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Katholizismus im Wandel der Zeit

19.05.2020

Wie hat sich die Religionskultur in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Deutschland verändert? Das untersucht eine neue Forschungsgruppe; der Würzburger Kirchenhistoriker Dominik Burkard ist daran beteiligt.

Der Stuttgarter Pfarrer Hermann Breucha (1902–1972) steht im Mittelpunkt eines Forschungsprojekts an der Universität Würzburg.
Der Stuttgarter Pfarrer Hermann Breucha (1902–1972) steht im Mittelpunkt eines Forschungsprojekts an der Universität Würzburg. (Bild: Dominik Burkard)

Das bisherige Narrativ ist einfach gestrickt: Der Katholizismus war in der Bundesrepublik Deutschland ein unbeweglicher, aber mächtiger monolithischer Block. In den 1960er-Jahren begann er zu bröckeln. Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965), das einen Modernisierungsprozess einleitete, weichte den Block vollends auf. Im Zuge der 68er-Bewegung ging er schließlich vollends unter.

„Dieser überkommenen These hat man lange Zeit allzu leichtfertig geglaubt“, sagt Professor Dominik Burkard, Leiter des Lehrstuhls für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit an der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg.

Darum soll die Geschichte des Katholizismus ab den 1960er-Jahren nun genauer analysiert werden. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat dazu eine Forschungsgruppe eingerichtet und fördert sie in den kommenden drei Jahren mit drei Millionen Euro: „Katholischsein in der Bundesrepublik Deutschland. Semantiken, Praktiken und Emotionen in der westdeutschen Gesellschaft 1965–1989/90“.

Dynamiken in der Religionskultur ergründen

Professor Burkard erklärt die Grundthese der Gruppe. Sie geht davon aus, dass das katholische Milieu nicht erodierte, sondern sich in verschiedene Formen von „Katholischsein“ auffächerte. Dieser Prozess lief nicht isoliert ab: Alle neuen Formen des Katholizismus standen in komplexen, wechselseitigen Beziehungen zur Gesellschaft und Kultur der Bundesrepublik und prägten diese entscheidend mit.

„Deshalb geht es uns auch nicht darum, die Binnengeschichte eines sich auflösenden sozialen Milieus zu erforschen. Vielmehr wollen wir untersuchen, welche allgemeinen religionskulturellen Dynamiken sich in der Gesellschaft entwickelten“, so Burkard.

Stuttgarter Stadtpfarrer im Fokus

Der Würzburger Professor untersucht in seinem Teilprojekt eine spezielle Facette dieser Zeit: die „Pastorale Praxis zwischen vorkonziliarer Modernität und nachkonziliarem Konservativismus“. Dank der Förderung durch die DFG kann er dabei zwei Promotionsstellen besetzen und auch studentische Hilfskräfte beschäftigen.

Der Ausgangspunkt des Teilprojekts: Ausgerechnet bei Geistlichen, die schon vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil den Mut hatten, in ihren Gemeinden weitergehende pastorale Reformen zu initiieren, kam es im Verlauf des Konzils zu einem theologischen Bruch. „Sie lehnten nicht nur zumindest einen Teil der Konzilsbeschlüsse ab, sondern wandten sich sogar von ihren bisherigen Modernisierungsbestrebungen ab“, erklärt Burkard.

Zu diesen Geistlichen gehörte der Stuttgarter Stadtpfarrer Hermann Breucha (1902–1972), Ökumeniker, Initiator der „Religiösen Bildungsarbeit“ und Pionier der Rundfunkseelsorge. Einerseits war er ein theologischer Vordenker im kirchlichen Konservativismus der 1940er- und 1950er-Jahre, andererseits vollzog er in einer Zeit hoher Innovationskraft eine konservative Wende. Diesen Veränderungsprozess will das Team um Burkard analysieren und erklären.

Partner in der DFG-Forschungsgruppe

Neben dem Würzburger Kirchenhistoriker beteiligen sich an der neuen Forschungsgruppe in zehn Teilprojekten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Humboldt-Universität Berlin, der Universitäten Bochum, Münster, Paderborn und Tübingen sowie der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar. Sie alle sind Mitglieder der Kommission für Zeitgeschichte (Bonn), die auch die Koordination der Gruppe übernimmt. Das Projekt hat eine starke kirchenhistorische Komponente, arbeitet aber interdisziplinär und setzt auch sozialwissenschaftliche Methoden ein.

Forschungsgruppen der DFG

Unter Forschungsgruppen versteht die DFG Arbeitszusammenschlüsse mehrerer herausragender Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die eine gemeinsame Forschungsaufgabe bearbeiten. Die Förderung soll dazu beitragen, für eine mittelfristige, auf sechs bis acht Jahre angelegte enge Kooperation die personelle und materielle Ausstattung bereitzustellen.

Kontakt

Prof. Dr. Dominik Burkard, Lehrstuhl für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit, Katholisch-Theologische Fakultät, Universität Würzburg, T +49 931 31-82268, dominik.burkard@theologie.uni-wuerzburg.de

Webseite Prof. Dominik Burkard

Von Robert Emmerich

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