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Fotogedichte in Illustrierten zwischen 1895 und 1945

23.04.2024

Fotogedichte sind eine Literaturgattung, die bisher weitgehend unbeachtet geblieben ist. Am Lehrstuhl für neuere deutsche Literaturgeschichte wird sie nun erstmals systematisch erforscht.

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Beispiele für Fotogedichte: rechts Erich Kästners „Sofa-Song“ aus der Berliner Illustrierten UHU von 1933, links Max Kolpes „Sommerliche Betrachtung“ aus dem Welt-Spiegel, einer Beilage des Berliner Tageblatts von 1929. (Bild: zefys.staatsbibliothek-berlin.de / www.arthistoricum.net)

„Song auf Tante Berthas gutes Sofa“: So heißt ein Gedicht, das Erich Kästner im April 1933 in der Berliner Illustrierten UHU veröffentlicht hat. Seine Verszeilen stehen dort unter einem Schwarz-Weiß-Foto von einem ausrangierten Sofa, das in einem Waldstück vor sich hin rottet.

„Ein Sofa steht im Walde, ganz still und stumm“, so startet das Gedicht – und lehnt sich damit offensichtlich an den Text und die Melodie von „Ein Männlein steht im Walde“ an. Kästner beschreibt, wie das Sofa unter dem Wetter leidet und sein früheres Heim vermisst. „Es hustet vor sich hin und stöhnt. Es ist das Klima nicht gewöhnt.“ Und am Ende: „Ein Sofa steht im Walde und sehnt sich heim. Ein Sofa geht im Walde allmählich aus dem Leim.“

Kästners bebilderter Song auf das Sofa ist ein Beispiel für eine spezielle Literaturgattung, das Fotogedicht. „Die Literatur- wie auch die Medienwissenschaft haben diese Gattung bislang weitgehend ignoriert“, sagt Professorin Stephanie Catani, Leiterin des Lehrstuhls für neuere deutsche Literaturgeschichte an der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg.

DFG-Förderung in Höhe von 495.000 Euro

Das wird sich nun ändern: Die Professorin und der Akademische Direktor an ihrem Lehrstuhl, Dr. Michael Will, starten in Zusammenarbeit mit dem Würzburger Zentrum für Philologie und Digitalität (ZPD) ein Projekt, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit 495.000 Euro gefördert wird. Sie befassen sich darin mit deutschsprachigen Fotogedichten im Zeitraum von 1895 bis 1945 – in diesen Jahrzehnten war die Gattung in illustrierten Zeitungen, Zeitschriften und Magazinen besonders stark vertreten.

In der Blütezeit der Gattung veröffentlichten auch prominente Schriftstellerinnen und Schriftsteller regelmäßig Fotogedichte in Illustrierten. Neben Erich Kästner waren das zum Beispiel Bertolt Brecht, Vicki Baum, Hermann Hesse, Klabund, Joachim Ringelnatz oder Kurt Tucholsky. „Zum Teil sind diese Originalbeiträge bis heute nicht in den Werkausgaben der Autorinnen und Autoren als Bild-Text-Kombination publiziert“, sagt Stephanie Catani.

Aber auch unbekanntere Autorinnen und Autoren wie Max Kolpe, Joe Lederer, Charlie K. Roellinghoff, Edith Hamann oder Robert Harrer waren auf dem Gebiet der Fotolyrik hochproduktiv. Ihnen gebührt nach Ansicht der Würzburger Forschenden eine „literaturhistorische Rehabilitierung“ – damit meinen sie, dass das Werk dieser Schriftstellerinnen und Schriftsteller künftig verstärkt berücksichtigt und in dem Zusammenhang über literarische Kanonisierungsprozesse neu nachgedacht werden sollte.

Drei Ziele verfolgt das Projekt

Das neue DFG-Projekt startet im Sommer 2024 und hat eine Laufzeit von drei Jahren. Es verfolgt drei Ziele.

Erstes Ziel ist es, die zwischen 1895 und 1945 in deutschsprachigen Illustrierten erschienenen Fotogedichte möglichst vollständig in einem Korpus zu erfassen. Schon jetzt umfasst das bilddigitalisierte Korpus mehr als 3.000 Fotogedichte – doch es ist von einem Gesamtbestand im fünfstelligen Bereich auszugehen, der im Projekt erschlossen werden soll. Das soll in Kooperation mit Bibliotheken und durch eine umfangreiche Archivrecherche ermöglicht werden. Zentrale Kooperationspartner sind die Deutsche Nationalbibliothek Leipzig, die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, die Bayerische Staatsbibliothek München, die Universitätsbibliothek Heidelberg sowie die Österreichische Nationalbibliothek in Wien und die Bibliothek der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. Die ermittelten Fotogedichte sollen bibliografisch erfasst, in Form von Scans fixiert und für die OCR-Erkennung und die Einspeisung in die Metadatenbank vorbereitet werden.

Zweites Ziel des Projekts ist die Erstellung einer Metadatenbank zum Korpus, die in Zusammenarbeit mit dem Würzburger ZPD ermöglicht wird. Die Fotogedichte sollen OCR-erfasst, in einer relationalen Datenbank systematisiert und die Bild-Komponenten semantisch erschlossen werden. Ziel ist die detailgenaue Erschließung aller relevanter Metadaten des Gesamtkorpus, zum Beispiel Autorinnen und Autoren, Fotografinnen und Fotografen, Erscheinungsjahr, Fundort, Entstehungskontext etc. Diese Metadaten werden in der Datenbank für die interdisziplinäre Forschungsarbeit aufbereitet, transparent veröffentlicht und nachhaltig verwaltet.

Drittes Ziel ist es, mit dieser qualitativen und quantitativen Grundlagenforschung die Basis für die im Aufbau befindliche Forschungsstelle Fotolyrik an Stephanie Catanis Lehrstuhl zu legen. Hier soll die Geschichte deutschsprachiger Fotogedichte systematisch erarbeitet und die Bild-Text-Kombinationen erstmalig als selbstständige ästhetische Gattung erforscht werden.


Kontakt

Prof. Dr. Stephanie Catani, Lehrstuhl für neuere deutsche Literaturgeschichte, Universität Würzburg, stephanie.catani@uni-wuerzburg.de

Weblink

Forschungsstelle Fotolyrik an der JMU

Von Robert Emmerich

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