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Goethes „Faust“ als digitale Edition

30.10.2018

Fast zehn Jahre Arbeit stecken in einer neuen, zeitgemäßen Edition von Goethes „Faust“. Das Team des Computerphilologen und Literaturprofessors Fotis Jannidis war an dem Werk maßgeblich beteiligt.

Startseite der digitalen Faust-Edition im Internet. (Bild: faustedition.net)
Startseite der digitalen Faust-Edition im Internet. (Bild: faustedition.net)

An seinem „Faust“ arbeitete Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832) rund 60 Jahre lang. Dabei wechselten sich Phasen intensiver Arbeit am Werk mit langen Unterbrechungen ab. Von diesem Prozess ist ein umfangreicher Bestand an Handschriften mit über 2.000 beschriebenen Seiten erhalten. Hinzu kommen Drucke, die noch zu Lebzeiten Goethes erschienen, und mehr als 1.500 Zeugnisse zur Entstehung des Werks.

Digitale Kopien all dieser Dokumente und ein neu konstituierter Text sind Teil einer neuen historisch-kritischen Faustedition vor. Sie wurde 2018 auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt.

Das Besondere an der Edition: Sie verbindet eine moderne Ausgabe in Buchform mit einer innovativen digitalen Edition. Damit erhält die Faust-Forschung erstmals eine umfassende, wissenschaftlich fundierte Grundlage. Und für die netzaffine Öffentlichkeit gibt es Online-Einblicke in Goethes „Werkstatt“, in der eines der wichtigsten Werke der deutschen Literatur entstand.

Weblink: Die digitale Edition ist unter faustedition.net im Netz frei zugänglich.

An der neuen Edition wurde seit 2009 gearbeitet. Sie entstand in einer Kooperation des Freien Deutschen Hochstifts / Frankfurter Goethe-Haus (Professorin Anne Bohnenkamp-Renken) mit dem Goethe- und Schiller-Archiv / Klassik Stiftung Weimar (Dr. Silke Henke) und dem Lehrstuhl für Computerphilologie und neuere deutsche Literaturgeschichte der Julius-Maximilians-Universität Würzburg / JMU (Professor Fotis Jannidis).

Was die neue Faustedition bietet

Die digitale Faustedition macht es erstmals möglich, Goethes Text unter verschiedenen Perspektiven zu ergründen. Dabei werden den Nutzern je nach ihren Interessen unterschiedliche Zugänge sowie wechselnde Ansichten und Abfragemöglichkeiten angeboten. Die Hauptbereiche dabei heißen Archiv, Genese und Text.

Der Bereich „Archiv“ macht die gesamte Faust-Überlieferung in Abbildungen, Transkriptionen und Zeugenbeschreibungen zugänglich. Hier steht erstmals eine komplette, jedem Nutzer ohne Zugangsbeschränkungen einsehbare virtuelle Sammlung der Faust-Handschriften und der zu Goethes Lebzeiten erschienenen Drucke zur Verfügung. Alle Handschriften sind als hochaufgelöste digitale Farbabbildungen verfügbar. Darunter sind viele, die hier erstmals überhaupt veröffentlicht wurden.

Der Bereich „Genese“ ist vielfältig mit dem Archiv verknüpft. Die im textuellen Transkript dargestellten Varianten machen den Schreibprozess Goethes nachvollziehbar – vom Beginn der Niederschrift bis zur fertigen Beschriftung eines Blattes. Die handschriftenübergreifende Entstehung des Gesamtwerkes wird überblicksweise in verschiedenen Schaubildern visualisiert.

Über den Bereich „Text“ kann der Nutzer direkt vom Text des „Faust“ in die Edition einsteigen. Hier wird als erstes ein Lesetext beider Teile des Werkes angeboten. Inhaltsverzeichnisse führen den Nutzer zu den einzelnen Werkabschnitten, Schemata und Paralipomena. Unter der zuletzt genannten Bezeichnung wurden nach Goethes Tod die vorbereitenden Aufzeichnungen veröffentlicht, die der Dichter nicht in die Endfassung des Werks aufgenommen hat.

Standards für digitale Editionen weiterentwickelt

Die Neuausgabe folgt den Richtlinien für digitale Editionen, die von der Text Encoding Initiative (TEI) entwickelt wurden. Wo deren Richtlinien die innovative Kodierung einer dokumentarischen Transkription noch nicht unterstützten, hat das Editionsteam zusammen mit der TEI den Standard weiterentwickelt.

Der XML/TEI-kodierte Text kann bei jeder einzelnen Seite heruntergeladen und auch über Github bezogen werden. Dort findet man auch die neu entwickelte Software als Download (https://github.com/faustedition).

Die Faustedition in Buchform

Keine der erhaltenen Faust-Versionen kann als verbindlich und authentisch gelten. Im Rahmen der neuen Edition wurde jetzt ein Lesetext konstituiert, der auf der genauen Prüfung sämtlicher Handschriften und Drucke beruht. Er kommt Goethes eigenem Wortlaut und Interpunktionsgebrauch so nahe wie keine Edition zuvor. Dieser Text ist Teil der neuen Buchpublikation (Wallstein-Verlag) und trägt den Titel „Faust. Eine Tragödie. Konstituierter Text“.

Zur Buchpublikation gehört auch der Band „Faust. Der Tragödie zweiter Teil. Gesamthandschrift: Faksimile und Transkription“. Die fast 400 Seiten umfassende Gesamthandschrift liegt als hochwertiges und aufwendiges Faksimile vor. Wiedergegeben sind Vorder- und Rückseite des Einbands und sämtliche Blätter im Folioformat. Dazu kommen 26 eingeklebte Blätter und Streifen mit handschriftlichen Korrekturen und Ergänzungen – originalgetreu als Aufklebungen. Dem Faksimile steht ein Band mit einer Transkription zur Seite, die die teils schwer zu entziffernde Niederschrift zeichengetreu wiedergibt.

Förderer des Projekts

Die Arbeit an der neuen Faustedition wurde von 2009 bis 2015 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Die Drucklegung der Print-Anteile im Wallstein-Verlag wurde durch die Unterstützung der Alfried-Krupp-von-Bohlen-und-Halbach-Stiftung ermöglicht.

Kontakt

Prof. Dr. Fotis Jannidis, Lehrstuhl für Computerphilologie und neuere deutsche Literaturgeschichte, Universität Würzburg, T +49 931 31-80078, fotis.jannidis@uni-wuerzburg.de

Von Robert Emmerich

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