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Homer neu erfunden – von einem Würzburger in Rom

14.03.2023

Kein anderer Künstler hat sich jemals ähnlich intensiv mit Homers „Ilias“ auseinandergesetzt wie Martin von Wagner. Eine Ausstellung des Universitätsmuseums geht seinem Verhältnis zu dem Epos nach.

Mit dem „Rat der Griechen vor Troja“ (1806/07) feierte Martin von Wagner einen furiosen Einstand als Maler in Rom. Die Details sind von emblematischer Wucht.
Mit dem „Rat der Griechen vor Troja“ (1806/07) feierte Martin von Wagner einen furiosen Einstand als Maler in Rom. Die Details sind von emblematischer Wucht. (Bild: André Mischke / Universität Würzburg)

Kein Zweifel: Homers „Ilias“ gehört zu den Grundlagen der westlichen Kultur. Die Antwort auf die Frage, wer diesen Urtext der Weltliteratur eigentlich noch kennt, dürfte allerdings ernüchternd ausfallen. Wenn es jedoch ein zeitloser Stoff ist, dann lohnt es für jede Zeit von neuem, eigene Wege zu Homer zu weisen.

Neue Wege zu Homer

Genau darum bemüht sich die neue Sonderausstellung des Martin von Wagner Museums der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU). „Heute lassen sich die Menschen meist nicht mehr zuerst von Texten ansprechen, sondern von Bildern“, glaubt Professor Damian Dombrowski, Direktor der Neueren Abteilung, „und Bilder zur ‚Ilias‘ besitzen wir vermutlich mehr als jede andere Sammlung.“

Der Namensgeber des Universitätsmuseums ist selbst der Grund für diese Bilderflut: Martin von Wagner (1777–1858) hat die mit Abstand umfangreichsten Bilderfolge zu Homers Epos geschaffen. Über mehr als fünfzig Jahre hinweg widmete sich der aus Würzburg stammende Deutschrömer der „Ilias“, die er künstlerisch und gedanklich tief durchdrang.

Das Epos über die Schlussphase des Trojanischen Krieges ist selbst ein äußerst bildmächtiger Stoff, weshalb schon in der Antike zahlreiche Bilder nach Themen aus der „Ilias“ entstanden. Seit dem späten 18. Jahrhundert nahm das Homer-Interesse in der Kunst noch einmal sprunghaft zu. Unter klassizistischen Vorzeichen wurden einzelne Episoden in Gemälden und Skulpturen dargestellt.

Wagners Fülle und Facetten

Dem epischen Charakter der „Ilias“ mit einem Zyklus zu entsprechen, wagten indessen nur wenige Künstler. Martin von Wagner hat nicht weniger als 140 Szenen dargestellt; dahinter kommt der englische Zeichner und Bildhauer John Flaxman mit gerade einmal 39 Szenen.

Wagners bislang kaum beachteten Bildern zur „Ilias“ nähert sich die Ausstellung „ANTIKE ERFINDEN“ aus unterschiedlichen Blickwinkeln. In sechs Kapiteln wird seinem Verhältnis zu Homer nachgegangen: als Leser, Kenner, Maler, Zeichner, Erfinder und Ästhet.

„Der künstlerische und zeichnerische Nachlass Martin von Wagners wird seit 1858 bei uns aufbewahrt, doch wirklich gehoben ist dieser Schatz bis heute nicht“, unterstreicht Museumsdirektor Dombrowski die Bedeutung der Ausstellung. „Immerhin sind die rund 900 Zeichnungen, aus denen wir jetzt eine Auswahl zeigen, wohl das größte Kunstwerk des 19. Jahrhunderts in Würzburg – mit der Besonderheit, dass es in Rom entstanden ist.“

Forschendes Museum

Die Ausstellung hat der Professor für Kunstgeschichte mit der Nachwuchswissenschaftlerin Carolin Goll kuratiert. Sie promoviert über das Antikenbild Martin von Wagners und ist die beste Kennerin seiner Kunst. „Anhand seiner ‚Ilias‘-Zeichnungen lassen sich über einen ungewöhnlich langen Zeitraum hinweg komplexe Werkprozesse ebenso ablesen wie stilistische Wandlungen. Dabei wird neben einem klassizistischen Grundtenor auch Romantisches gestreift“, hebt Goll den Wert von Wagners Homer-Projekt hervor.

