Für zehn Minuten ins All
07.03.2017Fünf Studierende der Universität Würzburg haben sich für das Programm „REXUS/BEXUS“ des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt qualifiziert. Mitte März startet eine Forschungsrakete mit ihrem Experiment an Bord ins All.
Selbst ein System für die Luftfahrttechnik entwickeln, es mit eigenen Händen zusammenbauen und dann für eine Testphase mit einer Rakete ins Weltall schießen: Das ermöglicht das Studierendenprogramm „REXUS/BEXUS“ des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR).
Mit „RaCoS“ hat sich nun schon das dritte Team der Universität Würzburg für den jährlich stattfindenden Raketenflug qualifiziert. Unterstützt wurde es dabei von Professor Sergio Montenegro, Inhaber des Lehrstuhls für Informationstechnik für Luft- und Raumfahrt.
Drehratenkontrollsystem entwickelt
„Wenn eine Rakete startet, dreht sie sich rasend schnell um die eigene Achse. Nur so kann sie den Weg ins Weltall bewältigen“, erklärt Florian Wolz, Projektleiter von „RaCoS“. Ist sie oben angekommen, hört sie nicht auf zu rotieren. Sie dreht sich mit 30 Grad pro Sekunde stetig weiter und fliegt ungelenkt durchs All.
Möchten Wissenschaftler zum Beispiel Fotos oder Videos von der Rakete aus aufnehmen, kann die sogenannte Restdrehung zu unscharfen Bildern führen. Hier setzt das Projekt der fünf Luft- und Raumfahrtinformatik-Studierenden der Universität Würzburg an. Mit ihrem „Rate Control System“ (RaCoS), zu Deutsch „Drehratenkontrollsystem“, wollen sie die Eigenrotation der Rakete stoppen.
Steuerung über Druckgas
Zu diesem Zweck haben Florian Wolz, Tobias Zaenker, Marion Engert, Tobias Wahl und Dennis Kaiser ein Kaltgassystem entwickelt. Über Düsen stößt das System gezielt unter hohem Druck stehendes Gas aus. Durch den Rückstoß des ausströmenden Gases kann die Drehrate der Rakete kontrolliert und beeinflusst werden. Für große Raketen gibt es solche Systeme schon, im Kleinformat jedoch nicht.
Gebaut wurde das Kaltgassystem ausschließlich aus handelsüblichen Teilen. Der 0,7-Liter-Tank mit einem Gasdruck von 200 Bar stammt aus einem Paintball-Gewehr. Die elektrischen Magnetventile, über die der Gasstrom reguliert wird, werden in der Industrie verwendet und wurden speziell für den Einsatz im Vakuum entwickelt. Gefüllt ist der Tank mit Stickstoff. Ein Algorithmus berechnet automatisch die Öffnungszeit der Magnetventile.
Raketenstart Mitte März geplant
Richtig spannend wird es für das RaCoS-Team Mitte März. Je nach Wetterlage startet die Höhenforschungsrakete „REXUS 22“ zwischen dem 13. und 17. März. Bereits eine Woche vorher reisen die Studierenden nach Nordschweden in das Esrange Space Center. Nach einigen letzten Tests wird die Rakete dort zusammengebaut.
Mit an Bord sind noch drei weitere Experimente. „Zwischen den einzelnen Projekten darf es keine Interferenzen geben“, erklärt Tobias Wahl. Deshalb wird schon bei der Vorauswahl auf die Kompatibilität der Erfindungen geachtet. So möchte ein anderes Team zum Beispiel die Haftung von sogenanntem Geckomaterial im Vakuum testen. Verläuft der Versuch positiv, könnten in Zukunft mit dem haftenden Material beschichtete Greifarme Weltraummüll einsammeln.
Die Rakete selbst ist sechs Meter lang und hat einen Durchmesser von 37 Zentimetern. Sie besteht aus zwei Teilen. Hinten befindet sich der Motor, der nach dem Start abgeworfen wird. Vorne sind die vier studentischen Experimente. Sie werden in Form von Modulringen direkt hinter der Spitze der Rakete aneinander gesetzt.
