Keine Angst vor digitaler Demenz
13.02.2018Digitale Medien sinnvoll im Schulunterricht einsetzen: Das können Studierende und Lehrkräfte in einem neuen Labor an der Universität Würzburg lernen. Die ersten Erfahrungen sind durchweg positiv.
Beim Sprung vom Zwei- ins Dreidimensionale ist eine ruhige Hand hilfreich. Schließlich muss das Smartphone für wenige Sekunden so über die Zeichnung beispielsweise eines Würfels gehalten werden, bis die Kamera das Objekt erfasst und die dazugehörige App dessen Struktur erkannt hat. Dann allerdings passiert das „kleine Wunder“, und der Würfel erscheint als dreidimensionales Objekt auf dem Smartphone-Bildschirm, das sich drehen und von allen Seiten betrachten lässt.
Was sich nach einer simplen Spielerei anhört, könnte in Zukunft im Unterricht an Grundschulen zum Einsatz kommen. Dort beschäftigen sich Schülerinnen und Schüler der zweiten und dritten Klassen mit dreidimensionalen Objekten wie Würfel, Kegel oder Kugel und müssen beispielsweise angeben, wie viele Flächen, Ecken und Kanten diese jeweils haben. Mit der App könnten sie auf eine spielerische Art und Weise kontrollieren, ob sie die Aufgabe auf dem Blatt richtig gelöst haben.
Smartphones in der Grundschule
„Smartphones in der Grundschule? Muss das sein?“, werden jetzt vermutlich viele Eltern stöhnen, die regelmäßig mit ihrem Nachwuchs darüber diskutieren müssen, wie viel Zeit diese am Tag mit dem Gerät verbringen dürfen. Für Silke Grafe ist der Einsatz der Technik bei Sieben- oder Achtjährigen – unter bestimmten Bedingungen – kein Problem. Die Professorin hat an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) den Lehrstuhl für Schulpädagogik inne; der Einsatz digitaler Medien im Schulunterricht ist einer ihrer Schwerpunkte in Forschung und Lehre.
Dafür hat Silke Grafe in den vergangenen Jahren ein spezielles Labor am Campus der JMU aufgebaut: das „Media Education & Educational Technology LAB“ – kurz MEET. Bei einem Tag der offenen Tür hat sie jetzt das Labor allen Interessierten aus Uni, Schulen und Schulverwaltung vorgestellt.
Den Medieneinsatz kritisch begleiten
„Studien zeigen, dass schon jüngere Kinder digitale Medien nutzen. Schulen müssen das aufgreifen und produktiv nutzen“, erklärt Silke Grafe. Sie ist überzeugt davon, dass eine Kombination „guter didaktischer Konzepte mit den entsprechenden Medien“ allen Lehrkräften einen Mehrwert bringt – und das von der Grundschule bis zum Gymnasium. Bedingungslos der Technik verfallen ist die Professorin allerdings nicht. Den Medieneinsatz – sowohl in der Schule, als auch in der Freizeit – kritisch zu reflektieren, betrachtet sie ebenfalls als wichtige Aufgabe von Uni und Schule. „Man muss Umgangsregeln entwickeln“, sagt sie. Ihr Ziel sei es deshalb auch, eine Diskussion anzustoßen, wie sich Medienpädagogik fest in der Ausbildung von Lehrkräften und im Lehrplan von Schulen verankern lässt.
Das neue Labor ist ein zentraler Baustein dieses Projekts. Fünf interaktive Whiteboards, Beamer und Rechner bilden die Grundausstattung des Seminarraums am Campus Hubland Nord. Spezielle Brillen ermöglichen Ausflüge in die virtuelle und Experimente mit einer erweiterten Realität. Flexibles Mobiliar ermöglicht den schnellen Wechsel von Frontalunterricht zur Gruppenarbeit oder, wie Silke Grafe sagt, „die Arbeit in verschiedenen Diskussionszusammenhängen“. Spezielle Leitungskanäle erlauben es den Besuchern an jeder Stelle im Raum ihr Notebook, Tablet oder Smartphone mit Strom zu versorgen und per LAN-Kabel mit dem Internet zu verbinden. Drei Jahre hat die Einrichtung dieses Labors gedauert, gut 100.000 Euro hat es alles in allem gekostet.
Lehramtsstudierende als App-Entwickler
Eine der ersten, die im MEET sich am Einsatz digitaler Medien im Unterricht erproben durften, waren Lea Fuchs, Tabea Olt und Sebastian Jenisch – alle drei Studierende für das Lehramt an Grundschulen. Im Wintersemester 2017/18 haben sie im Rahmen des vom Lehrstuhl für Schulpädagogik angebotenen Seminars die Mathe-App „Cube it“ entwickelt, die aus einer zweidimensionalen Zeichnung das dreidimensionale Objekt hervorzaubert.
Unterstützt wurden sie dabei von einem interdisziplinär zusammengesetzten Betreuerteam: Kristina Bucher, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Schulpädagogik und somit verantwortlich für die pädagogische Seite des Projekts, und Sebastian Oberdörfer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Mensch-Computer-Interaktion, der die notwendige informatische Perspektive einbrachte.
„Anspruchsvoll sei das Seminar gewesen“, berichtet Tabea Olt bei der Präsentation der App am Tag der offenen Tür. Vor allem die technische Umsetzung sei diffizil gewesen und habe etliche Stunden der Heimarbeit mit sich gebracht, so die Lehramtsstudentin. Dafür habe sie allerdings auch eine ganz neue Denkweise kennen gelernt. Was Sebastian Jenisch an dem Seminar besonders gut gefallen hat: „Man hat gesehen, was mit ein wenig Technik alles möglich ist“. Und Lea Fuchs findet, dass sie durch das Projekt gut auf die Zukunft vorbereitet wurde. Das Handy zu verteufeln, hält sie jetzt nicht mehr für nötig.
Kristallisationspunkt der Entwicklung
Die viel diskutierte „digitale Demenz“ ist nach Silke Grafes Ansicht nicht zu befürchten, wenn digitale Medien an der Schule Einzug halten. Wichtig sei allerdings eine „angemessene Dosierung“. Bis Whiteboard, Smartphone und virtuelle Realität regulärer Bestandteil des Unterrichts sind, sei allerdings noch ein langer Weg zurückzulegen. Ihr Wunsch ist deshalb, dass sich MEET als Kristallisationspunkt erweist, an dem alle, die auf diesem Gebiet arbeiten und forschen, zusammenkommen und das Projekt vorantreiben.
Kontakt
Prof. Dr. Silke Grafe, Lehrstuhl für Schulpädagogik
T: (0931) 31-81535, E-Mail: silke.grafe@uni-wuerzburg.de