Knick im Plasmastrom
13.09.2022Ein internationales Forscherteam hat einen lang vermuteten Prozess im Plasma-Jet eines Galaxienkerns nachgewiesen. Daran beteiligt sind Forschende aus Würzburg und Dortmund sowie Schüler und Lehrkräfte eines Würzburger Gymnasiums.
BL Lacertae ist eine Galaxie im Sternbild Eidechse, die rund 900 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt ist. In ihrem Zentrum beherbergt sie ein Schwarzes Loch mit einer Masse, die 170 Millionen Mal größer ist als die unserer Sonne. Vor gut zwei Jahren beobachteten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit ein ungewöhnliches Phänomen in BL Lacertae. Die Erklärung dafür stellen sie jetzt in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Nature vor.
Was BL Lacertae so besonders macht: Die Galaxie besitzt einen sogenannten „Aktiven Galaxienkern“ (AGN). AGN sind extrem helle Zentralbereiche, die häufig den gesamten Rest ihrer Heimatgalaxie überstrahlen und daher gleichsam als kosmische Leuchtfeuer aus großen Distanzen beobachtbar sind. Sie zählen damit zu den leuchtkräftigsten und spektakulärsten Objekten im Universum.
Plasmaströme mit nahezu Lichtgeschwindigkeit
Die enorme Helligkeit solcher Objekte speist sich meist aus den Vorgängen um ein supermassereiches Schwarzes Loch, das viele Millionen Sonnenmassen hat und auf das Materie aus seiner Umgebung zustürzt. Dabei bilden sich manchmal Plasmaströme aus geladenen Teilchen, die nahezu Lichtgeschwindigkeit erreichen. Diese sogenannten Jets erstrecken sich Lichtjahre weit ins Universum.
Aktive Galaxienkerne und ihre Jets stehen derzeit im Mittelpunkt vieler Forschungsprojekte der Astrophysik. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermuten, dass sie Teilchen bis zu Energien beschleunigen können, die weit jenseits dessen liegen, was in irdischen Beschleuniger-Experimenten wie dem Large Hadron Collider (LHC) am CERN untersucht werden kann.
„Zeigt einer der Jets in Richtung Erde, so erscheint uns dieses Objekt meist besonders intensiv flackernd. Diese Unterklasse von AGN wird von Astronomen ‚Blazar‘ genannt“, erklärt Dr. Dominik Elsässer, Astrophysiker an der Fakultät Physik der TU Dortmund und früherer Doktorand am Lehrstuhl für Astronomie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU). Eines der berühmtesten Objekte dieser AGN-Unterklasse ist BL Lacertae.
Unerwartete Schwankungen in der Helligkeit
Bei der Analyse von Beobachtungsdaten eines außergewöhnlichen Helligkeitsausbruchs von BL Lacertae im Jahr 2020 fiel Astronominnen und Astronomen auf, dass die Helligkeit dieses Blazars – anders als erwartet – außergewöhnlich regelmäßig schwankte. Diese quasi-periodischen Oszillationen konnten die Forschenden mit dem Auftreten einer Instabilität im Plasma des Jets, der sogenannten Knick-Instabilität, erklären, bei der, wie der Name schon andeutet, ein Knick im Plasmastrom das Magnetfeld des Jets beeinflusst.
Die energiereichen Teilchen im Jet bewegen sich durch den Bereich des Knicks, was schließlich die beobachteten Helligkeitsfluktuationen auslöst. „Die Knick-Instabilität ist von sehr großer Bedeutung für die Untersuchung von Plasmen. Somit ermöglicht diese Entdeckung im Jet von BL Lacertae nun vollkommen neue Einblicke in diesen kosmischen Teilchenbeschleuniger“, erklärt Elsässer.
Kooperation mit einem Würzburger Gymnasium
Ein Teil der Daten, die zu dieser bahnbrechenden wissenschaftlichen Veröffentlichung geführt haben, stammt aus einem Kooperationsprojekt zwischen dem Naturwissenschaftlichen Labor für Schüler am Friedrich-Koenig-Gymnasium in Würzburg, dem Lehrstuhl für Astronomie der JMU und der Fakultät Physik der Technischen Universität Dortmund. In diesem Projekt werden seit zehn Jahren die Helligkeiten aktiver Galaxienkerne überwacht.
Dabei sind Schülerinnen und Schüler des Friedrich-Koenig-Gymnasiums die zentralen Akteure, die in teils weit über 100 Nächten pro Jahr selbstständig die Messungen durchführen. Die Kontinuität sowie die gleichbleibend hohe Qualität der Messungen wird dadurch erreicht, dass ältere, erfahrene Schüler Jüngere anleiten.
