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Impulsives Verhalten im Blick

06.10.2020

Lorenz Deserno ist neuer W2-Professor für Experimentelle Neurowissenschaften in der Entwicklungspsychiatrie. Eines seiner langfristigen Ziele ist es, die Diagnose und Therapie von ADHS zu verbessern.

Professor Lorenz Deserno ist neu an der Uni Würzburg.
Professor Lorenz Deserno ist neu an der Uni Würzburg. (Bild: Charité / Mediendienstleistungen / Baar)

„Wir wollen verstehen, wie Hirnprozesse dazu führen, dass sich bestimmte Verhaltensweisen entwickeln und wie daraus psychische Symptome bei Kindern und Jugendlichen entstehen können“, umreißt Professor Deserno das Kernfeld seiner Tätigkeit an der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (KJPPP) des Uniklinikums Würzburg (UKW). Im Frühjahr 2020 hat der 1985 geborene Frankfurter die neu definierte W2-Professur für Experimentelle Neurowissenschaften in der Entwicklungspsychiatrie angetreten.

Erfolgreiche Promotion in der Hirnforschung

Ausgangspunkt für die medizinische Karriere von Lorenz Deserno war sein Studium der Humanmedizin an der Charité in Berlin zwischen 2005 und 2012. „Gegen Ende des Studiums entwickelte ich ein besonderes Interesse an der Hirnforschung bei psychischen Erkrankungen“, erinnert sich der Neu-Würzburger.

Wegweisend war für ihn dabei seine Doktorarbeit an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie zu kognitiven Defiziten bei schizophrenen Patienten. „Dabei kam ich mit der funktionellen Bildgebung und mit weiteren kognitions-neurowissenschaftlichen Methoden in Kontakt. Ich beschäftigte mich mit der Frage, wie sich in Hirnaktivierungsmustern bestimmte Formen zu denken und zu handeln abbilden“, erläutert Deserno.

Für seine Doktorarbeit erhielt er den Hans-Heimann-Preis 2014 der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde sowie den Robert-Koch-Preis 2015 der Charité.

Beschäftigung mit impulsiven Verhaltensweisen

Angespornt durch die spannende Forschungsarbeit und den damit verbundenen Erfolg, stieg der junge Mediziner unmittelbar nach der Approbation in eine rein wissenschaftliche Tätigkeit in der Arbeitsgruppe seines Doktorarbeitsbetreuers ein. Diesem folgte er auch ans Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften nach Leipzig.

„Die Arbeit an dieser grundlagenorientierten, außeruniversitären Forschungseinrichtung habe ich als große Bereicherung erlebt“, verdeutlicht Deserno. Während es in seiner Zeit an der Charité schwerpunktmäßig um schizophrene Erkrankungen ging, wandte er sich in Leipzig impulsiven Verhaltensweisen zu, wie sie beispielsweise bei der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), bei Substanzmissbrauch und bei kontrollverlustartigen Essanfällen auftreten.

„So unterschiedlich diese psychischen Symptome und Erkrankungen auch sind, stellt sich doch die spannende Frage, ob dem damit verbundenen impulsiven Verhalten im Gehirn der Patienten ähnliche Prozesse und Strukturen zu Grunde liegen“, sagt der neue Professor.

Im Verlauf seiner wissenschaftlichen Arbeit zeigte sich außerdem, dass viele dieser Verhaltensweisen ihre Wurzeln in der Kindheit der Betroffenen haben. Das führte Deserno in die Kinder- und Jugendpsychiatrie – und dort auch in die klinische Ausbildung zum Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, die er noch in seiner Leipziger Zeit begann.

Spezialkenntnisse zu computationalen Modellen

Als letzte Etappe seiner Karriere vor dem Ruf nach Würzburg forschte er ab 2018 am University College London beim Max Planck UCL Centre for Computational Psychiatry and Ageing Research. „Hier konnte ich speziell meine Kenntnisse in dem noch jungen interdisziplinären Feld der ‚Computational Psychiatry‘ vertiefen“, erläutert Deserno.

Konkret geht es in seinem Fall dabei darum, spezifische Hypothesen zu den oft sehr komplexen neurokognitiven Prozessen mit mathematischen Modellen zu überprüfen. Diese computationalen Modelle gehören zu den wesentlichen Elementen seines Methodenportfolios. Hinzu kommen Fragebögen, Verhaltensexperimente, neuronale Messungen mit Magnetresonanztomographie (MRT), Elektroenzephalogramm (EEG) und Positronen-Emissions-Tomographie (PET) sowie pharmakologische Manipulationen. Ein neuer Zweig umfasst zudem die Erhebung von Daten „online“ oder mit Hilfe des Smartphones.

