Ein Stück Wahnsinn: Reality TV
29.01.2019Für ihre Masterarbeit in den American Cultural Studies analysiert Studentin Hanna-Luna Braunewell die US-Doku-Soap „The Real Housewives“.
„Ich habe aufgehört, deutsches Fernsehen zu gucken“, sagt die Würzburger Studentin Hanna-Luna Braunewell. Das heißt aber nicht, dass sie eine Fernsehfeindin wäre – ganz im Gegenteil. Mit US-amerikanischen Serien und Reality-Formaten kennt sie sich ziemlich gut aus. „Wenn da die Emotionen hochkochen und Konflikte eskalieren, das ist ein Stück Wahnsinn, der in den deutschen Serien fehlt“, sagt sie. Hanna-Luna hat sich schon als Teenager für die Gesellschaft und die Kultur der USA interessiert. Kein Wunder also, dass sie Anglistik und Amerikanistik studiert.
Am Masterstudium in Würzburg gefällt ihr, dass es viele Freiheiten bietet. Vom zeitlichen Ablauf her bleibe genug Luft, um auch speziellen Interessen nachzugehen. „Und wenn man möchte, kann man sich von Anfang an spezialisieren.“ Hanna-Luna hat sich für American Cultural Studies entschieden. Dieses Fach wird von Professorin Mary Ann Snyder-Körber vertreten.
Kamerateam begleitet betuchte Hausfrauen
In ihrer Masterarbeit beschäftigt sich Hanna-Luna – wie könnte es anders sein – mit einer amerikanischen Doku-Soap. Das Format heißt „The Real Housewives“ und läuft in den USA auf Bravo TV. In Deutschland ist die Serie weitgehend unbekannt. Die Kameraleute begleiten betuchte Hausfrauen in ihrem Alltag, in ihren Freundschaften mit anderen Frauen, bei Unternehmungen und – vor allem – bei den Konflikten, die sich unter den Frauen entwickeln.
Streit, Tratsch und Lästereien also? Es gibt sicher Leute, für die „Real Housewives“ keine Kultur ist, sondern Müll. Hanna-Luna und ihre Professorin gehören nicht dazu. Als Kulturwissenschaftlerinnen sehen sie das differenzierter: „„Man kann immer eine Schere zwischen Hochkultur und Popkultur konstruieren, aber man muss das nicht tun. Und man muss diese Fernsehformate nicht mögen, aber man kann sie ernst nehmen.“ Das hat die Amerikanistikstudentin in ihrer Masterarbeit getan. Sie zeigt zum Beispiel auf, dass auch die „Housewives“ Qualitätskriterien erfüllen, für die Serien wie „The Sopranos“ oder „Breaking Bad“ als hochwertig eingestuft werden – etwa für die erzählerische Komplexität. Die sei in der Hausfrauen-Soap nämlich durchaus vorhanden.
Atlanta: Eine Ausnahme im Housewives-Universum
Die Serie hat in den USA rund zehn Ableger, die in jeweils anderen Städten angesiedelt sind. Hanna-Luna betrachtet vor allem die „Real Housewives of Atlanta“. Von dieser Variante der Serie gibt es mindestens 200 Episoden a 40 Minuten – mehr als genug Stoff also für eine Studie.
Die Frauen aus Atlanta sind eine Ausnahme im Housewives-Universum, weil sie alle afroamerikanisch sind. Nur in den ersten Staffeln war auch eine weiße Hausfrau dabei. Das ist ein weiterer Punkt, der die kulturwissenschaftliche Beschäftigung mit diesem TV-Erzeugnis interessant macht. „Der Unterschied in der Hautfarbe ist in den ersten Staffeln immer wieder ein Thema“, sagt Hanna-Luna. Wie die Frauen diesbezüglich diskutieren und streiten, dränge immer wieder Fragen auf, die auch in der aktuellen Politik und Wissenschaft zentral sind.
Der Rassismus-Aspekt spielt aber nicht die Hauptrolle in Hanna-Lunas Masterarbeit. Sie betrachtet die Serie auch unter allgemeineren Gesichtspunkten zum Thema Identität: Was für ein Selbstbild haben die Frauen von sich, was für ein Bild haben sie von den anderen? Wie grenzen sie sich untereinander ab, welche Rolle spielen dabei Ethnie, Sozialstatus und andere sogenannte Identitätsmarker? Wenn Hanna-Luna von ihrer Arbeit erzählt, wird klar: Kulturwissenschaft ist vielfältig; sie umfasst immer auch Aspekte aus anderen Feldern wie Geschichte, Psychologie oder Medienwissenschaft.
Authentisch oder nicht?
Wie aber steht es um die Glaubwürdigkeit der „Real Housewives“? Die auftretenden Frauen sind angeblich „echt“ und keine Schauspielerinnen, die Handlung soll dem Alltag folgen und nicht einem Drehbuch. Ob das stimmt?
„Die Emotionen, die in der Serie aufkochen, die können nicht gelernt oder auswendig aufgesagt sein, das merkt man beim Sehen“, sagt Hanna-Luna. Echt oder nicht, das spiele für ihre Masterarbeit ohnehin keine Rolle. Denn es gebe keine zuverlässige Methode, um die Authentizität eines Menschen zu erkennen oder zu messen. In Zeiten von Instagram und anderen Social Media sei das noch komplizierter geworden: Die Abgrenzung zwischen „echtem“ Ich und „gespielter“ Rolle, zwischen realer Welt und Fiktion ist schwieriger denn je.