Zudem führt das Schüler-Team auch die Datenauswertungen selbst durch. Dafür wurde von den Schülern eigens ein Programm entwickelt und geschrieben. „Mit unserem Programm können die CCD-Aufnahmen der AGN innerhalb weniger Sekunden ausgewertet werden. So können wir Änderungen in der Helligkeit sofort erkennen und unseren Messablauf entsprechend anpassen“, sagt Remco Steineke vom Friedrich-Koenig-Gymnasium.
Enge Zusammenarbeit zwischen Uni und Schule
Die wissenschaftliche Leitung dieses Projekts liegt bei Professor Karl Mannheim, Inhaber des Lehrstuhls für Astronomie an der Universität Würzburg, und bei Dominik Elsässer. Die beiden Physiker begleiten die Schülerinnen und Schüler und die beteiligten Lehrkräfte auch wissenschaftlich. Um die technische Koordination kümmern sich die beiden ehemaligen Schüler David Reinhart und Remco Steineke sowie die Lehrer Martin Feige und Christian Lorey.
Einen ausführlichen Bericht über den Beitrag der Schüler können Sie hier lesen.
Die Messungen, die in die aktuelle Nature-Veröffentlichung eingingen, fanden an der Hans-Haffner-Sternwarte in Hettstadt in der Nähe von Würzburg statt. Dieses im Dezember 2009 eingeweihte Observatorium ist sowohl Schulsternwarte des Friedrich-Koenig-Gymnasiums als auch Universitätssternwarte der Universität Würzburg. Für die Messungen verwendeten die Schülerinnen und Schüler ein 50-cm-Spiegel-Teleskop.
Messdaten über mehrere Jahrzehnte
Das Hauptziel dieses Projekts ist die Anfertigung von Langzeit-Lichtkurven einiger ausgewählter AGN über einen Zeitraum von 20 bis 25 Jahren. So können gegebenenfalls auch sehr langperiodische Helligkeitsschwankungen der AGN erkannt werden, die zukünftig auch zu einem besseren Verständnis der Häufigkeit und der Eigenschaften von Binärsystemen massereicher Schwarzer Löcher führen können, die man in manchen AGN vermutet. Binärsystem bedeutet in diesem Fall, dass zwei Schwarze Löcher umeinander kreisen und mit der Zeit miteinander verschmelzen.
Darüber hinaus sollen die Lichtkurven aber auch auf kürzeren Zeitskalen möglichst dicht besetzt sein, um viel schnellere Phänomene in den Jets der AGN untersuchen zu können und damit einen Beitrag zum Verständnis dieser kosmischen Teilchenbeschleuniger zu leisten. Genau dies ist nun in spektakulärer Art und Weise gelungen.
Weitere Beteiligte
Korrespondierende Autorin der aktuellen Veröffentlichung ist Svetlana Jorstad von der Universität Boston. Die Publikation entstand im Rahmen des Whole Earth Blazar Telescope (WEBT)-Projekts, einem internationalen Konsortium von Astronomen, die speziell Blazare überwachen. Das Team aus Würzburg und Dortmund wurde auf Grund seiner präzisen Messungen von aktiven Galaxienkernen im Jahr 2020 in das WEBT aufgenommen.
Das WEBT-Netzwerk von Observatorien umspannt die ganze Welt, so dass bei Messkampagnen eine nahezu kontinuierliche Beobachtung dieser speziellen aktiven Galaxienkerne möglich ist. Nur so konnte im aktuellen Fall die nötige Datendichte gewonnen werden, die dann – zusammen mit Daten aus anderen Wellenlängenbereichen – eine solche Entdeckung möglich macht. Koordiniert werden die WEBT-Messungen von Claudia Raiteri und Massimo Villata am INAF-Osservatorio Astrofisico di Torino.
„Diese Publikation in Nature, einem der beiden angesehensten naturwissenschaftlichen Fachmagazine, unterstreicht die herausragende Qualität der von den gut 40 Schülerinnen und Schülern geleisteten Forschungsarbeit, sowie natürlich die faszinierenden Möglichkeiten, die ein enger Schulterschluss zwischen Fachwissenschaft und Schülerforschung eröffnet“, sagt Dominik Elsässer.
Originalpublikation
“Rapid Quasi-Periodic Oscillations in the Relativistic Jet of BL Lacertae”, Nature, 07 September 2022. DOI: 10.1038/s41586-022-05038-9. https://www.nature.com/articles/s41586-022-05038-9
Kontakt
PD Dr. Dominik Elsässer, Fakultät Physik, TU Dortmund, T: +49 231 755-8501, dominik.elsaesser@tu-dortmund.de
Prof. Dr. Karl Mannheim, Lehrstuhl für Astronomie, Universität Würzburg, T: +49 931 31-85030, mannheim@astro.uni-wuerzburg.de
OStD Marco Korn, Friedrich-Koenig-Gymnasium Würzburg, T: +49 931-453610; fkg@fkg-wuerzburg.de