Ganzkörperscan in wenigen Sekunden
19.04.2022Präzise Bilder aus dem Inneren des Körpers in Sekundenschnelle bei halber Strahlendosis: Das schafft der neue photonenzählende Computertomograph am Universitätsklinikum.
Professor Thorsten Bley wird seit Dezember 2021 von seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern jeden Tag aufs Neue überrascht. Sei es mit einem Bild vom Herzen, der Wirbelsäule oder dem Innenohr. Die Röntgenaufnahmen, die der neue Computertomograph (CT) des Universitätsklinikums Würzburg (UKW) macht, sind gestochen scharf.
„Feinste Strukturen von Steigbügel, Hammer und Amboss im Ohr, die wir im herkömmlichen CT oft nur unscharf sehen, sind exakt dargestellt, ohne Bildrauschen. Wir können die kleinen Seitenäste der Herzkranzgefäße erkennen, Ablagerungen in der Gefäßwand darstellen und sogar Gefäßstützen, sogenannte Stents, untersuchen. Selbst Tumorzellnester im Knochenmark lassen sich im neuen CT erkennen“, schwärmt der Direktor des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie.
Die Erklärung für diese noch nie da gewesene Präzision und Auflösung: Weil der Detektor des neuen CT jedes einzelne Photon zählt, das durch den Körper geschickt wird, und nicht wie seine Vorgänger die Röntgenquanten in einem Lichtstrahl bündelt.
Gefördert von der DFG, zur Forschung verpflichtet
Dabei sei das herkömmliche CT am UKW bislang das stärkste und allerbeste auf dem Markt gewesen. Es kommt auch weiterhin in der klinischen Bildgebung zum Einsatz. Denn der neue photonenzählende CT ist ein Forschungsgroßgerät, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zur Hälfte gefördert wird.
„In den nächsten fünf Jahren haben wir die Verpflichtung, mit dem Gerät das zu tun, wofür wir am Universitätsklinikum arbeiten: im Sinne unserer Patientinnen und Patienten zu forschen“, betont Bley. Der photonenzählende CT wird zunächst vermehrt in der Krebs- und Herz-Kreislauf-Bildgebung zum Einsatz kommen. Acht prospektive Studienanträge seien bereits bei der Ethikkommission eingereicht; weitere sollen folgen, so Bley.
Bessere Bilder in wenigen Sekunden bei halber Strahlendosis
Bei den Studien handelt es sich um Patientenanwendungsstudien. Im Fokus steht neben der besseren Bildqualität die reduzierte Dosis an Röntgenstrahlen pro Untersuchung. Die mögliche Reduktion ist laut Bley frappierend: Die Strahlendosis ist in günstigen Fällen halbiert, aber auch in ungünstigen Fällen ist sie deutlich geringer als im herkömmlichen CT.
Ein weiterer Vorteil des photonenzählenden CT ist die Schnelligkeit der Untersuchung. „Wir können einen Ganzkörperscan in wenigen Sekunden durchführen. Der Tisch, auf dem der Patient liegt, fährt 76 Zentimeter pro Sekunde. Der Patient merkt gar nicht, dass er schon fertig ist“, schildert Bley. Das sei gerade für kurzatmige Personen ein großer Gewinn. Statt 15 oder 20 Sekunden müssen sie nun nur noch fünf Sekunden die Luft anhalten.
Unvorstellbare Dichte an Informationen auf kleinem Raum
Ein Haken hat die Sache allerdings – noch. Die Auswertung der Bilder dauert vergleichsweise lange. Aufgrund der großen Datenmenge muss man bisweilen eine Dreiviertelstunde warten, bis alle Bildinformationen berechnet wurden.
Kein Wunder. Schließlich treffen im Detektor, an dem Siemens 20 Jahre lang getüftelt hat, 200 Millionen Photonen pro Sekunde auf einen Quadratmillimeter. Die Photonen werden nicht nur einzeln gezählt, sondern auch hinsichtlich ihrer verschiedenen Energien unterteilt. Das dauert. Mit eben diesen spektralen Informationen lässt sich das durchstrahlte Material unterscheiden und man erhält Informationen, die sonst nur mit aufwändigeren Untersuchungen im Magnetresonanztomographen (MRT) oder Positronen-Emissions-Tomographen (PET) möglich wären.
