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Forschung an einer vergessenen Schrift

10.09.2024

Vor gut einem Jahr haben Sprachwissenschaftler der Universitäten Würzburg und Köln ein rätselhaftes Schriftsystem entziffert. Mit Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung können sie nun weiter daran arbeiten.

Schriftzeichen auf einem Felsen in der Almosi-Schlucht in Tadschikistan.
Schriftzeichen auf einem Felsen in der Almosi-Schlucht in Tadschikistan. (Bild: Bobomullo Bobomulloev)

„Forschungsgruppe entschlüsselt rätselhafte antike Schrift der Kushana“: Unter dieser Überschrift stand eine Pressemitteilung, die im Sommer 2023 für Furore gesorgt hat. Einem Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universitäten Köln und Würzburg war es gelungen, eine Schrift zu entschlüsseln, die der Wissenschaft seit über siebzig Jahren Rätsel aufgegeben hatte: die sogenannte „unbekannte Kuschana-Schrift“.

Jetzt können die beiden Verantwortlichen – Dr. Jakob Halfmann vom Institut für Altertumswissenschaften der Universität Würzburg und Dr. Svenja Bonmann vom Institut für Linguistik der Universität zu Köln – weiter an dieser Schrift forschen. Die Fritz Thyssen Stiftung unterstützt sie dabei in den kommenden zwei Jahren mit 200.000 Euro.

Forschung in Tadschikistan, Usbekistan und Kasachstan

„Dank dieser finanziellen Unterstützung können wir nun weitere Inschriften der sogenannten Issyk-Kuschana-Schrift in Tadschikistan, Usbekistan und Kasachstan untersuchen“, erklärt Jakob Halfmann. Gemeinsam mit seiner Kölner Kollegin und Teams vor Ort plant Halfmann zum einen, bereits identifiziertes Inschriftenmaterial in Museumssammlungen zu untersuchen.

Zum anderen will die Gruppe vielversprechende Funde in den drei Ländern dokumentieren, bei denen vermutet wird, dass es sich um Zeugnisse des Schriftsystems handelt. Die Phasen der Feldforschung werden sich mit Analyse- und Auswertungsphasen in Deutschland abwechseln.

Das Forschungsprojekt „A Digital Corpus of the Issyk-Kushan inscriptions“ startet am 1. Januar 2025 und läuft zunächst zwei Jahre mit der Option auf Verlängerung um ein weiteres Jahr. Die bewilligten Mittel in Höhe von 200.000 Euro werden auf beide beteiligten Universitäten aufgeteilt.

Ein mehr als 2.000 Jahre altes Schriftsystem

Zum Hintergrund: In einem Gebiet, das sich vom kasachischen Ili-Tal bis in den südlichen Hindukusch erstreckt, wurden bei archäologischen Ausgrabungen seit Ende der 1950er-Jahre mehrere Dutzend Inschriften in einem nicht entzifferten Schriftsystem entdeckt, das man später als „Unbekannte Schrift“ bezeichnete. Die meisten Funde dieser Art datieren aus der Zeit vom 2. Jahrhundert v. Chr. bis zum 3. Jahrhundert n. Chr. Von der Wissenschaft wurden sie dem historischen Baktrien zugeordnet – einer Landschaft um die ehemalige Hauptstadt Baktra, die sich heute über Teile Afghanistans, Tadschikistans und Usbekistan erstrecken würde.

Bonmann und Halfmann hatten mit einer weiteren Kollegin 2022/23 das Rätsel gelöst und das Schriftsystem teilweise entschlüsselt. Sie nutzten eine in der tadschikischen Almosi-Schlucht kurz zuvor aufgefundene zweisprachige Inschrift (Almosi-Bilingue) und eine um 1960 unweit von Kabul entdeckte dreisprachige Inschrift (Dašt-i Nāwur Trilingue). Ihr Ergebnis gilt als die erste erfolgreiche Entzifferung eines Schriftsystems seit siebzig Jahren.

Die vorläufigen Untersuchungsergebnisse legen nahe, dass die Schrift zumindest im Bereich ihrer Fundorte zur Aufzeichnung einer bisher unbekannten mitteliranischen Sprache gedient hat. Bonmann und Halfmann gaben der neu identifizierten Sprache den provisorischen Namen „Eteo-Tocharisch“, wobei sie sich auf die in antiken Quellen beschriebenen Yuezhi-Tocharer beziehen. Für die vormals „Unbekannte Schrift“ schlugen sie den Namen „Issyk-Kuschana-Schrift“ vor, da ihr Zusammenhang mit der Herrscherdynastie des zentralasiatischen Kuschana-Reichs unbestreitbar ist.

Suche nach neuen Inschriften

„Unsere jetzt geplanten Forschungsaufenthalte sollen dazu beitragen, das linguistische Verständnis der Issyk-Kushana-Schrift zu vertiefen, die Arbeit an der teilweise gelungenen Entzifferung des Schriftsystems fortzusetzen und eine digitale Edition aller Issyk-Kuschana-Inschriften zu erstellen“, beschreibt Jakob Halfmann das Ziel der Arbeiten.

Dabei erarbeitet er gemeinsam mit Svenja Bonmann eine komplette Sammlung der „eteo-tocharischen“ Quellentexte mit Katalog und etymologischem Wörterbuch der Sprache. Ferner suchen die beiden in Kooperation mit zentralasiatischen Archäologen nach neuen Inschriften, um das lnschriftencorpus nach Möglichkeit um bedeutende Neufunde zu erweitern. In diesem Zusammenhang hat ihr Kooperationspartner von der Tadschikischen Akademie der Wissenschaften mehrere aussichtsreiche Fundplätze lokalisiert, etwa einen Ort im Hissar-Gebirge namens Sang-i Navišta, was so viel bedeutet wie „beschriebener Fels“.

Die Forschungsförderung erlaubt dem Team die digitale Erschließung, Sicherung und Erforschung bereits bekannter lssyk-Kuschana-lnschriften in Kombination mit einer Exploration potenzieller neuer Fundstätten. Die Ergebnisse werden ihnen die Chance eröffnen, mehr über die linguistische Frühgeschichte Zentralasiens zu erfahren und die Issyk-Kuschana-Schrift möglichst vollständig zu entziffern. Das wiederum würde neue historische Forschung über das Kuschana-Reich ermöglichen.

Kontakt

Dr. Jakob Halfmann, Universität Würzburg, Lehrstuhl für Vergleichende Sprachwissenschaft, T: +49 931 31-88190, jakob.halfmann@uni-wuerzburg.de

Von Eva Schissler (Universität zu Köln) / Gunnar Bartsch

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