Durchbruch im Verständnis des Schlaganfalls
01.09.2020Einem Team der Uniklinik Würzburg ist es gelungen, im Gehirn direkt nach einem Blutgefäßverschluss ein neues Bindemolekül zu entdecken. Damit erhofft man sich einen neuen Ansatz für die Medikamentenentwicklung bei Schlaganfällen.
Ischämische Schlaganfälle entstehen durch den plötzlichen Verschluss eines hirnversorgenden Blutgefäßes. „Zwar können wir mit einem winzigen Katheter den Gefäßverschluss eröffnen und damit gerade schwer betroffenen Patienten wirkungsvoll helfen. Dennoch bleiben viele Patienten, bei denen auch die Gefäßwiedereröffnung nicht genug Gehirngewebe retten kann“, schildert Professor Mirko Pham, der Leiter des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie am Uniklinikum Würzburg (UKW).
Mit den Gründen hierfür beschäftigte sich ein interdisziplinäres Forschungsteam des UKW unter Beteiligung von Experten der Neurologie und Neuroradiologie sowie des Instituts für Klinische Epidemiologie und Biometrie und des Instituts für experimentelle Biomedizin der Uni Würzburg. Die in der Studie gewonnenen, wegweisenden Erkenntnisse publizierten sie Ende Juli dieses Jahres in der Online-Ausgabe von „Circulation Research“, einem der weltweit führenden wissenschaftlichen Fachmagazine für Herz-Kreislauf- und Schlaganfallerkrankungen.
CD84 steigert die Aktivität von Entzündungszellen
„Grundsätzlich geht man davon aus, dass trotz Wiederherstellung des Blutflusses in der Mikrozirkulation, d.h. dem nachgeschalteten Geflecht kleiner Gefäße im Gehirn, gewebszerstörende Prozesse einfach weiterlaufen und dadurch in vielen Fällen die Rettung von Hirngewebe verhindert oder zunichtegemacht wird“, erklärt Professor Guido Stoll, Leiter der AG Schlaganfall und Neuroinflammation der Neurologischen Klinik des UKW.
„Aus früheren Studien wissen wir, dass durch Thrombozyten – also Blutplättchen – und Lymphozyten gelenkte Entzündungsprozesse entscheidend für das fortschreitende Infarktwachstum sind“, berichtet Dr. Michael Schuhmann. Der Leiter des Klinischen Labors der Neurologischen Klinik und Erstautor der Studie fährt fort: „Wir konnten jetzt mit CD84 das erste Molekül entdecken, das die Aktivität von Thrombozyten und T-Lymphozyten direkt nach einem akuten Schlaganfall verknüpft.“
Die Wissenschaftler arbeiteten zunächst mit Mäusen, denen das Gen für CD84 fehlt. Bei den Tieren waren die Hirnschäden nach einem Schlaganfall deutlich reduziert und es wurden deutlich weniger dieser spezifischen Entzündungszellen vom minderdurchbluteten Gehirn angelockt. Mithilfe von Zellkulturexperimenten konnte dann gezeigt werden, dass das von Thrombozyten freigesetzte CD84-Molekül die Aktivität von T-Lymphozyten steigert.
Blutproben aus dem Gehirn
Eine Besonderheit dieser Arbeit ist es, dass dieses Molekül nicht nur durch experimentelle Grundlagenforschung entdeckt wurde, sondern auch unmittelbar im Schlaganfall beim Menschen nachgewiesen wurde. Dies gelang durch die Mikrokatheter, mit denen auch die Behandlung zur Gefäßwiedereröffnung durchgeführt wird. Mit ihnen konnten die Würzburger Wissenschaftler unschädlich wenige Tropfen Blut genau aus dem minderdurchbluteten Gehirnareal abnehmen.
Ein weiteres Ergebnis der Studie: Große Mengen von CD84 auf der Thrombozytenoberfläche korrelieren mit einem schlechten neurologischen Ergebnis bei Schlaganfallpatienten.
Professor Bernhard Nieswandt, Sprecher des Würzburger Sonderforschungsbereichs (SFB) Transregio 240, der an der Studie maßgeblich beteiligt ist, betont, dass „diese Arbeit ohne die interdisziplinäre Zusammenarbeit innerhalb des Transregio 240 nicht möglich gewesen wäre und die Stärke der Verbundforschung unterstreicht.“
Vielversprechende Therapieidee: CD84 blockieren
Zusammengenommen erscheint CD84 als vielversprechender Ansatz für zukünftige Medikamente in der Schlaganfalltherapie. Derzeit arbeiten die Würzburger Forscher an gegen CD84 gerichtete Antikörper – der erste wichtige Schritt in der konkreten Medikamentenentwicklung. Besonders in der Schlaganfallforschung kommt der Sicherheit neuer Medikamente eine entscheidende Bedeutung zu.
Vor diesem Hintergrund sagt Dr. David Stegner, Nachwuchsgruppenleiter am Institut für Experimentelle Biomedizin und Letztautor der Studie: „Das Fehlen von CD84 wirkt sich nicht auf die Blutungsneigung von Mäusen aus. Daher gehen wir davon aus, dass eine Blockade von CD84 nicht zu Blutungskomplikationen bei Patienten führen würde.“ Nach seinen Worten spricht vieles dafür, dass CD84 nicht nur beim Schlaganfall, sondern auch bei vielen anderen häufigen und schwerwiegenden Gefäßerkrankungen eine wichtige Rolle spielt. „Das erforschen wir zurzeit im Verbund mit verschiedenen Disziplinen der medizinischen Forschung“, so Stegner.
Publikation
Schuhmann MK, Stoll G, Bieber M, Vögtle T, Hofmann S, Klaus V, Kraft P, Seyhan M, Kollikowski AM, Papp L, Heuschmann P, Pham M, Nieswandt B, Stegner D. „CD84 links T cell and platelet activity in cerebral thrombo-inflammation in acute stroke“. Circulation Research, 30. Juli 2020
Förderung
Finanziell gefördert wurde die Arbeit im Würzburger Sonderforschungsbereich TR/SFB 240, der sich mit der Rolle von Thrombozyten in verschiedenen Erkrankungen befasst.
Kontakt
Dr. David Stegner, Lehrstuhl für Experimentelle Biomedizin, Universitätsklinikum Würzburg, T +49 931 – 31 80419, stegner@virchow.uni-wuerzburg.de