Von Dopamin und Impulsivität zur Therapie von ADHS

Mit diesen „Werkzeugen“ soll erforscht werden, wie der Neurotransmitter Dopamin die Balance zwischen zielgerichteten und habituellen Verhaltensweisen reguliert. „Wir vermuten, dass Störungen dieses Gleichgewichts ein Grund für Verhaltensweisen sein könnten, bei denen Patienten impulsiv die Kontrolle verlieren“, erklärt Deserno.

Darauf aufbauend will er am UKW nun unter anderem die psychopharmakologischen Therapieantworten bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS untersuchen. Er erläutert: „Wir wissen, dass der unter dem Handelsnamen Ritalin bekannte Arzneistoff Methylphenidat in vielen Fällen eine gute klinische Wirkung zeigt – aber ein gewisser Anteil der Patienten reagiert darauf leider nicht mit einer klinisch zufriedenstellenden Verbesserung.“ Und auch die Kinder, die zunächst gut auf die Therapie ansprechen, zeigen nach seinen Worten häufig nicht zufriedenstellende Langzeitverläufe.

„Hier wäre es großartig, wenn es uns gelänge, mit neurokognitiven Methoden einen oder mehrere Marker zu identifizieren, die uns vor Beginn einer Therapie sagen könnten, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein Patient positiv auf die Behandlung reagiert“, sagt der Professor.

Ein weiteres Forschungsprojekt, das er in Leipzig begonnen hat, soll in Würzburg fortgeführt werden. Hier geht es um die Frage, wie sich jugendliche und erwachsene Patienten mit kontrollverlustartigen Essanfällen, die meist auch adipös sind oder werden, auf der neurokognitiven Ebene von „nur“ adipösen Menschen unterscheiden.

Klinisch-wissenschaftliche Laufbahnen fördern

Insgesamt beschreibt er seinen wissenschaftlichen Ansatz als patienten- und kliniknahe Grundlagenforschung. Er betont: „Unser zentrales – und methodisch auch schwierigstes – Ziel ist es, die Diagnose und Behandlung von psychischen Erkrankungen zu verbessern. Daneben – und im Vergleich etwas leichter zu erreichen – haben wir die Chance, unser Detailwissen über das Gehirn zu erweitern.“

Diese Priorisierung versucht Deserno auch in der Lehre zu vermitteln. Bei diesem Aspekt seiner Professur liegt ihm nach eigenen Angaben am Herzen, klinisch-wissenschaftliche Werdegänge so zu fördern, dass junge Medizinerinnen und Mediziner beide Arbeitspakete leisten können. Bei Interesse an einer medizinischen oder naturwissenschaftlichen Promotion oder einer Abschlussarbeit aus angrenzenden Fächern, wie der Psychologie oder den Kognitions- und Neurowissenschaften, stehen für Nachwuchswissenschaftler/innen und Studierende die Türen offen.

Passendes Forschungsumfeld am UKW

Am Zentrum für Psychische Gesundheit fand der Professor ein Umfeld vor, das sehr gut zu seinen Forschungszielen passt. „An der KJPPP wird die Forschung zu impulsiven Erkrankungen seit langer Zeit gepflegt – zum Beispiel bei ADHS durch den Klinikdirektor Professor Marcel Romanos und seinen Vorgänger Professor Andreas Warnke“, beschreibt Deserno. „Zusätzlich hat sich hier der Schwerpunkt der Entwicklungspsychiatrie herausgeprägt, was man nicht zuletzt an der W2-Professur für Entwicklungspsychiatrie im Rahmen der Erwachsenenpsychiatrie sehen kann, die 2019 mit Professorin Sarah Kittel-Schneider besetzt wurde .“ Auch das 2019 in Würzburg gegründete Deutsche Zentrum für Präventionsforschung Psychische Gesundheit (DZPP) passe hervorragend zu seiner wissenschaftlichen Ausrichtung.

Lorenz Deserno hat die Professur am UKW formal zum 1. Februar 2020 angetreten. Es folgte eine fünfmonatige Elternzeit; seine Forschungsarbeit nahm er Anfang Juli auf.

Von Pressestelle Universitätsklinikum Würzburg

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