Fast idealtypisch werde außerdem der Umgang des Deutsch-Römers mit antiken Vorbildern und Schriftquellen fassbar. „In der Vielfalt der Perspektiven, die auf dieses Konvolut gerichtet werden können, liegt eine große Herausforderung an die Forschung, aber auch ein einzigartiges Potenzial“, schwärmt die Kunsthistorikerin.

Fest steht: In kaum eine Ausstellung des Martin von Wagner Museums ist jemals so viel Forschung geflossen wie in „ANTIKE ERFINDEN“. Der ästhetisch überaus ansprechende, reich bebilderte Katalog versammelt denn auch ganz überwiegend Kunstwerke, die noch nie veröffentlicht wurden. Mitgeschrieben hat Professor Jochen Griesbach, der die Antikensammlung leitet; er hat die archäologischen Exponate betreut.

Somit tritt das Universitätsmuseum in seiner ganzen fachlichen Breite in Erscheinung. Das Profil des Hauses als Ort der Forschung wird mit der Ausstellung abermals gestärkt. Erst im Februar 2023 wurde dort die „Wellhöfer-Stiftung für das forschende Museum“ angesiedelt, die vor allem Promotionen unterstützt.

Dass eine universitäre Kunstsammlung mit wissenschaftlicher Fundierung punkten kann, freut auch die Universitätsleitung. In der Wendung „Muß anderst werden“, die Wagner mehrfach an den Rand seiner „Ilias“-Zeichnungen notiert hat, erblickt Kanzler Dr. Uwe Klug das Bekenntnis zu einer Vorläufigkeit, die dem Selbstverständnis moderner Wissenschaft entspreche. Zugleich würdigt Klug den Versuch Wagners, „die ‚Ilias‘ für seine Zeitgenossen neu aufzuschließen.“

Homers Universalität

Darin sieht auch Dombrowski einen Mehrwert der Ausstellung: „Es ist ein im besten Sinne humanistischer Nutzen, der sich bei der Re-Lektüre von Homers Epos einstellt, gerade vor dem Hintergrund eines Krieges, der uns seit einem Jahr aus der Ferne, aber unablässig begleitet.“ Die „Ilias“ behandle freilich viel mehr als den Kampf um Troja: das Verhalten des Menschen in archetypischen Situationen; die universale Ohnmacht gegenüber einem willkürlichen Schicksal und das individuelle Aufbegehren dagegen; die Frage nach einem höheren Sinn angesichts enthemmter Grausamkeit.

„Es geht Homer um das Menschliche an und für sich“, resümiert Dombrowski, „und wie es scheint, war darauf auch Wagners Aufmerksamkeit gerichtet.“ Davon können sich Besucherinnen und Besucher in der Ausstellung überzeugen, in der neben den „Ilias“-Zeichnungen auch Antikenstudien und archivalische Quellen zu sehen sind. Außerdem können sie den Werkprozess von Wagners einzigem Monumentalgemälde mitverfolgen: Die Vorbereitung des 3 x 4,5 Meter großen „Rates der Griechen vor Troja“ wird von einer weiteren Doktorandin nachgezeichnet; Maria Schabel hatte in ihrer Masterarbeit ganz neue Erkenntnisse dazu gewonnen.

Die Ausstellung erkundet Wagners Vorgehensweise als Künstler und Forscher. Sein immenses Wissen über die Bild- und Sachkultur der Antike befähigte ihn, die „Ilias“ nicht nur zu illustrieren, sondern bis zu einem gewissen Grad neu zu erfinden. Insofern sind seine Bilder zu Homer auch ein Appell, das antike Erbe Europas nicht nur museal zu bewahren, sondern immer wieder schöpferisch mit ihm umzugehen – vor zweihundert Jahren war die Antike genauso modern wie heute.

Öffnungszeiten

Die Ausstellung wird am Donnerstag, 23. März 2023, um 18 Uhr eröffnet und ist bis 25. Juni 2023 in der Gemäldegalerie des Martin von Wagner Museums zu sehen (Würzburger Residenz, Südflügel). Eintritt: 8 Euro, ermäßigt 5 Euro, Schulklassen 3 Euro pro Person. Der Katalog (312 Seiten, 241 farbige Abbildungen, Harrassowitz Verlag) kostet 39 Euro.

Kontakt

Prof. Dr. Damian Dombrowski, Direktor der Neueren Abteilung des Martin von Wagner Museums, Carolin Goll, Doktorandin der Kunstgeschichte,

damian.dombrowski@uni-wuerzburg.de 
carolin.goll@uni-wuerzburg.de

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Von Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

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