Ein Stück Heimat vermitteln
16.05.2017Vor drei Jahren kam Zerina Rizvic aus Bosnien an die Uni Würzburg, um den Master in Germanistik zu studieren. Von Anfang an unterstützte sie ausländische Studierende als Tutorin im International Office: für sie eine Herzensangelegenheit.
Ihre Familie war sich sicher, dass Zerina nach dem Abitur Medizin oder Architektur studieren würde. Vielleicht auch Jura. „Die Noten hatte ich. Auf dem philologischen Gymnasium war ich Jahrgangsbeste“, erzählt die 25-Jährige. Entgegen aller Erwartungen hat sie sich dann für Germanistik entschieden. Sie habe etwas studieren wollen, mit dem sie einmal sicher ins Ausland gehen könne, wie sie sagt.
Deutsch ist in Zerinas Heimatland Bosnien weit verbreitet – in ihrer Familie ist sie dennoch die Einzige, die sich für die Sprache interessiert. Umso überraschender war dann die Entscheidung der Studentin: „Meine Eltern haben das nicht so ganz verstanden, dass ich Geisteswissenschaften studieren wollte“, so Zerina und lacht. Inzwischen fänden sie es aber gut und seien stolz, dass sie es so weit gebracht habe.
Früh in die Selbstständigkeit
Im Alter von achtzehn habe es sie für das Bachelorstudium in die Hauptstadt, nach Sarajevo gezogen, wie Zerina erzählt. In dieser Zeit sei ihr etwas klar geworden: „Meine Heimatstadt ist keine Option mehr für mich. Sie ist zu klein.“ Am Anfang sei das Studium hart gewesen. Mehr als einmal hätte sie am liebsten alles hingeschmissen und etwas anderes studiert.
„Viele meiner Kommilitonen haben schon richtig gut deutsch gesprochen“, sagt sie. Sie selber habe nur die Kenntnisse aus der Schule gehabt. „Teilweise habe ich sechs Stunden für einen Text gebraucht, den die anderen in zwei gelesen hatten.“ Mit Durchhaltevermögen und Disziplin habe sie sich die Sprache quasi selber beigebracht. „Der eigentliche Spracherwerb hat dann erst in Deutschland begonnen“, so Zerina.
Partnerschaft zwischen Sarajevo und Würzburg
Seit 2014 ist die junge Frau jetzt in Würzburg. Mit Hilfe eines DAAD-Stipendiums konnte sie in Deutschland studieren. Ihren Master in der Germanistik hat sie bereits im Sommer 2016 abgeschlossen. Jetzt studiert sie noch einen Master in der Europäischen Ethnologie und Volkskunde. „Dafür habe ich ein weiteres Stipendium bekommen, eines der gemeinnützigen Hermann-Niermann-Stiftung“, erzählt sie.
Als die Studentin in Würzburg an die Uni kam, habe sie wenige Probleme gehabt, wie sie sagt. Durch ein Partnerschaftsprogramm, das zwischen ihrer Heimatuni in Sarajevo und der Julius-Maximilians-Universität besteht, habe sie die Strukturen schon gekannt. „Ich wurde also nicht komplett ins kalte Wasser geschmissen, wie andere ausländische Studierende.“
Besonders schön an der Partnerschaft sei, dass Professoren und Dozenten aus ihrem Heimatland regelmäßig nach Würzburg kommen. „Wenn ich mal Probleme habe, kann ich mich an sie wenden“, erzählt Zerina. Außerdem sei es auch schön, Leute aus dem eigenen Land zu treffen.
In Würzburg studiert man nicht nur
Was der Unterschied zwischen den Unis sei? Fachlich beinhalte das Germanistikstudium in ihrem Heimatland mehr literaturwissenschaftliche Elemente sowie einen Einblick in die Kulturwissenschaften. Dieses Wissen aus ihrem Bachelorstudium habe ihr in der Europäischen Ethnologie und Volkskunde sehr weitergeholfen, wie sie sagt.
Hier in Würzburg ist Zerina davon begeistert, dass man neben dem Studium als Tutor oder Hiwi arbeiten kann. „Man bekommt eine ganz andere Einsicht in das Fach selbst. Als normaler Student bleibt einem der verwehrt.“ In Bosnien sei das nicht üblich, wie sie sagt. Da habe man keine Zeit, neben dem Studium zu arbeiten. Zu komplex sei der Stundenplan.
Wie es nach dem Studium weitergehen soll, weiß die 25-Jährige noch nicht genau. Sie habe viele Praktika in unterschiedlichen Bereichen gemacht, um sich zu orientieren. „Auf jeden Fall möchte ich Promovieren“, sagt sie. „Vielleicht im Bereich der Interkulturalität.“ Sie könne sich danach auch eine Anstellung bei der Europäischen Kommission vorstellen.
Tutorin im International Office
Mit unterschiedlichen Kulturen und dem Umgang mit anderen Studierenden, die aus dem Ausland kommen, kennt sich die Studentin aus: Seit dem ersten Semester arbeitet sie als Tutorin im International Office der Universität Würzburg. „Wir sind in der Regel die ersten Kontakte, die die Studierenden hier haben“, erzählt Zerina. „Wir sind am Anfang ein Stück Heimat.“
Sie hatte damals keine Ahnung von dem Tutorenprogramm. Hat alles alleine organisiert, die Stadt alleine erkundet. „Zu zweit ist es aber schöner“, weiß die Studentin heute. Zur Betreuung in den ersten Tagen zählen neben dem Abholen der Wohnheimsschlüssel vor Ankunft auch der Transport vom Bahnhof zur Unterkunft, die Unterstützung bei Behördengängen und das Einschreiben an der Uni.
Interkulturelle Erfahrungen sammeln
Neben ihrem Masterstudium und der Arbeit als Tutorin an der Uni Würzburg gibt sie Geflüchteten Deutschunterricht. „Als ich nach Würzburg kam, wollte ich nicht nur studieren. Ich wollte das machen, was man im Ausland so machen soll. Sich engagieren und interkulturelle Erfahrungen sammeln.“ Das sei mit ein Grund für die Tutorenstelle im International Office gewesen und auch für die Arbeit mit den Geflüchteten, wie sie sagt.
Die meisten ihrer Schützlinge an der Universität kommen aus der Türkei, China und Japan. „Das ist das Interessante, dass man ständig mit neuen Leuten aus den verschiedensten Ländern zu tun hat.“ Die Vielfältigkeit der Mentalitäten sei das, was ihr am besten gefalle, wie sie sagt. Schön sei, wenn man sieht, wie die Studierenden während eines Semesters aufblühen. „Am Ende der Vorlesungszeit begegnet man oft bekannten Gesichter im Bus oder in der Stadt und sie sehen glücklich und zufrieden aus“, so Zerina. „So, als wären sie schon ewig hier."