„Wir können also nicht mehr nur Knochen von Luft, Wasser oder Fettgewebe unterscheiden, da sie mehr Photonen absorbieren, wir können nun auch Sehnen sehen und bösartige Zellnester im Knochenmark erkennen. Wir können zum Beispiel erkennen, ob das natürliche Fettmark von Tumorzellen ersetzt wurde und somit die Infiltration von multiplen Myelomzellen bewerten“, sagt Bley.
Bessere Diagnostik und Behandlung in Onkologie und Kardiologie
Begeistert von den Möglichkeiten, die das neue CT mit sich bringt, ist auch Dr. Jan-Peter Grunz: „Tumore könnten frühzeitiger und besser erkannt werden, Grenzen zu gesundem Gewebe können exakter dargestellt werden, was unseren klinischen Partnern in der Chirurgie und auch der Strahlentherapie hilft.“ Mit letzterer sind bereits gemeinsame Studien in Planung. Aber nicht nur im onkologischen Bereich sieht Grunz große Vorteile im neuen CT, sondern auch in der Darstellung von knöchernen Strukturen.
Große Hoffnung setzt auch PD Dr. Bernhard Petritsch auf das neue CT. Der leitende Oberarzt der Kardiovaskulären Bildgebung hat sich schon lange intensiv mit dem Gerät auseinandergesetzt.
„Wir kooperieren seit Jahren mit dem Hersteller Siemens und forschen vor allem zu kardiovaskulären Themen, zum Beispiel an Koronar-Angiographien oder Stent-Darstellungen. Durch diese enge Kooperation hatten wir die Möglichkeit, schon früh im Labor am Prototypen des photonenzählenden CT zu arbeiten“, berichtet Petritsch.
Begeisterung empfindet der Radiologe beim Thema Auflösung. „Wir können bis zu 0,2 Millimeter dünne Schichten aufnehmen, die uns kleinste Veränderungen mit einer unglaublichen Detailschärfe erkennen lassen.“ So lassen sich Verengungen in den Blutgefäßen, so genannte Stenosen, besser erkennen und einschätzen.
Mehr noch: „Wir können die Art und Größe der Gefäßwandablagerungen abschätzen und prüfen, ob und wo ein Stent sinnvoll sein kann.“ Besonders stolz ist Petritsch auf die Leistungen, die sein Team bei der Darstellung von Stents erzielen konnte: „Mit dem neuen CT-Gerät können wir in das Innere von Stents hineinschauen und so Patientinnen und Patienten in Zukunft möglicherweise invasive Eingriffe ersparen.“
Seit November 2021 steht das Großgerät im Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am UKW, seit Dezember ist es in Betrieb. „Es war etwa das zwanzigste weltweit. Inzwischen wird es weitere geben“, schätzt Bley. „Doch unser CT ist bislang das einzige Forschungsgerät, das von der DFG gefördert wird.“
Mit Forschung den Weg bereiten
Bley ist froh, dass sein Team das CT für reine Forschungszwecke nutzen darf. „Der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn ist mit unserem dezidierten Forschungsgerät mutmaßlich höher. Denn wir können uns die Zeit nehmen, die die Rekonstruktion der spektralen Daten nach unserem Algorithmus fordert, um die maximale Aussagekraft aus den Daten zu gewinnen. Als klinisches Routinegerät müssten wir 40 bis 50 Patientinnen und Patienten pro Tag scannen. Die Auflösung wäre zwar hoch, die Strahlendosis ebenso gering, aber die spektralen Informationen hätten wir nicht.“
Die Technologie werde sich in Zukunft durchsetzen, ist sich Bley sicher. Die hohe Auflösung bei verbessertem Komfort für die Patientinnen und Patienten dank kürzerer Scanzeit, niedriger Strahlendosis und potentiell geringeren Nebenwirkungen sowie die Kosteneinsparungen im Vergleich zu MRT und PET sprechen dafür, dass der photonenzählende CT in den klinischen Alltag der Radiologie Einzug hält.
Und am einzigen Minuspunkt, der zeitintensiven Rekonstruktion der Bilder, wird mit Hochdruck gearbeitet. Ein Software-Update soll die dafür nötige Zeit bald halbieren.