Der Start findet auf einem weiträumig abgesperrten Gelände im Norden Schwedens statt. So besteht keine Gefahr, wenn die Rakete kurze Zeit später wieder zur Erde zurückkehrt. Zuvor fliegt sie mit vierfacher Schallgeschwindigkeit in eine Höhe von 90 Kilometern.
Ein langer Weg
Auf den nur zehnminütigen Testflug haben die Studierenden knapp zwei Jahre lang hingearbeitet. Im Oktober 2015 hatte das Team „RaCoS“ seine Bewerbung abgegeben. Insgesamt sechs Prüfungen musste das System bestehen. Nach der Vorstellungsrunde im November 2015 mussten die Studierenden ihr Vorhaben auf 150 Seiten ausarbeiten. Qualitätsmanagement planen, Ziele formulieren und Risiken ermitteln waren Teil dieser Arbeit.
Im nächsten Schritt präsentierten die Studierenden den vorläufigen Aufbau in Papierform. Die dritte Prüfung erfolgte beim DLR in Oberpfaffenhofen – bis zu diesem Zeitpunkt musste das Design stehen. In einem vierten Schritt prüfte der DLR den Fortschritt des tatsächlichen Aufbaus im August 2016 an der Universität Würzburg. Im Dezember 2016 folgten erste große Tests. Im Januar 2017 wurden alle vier Experimente zum ersten Mal gemeinsam getestet.
Die Schwierigkeit des REXUS/BEXUS-Programms: Alle Tests müssen bestanden werden, um am Ende tatsächlich an Bord der Rakete gehen zu dürfen. Ein vorzeitiges Ausscheiden sei nicht unüblich. „Wir mussten glücklicherweise nie etwas an unserem System verbessern und sind immer direkt weiter gekommen“, erzählt Wolz. Dem Raketenstart blickt das Team deshalb zuversichtlich entgegen.
Nach dem Flug
Während des Fluges werden sogenannte Gyroskope die Drehrate der Rakete messen. So stellen die Studierenden fest, ob ihr System funktioniert hat. Die Ergebnisse wird das RaCoS-Team auf einem Symposium im Juni 2017 auf der schwedischen Insel Gotland der Öffentlichkeit vorstellen. Danach besteht die Möglichkeit, das Projekt an eine neue Gruppe Studierender zu übergeben, um es auszubauen und zu optimieren.
Florian Wolz ist bereits zum zweiten Mal Mitglied eines REXUS-Teams. „Das Studium verzögert sich durch so ein Projekt um circa ein bis zwei Semester“, erklärt der Master-Student. Aber der Aufwand lohnt sich: „Den kompletten Zyklus eines Experiments zu durchleben, ist für das Berufsleben von großem Vorteil“, weiß Tobias Wahl.
Nächstes Team am Start
Für den nächsten REXUS-Start im März 2018 hat sich bereits eine weitere Gruppe der Universität Würzburg qualifiziert. Unterstützt von Professor Hakan Kayal, hat das Team namens „Daedalus“ einen „Space Seed“ entwickelt, der einem Ahornsamen nachempfunden ist. Von der Rakete im All ausgestoßen, soll er atmosphärische Daten messen, die sonst mit Hilfe von Ballons in einer Höhe von 30 Kilometern ermittelt werden. Der Vorteil: Der „Space Seed“ startet bereits in einer Höhe von 90 Kilometern und braucht dank seiner Form keinen Fallschirm.
Das REXUS/BEXUS-Programm
Das REXUS/BEXUS Programm basiert auf einer Vereinbarung zwischen dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der schwedischen Weltraumbehörde (SNSB). Durch eine Zusammenarbeit mit der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA) ist das Programm auch für Studierende aus anderen Ländern zugänglich. Das DLR-Raumfahrtmanagement in Bonn begleitet die deutschen Teilnehmer während der gesamten Projektzeit.