof. Dr. Cynthia M. Sharma, Lehrstuhl Molekulare Infektionsbiologie II, Institut für Molekulare Infektionsbiologie (IMIB) der Universität Würzburg, T 0931/31-82560, cynthia.sharma@uni-wuerzburg.de
Prof. Dr. Chase Beisel, Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI), eine Einrichtung des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI), T 0931/31-85346, Chase.Beisel@helmholtz-hiri.de
Das Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung
Das Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) wurde im Mai 2017 als gemeinsame Einrichtung des Braunschweiger Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) und der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) gegründet. Mit Sitz auf dem Campus des Würzburger Uniklinikums wird sich das HIRI als weltweit erstes Institut seiner Art der Rolle von Ribonukleinsäuren (RNAs) in Infektionsprozessen widmen. Auf Basis dieser Erkenntnisse werden in einem integrativen Forschungsansatz neue Therapieansätze entwickelt und durch Entwicklung pharmazeutischer Anwendungsformen klinisch anwendbar gemacht. www.helmholtz-hzi.de/hiri
Das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung
Am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) untersuchen Wissenschaftler die Mechanismen von Infektionen und ihrer Abwehr. Was Bakterien oder Viren zu Krankheitserregern macht: Das zu verstehen soll den Schlüssel zur Entwicklung neuer Medikamente und Impfstoffe liefern. www.helmholtz-hzi.de