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Durch Linguistik verlorene Geschichte rekonstruieren

21.01.2025

Seit Dezember 2024 Gast an der Uni Würzburg: Dr. Shuan Osman Karim ist Sprachwissenschaftler und Experte für iranische Sprachen. Ein Humboldt-Stipendium ermöglicht es ihm, am Lehrstuhl von Professor Daniel Kölligan zu forschen.

Shuan Karim analysiert Sprachvarietäten aus dem Gorani-Zweig der iranischen Sprachfamilie.
Shuan Karim analysiert Sprachvarietäten aus dem Gorani-Zweig der iranischen Sprachfamilie. (Bild: Martin Brandstätter / Universität Würzburg)

Viele werden einen politischen Kontext zum Iran herstellen, wenn sie das Wort „iranisch“ lesen. In den Medien fällt der Begriff überwiegend, wenn es über den nahöstlichen Staat etwas zu berichten gibt. Forschende der Linguistik verwenden das Wort in ihrem Alltag anders: Der iranische Zweig der indoeuropäischen Sprachen umfasst mehr als 60 Einzelsprachen, die überwiegend in Vorderasien beheimatet sind. Das Gebiet erstreckt sich insgesamt vom Osten der Türkei über den Iran bis hin zu einer Randregion im äußersten Westen Chinas.

Dr. Shuan Karim setzt sich mit einigen Vertreterinnen dieser Sprachfamilie auseinander, die überwiegend im kurdischen Raum vorkommen. Seit Dezember 2024 ist er zu Gast bei Professor Daniel Kölligan, Leiter des Lehrstuhls für Vergleichende Sprachwissenschaft an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU). Den Aufenthalt ermöglicht ihm ein zweijähriges Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung. Sein Projekt an der JMU läuft unter dem Titel „Eine historische Grammatik des Gorani“. Der Unterzweig der iranischen Sprachen ist in seinen Varietäten mit etwa 500.000 Sprecherinnen und Sprechern im Irak und im Iran beheimatet.

Mit seiner Forschung will er einen Mythos dekonstruieren: „Dargestellt wird der Nahe Osten häufig als immerwährender Konfliktherd, wo wenige hegemonische Gruppen ihre Sprache, Kultur und Religion den einheimischen Völkern aufzwängen. Rekonstruktionen aus der Sprachhistorik zeigen, dass es eine lange Geschichte der Mehrsprachigkeit in der Region gab. Aramäisch sprechende Christen und Juden lebten mit Sprecherinnen und Sprechern iranischer Sprachen harmonisch beisammen; sie lernten die Sprache des jeweils anderen und prägten dadurch auch deren Kultur nachhaltig“, so Karim.

Die früheren Stadien von Gorani rekonstruieren

Als Grundlage seiner Arbeit dienen Sprachvarianten des Gorani-Zweigs des iranischen Sprachbaums. Auch wenn er als Historischer Linguist forscht, ist seine Herangehensweise alles andere als klassisch: „Viele Sprachhistorikerinnen und -historiker versuchen, möglichst die ältesten Schichten einer Sprache zu rekonstruieren. Am berühmtesten ist diese Untersuchung des Indoeuropäischen, das nach einigen Schätzungen bis 7000 v. Chr. zurückreicht. Sie sind an unseren Ursprüngen und unserer Heimat interessiert. Dieses akademische Unterfangen ist nobel, aber bei vielen der heute gesprochenen Sprachen wissen wir wenig über deren Sprecherinnen und Sprecher, wenn wir mehrere Jahrzehnte zurückschauen. Ich habe meine Karriere in der Linguistik der Rekonstruktion der näheren Geschichte gewidmet“, sagt der Stipendiat.

Er ist einen anderen Weg gegangen: Er fokussiert sich auf lebendigen Sprachen und deren Sprecherinnen und Sprecher. Das Projekt erfordert dabei Konzentration und Liebe zum Detail: „Das Stipendium erlaubt mir zum Glück, mich vollkommen auf meine Arbeit zu konzentrieren. Professor Kölligan steht mir dabei als Mentor zur Seite. Seinen Rat und seine Unterstützung schätze ich sehr“, so Karim.

Per Umweg nach Würzburg

Mit dem Humboldt-Stipendium kam Karim über Umwege an die JMU: „Zunächst war die Universität Frankfurt als Forschungsstandort angedacht. Da jedoch meine dortige Gastgeberin, Professorin Saloumeh Gholami, nach Cambridge wechselte, habe ich das Team von Professor Daniel Kölligan gewählt“, so der Linguist. Da sich die beiden Linguisten bereits auf mehreren Konferenzen begegnet waren und Shuan Karim Kölligans Arbeit schätzt, sei ihm die Entscheidung leichtgefallen.

Lebenslauf des Linguisten

In Texas aufgewachsen, unterrichtete Shuan Karim im Jahr 2007 Englisch im Irak. Dort brachte er sich selbst Kurdisch bei. Zurück in den USA verfolgte er anschließend eine Karriere als Koch. 2012 wagte er den Schritt in eine akademische Laufbahn: An den Universitäten in Austin und Ohio studierte er Linguistik und schloss seine Promotion 2021ab. Seine Dissertation trägt den Titel: The synchrony and diachrony of New Western Iranian nominal morphosyntax.

Ab 2021 gab der Sprachwissenschaftler zwei Jahre lang Einführungskurse in Linguistik an einer High School in Columbus, Ohio. Als Postdoc arbeitete er 2023 an einem vom Europäischen Forschungsrat geförderten Projekt der Universität Cambridge mit, bis er im Dezember 2024 mit einem Alexander von Humboldt-Stipendium an die JMU gewechselt ist.

Von Martin Brandstätter

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