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Wie Landwirtschaft ohne chemischen Pflanzenschutz geht

12.11.2024

Was, wenn in Zukunft keine wirksamen chemischen Pflanzenschutzmittel mehr zur Verfügung stehen? Über diese Frage haben Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Landwirtschaft und Behörden an der Uni Würzburg diskutiert.

Weniger Getreide, dafür aber mehr Hülsenfrüchte: Mit dieser Maßnahme könnte ein Mangel an chemischen Pflanzenschutzmitteln kompensiert werden.
Weniger Getreide, dafür aber mehr Hülsenfrüchte: Mit dieser Maßnahme könnte ein Mangel an chemischen Pflanzenschutzmitteln kompensiert werden. (Bild: Stockadrik / Adobe Stock)

Zugegeben, es handelt sich um ein Extremszenario: eine Welt, in der es keine wirksamen chemischen Pflanzenschutzmittel mehr gibt. Völlig unrealistisch ist die Vorstellung jedoch nicht: „Verschiedene Umstände können dazu führen, dass in Zukunft keine chemischen Pflanzenschutzmittel mehr zur Verfügung stehen“, sagt Dr. Ute Fricke, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Zoologie 3 (Tierökologie) der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU).

So genannte „resistente Schadorganismen“ in Kombination mit wenigen Neuzulassungen und auslaufenden Zulassungen von chemischen Pflanzenschutzmitteln könnten ein Grund dafür sein. Aber auch der gesellschaftliche Druck könnte zu einem Verzicht auf chemische Pflanzenschutzmittel führen. „Der aktuelle gesellschaftliche Druck diesbezüglich wird von den Teilnehmenden jedoch sehr unterschiedlich wahrgenommen, von sehr hoch bis derzeit stark abnehmend“, so die Wissenschaftlerin.

Ein Verzicht auf chemische Pflanzenschutzmittel hätte deutliche Folgen

Vor diesem Hintergrund hatte Ute Fricke im Rahmen des europäischen T0P-AGRI-Netzwerks (mehr dazu unten) zu einem Workshop an die Universität Würzburg eingeladen, um das Extremszenario mit seinen Folgen sowie mögliche Gegenmaßnahmen zu diskutieren. Daran teilgenommen haben Vertreterinnen und Vertreter des ökologischen und des konventionellen Landbaus, des Landschaftspflegeverbandes Würzburg und des Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF Kitzingen-Würzburg). Vergleichbare Workshops fanden in den letzten Monaten auch unter anderem in Frankreich, Polen, Schweden, Serbien und Italien statt.

„Im Rahmen des Workshops in Würzburg haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zahlreiche Maßnahmen zusammengetragen, die dazu beitragen können, im Extremfall auf chemische Pflanzenschutzmittel verzichten zu können“, fasst die Wissenschaftlerin das zentrale Ergebnis zusammen. Solche Maßnahmen hätten allerdings zur Folge, dass insgesamt weniger Getreide produziert würde, dafür aber beispielsweise mehr Hülsenfrüchte, wie etwa Erbsen, Luzerne und Sojabohnen.

Dann müssten neue Absatzmärkte erschlossen werden, und Menschen müssten ihre Ernährung dem veränderten Angebot anpassen, sprich: weniger Getreideprodukte und dafür mehr Hülsenfrüchte verzehren. Auch die Tierhaltung und Biogasanlagen müssten in die Verwertung der Produkte einbezogen werden, was sich auf die Futtermittelimporte auswirken würde.

Eine Vielzahl positiver Nebeneffekte

Für den Boden und das Klima hätten diese Maßnahmen eine Vielzahl positiver Nebeneffekte: „Die Bodenfruchtbarkeit steigt, die Wasserhaltefähigkeit des Bodens nimmt zu, was mit einer verbesserten Pufferkapazität bei Extremwetterereignissen einhergeht, und die Böden sind besser vor Erosion geschützt“, zählt Ute Fricke auf. Darüber hinaus würde dies einen Beitrag zum Klimaschutz leisten.

Einig waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Workshops darin, dass es ohne chemische Pflanzenschutzmittel zu Ertragseinbußen und Ernteverlusten durch Schadorganismen kommen wird. Mit den vorgeschlagenen Maßnahmen könnten jedoch bei standortangepasster Umsetzung und entsprechenden Änderungen der politischen Vorgaben höhere Erträge erzielt werden als im derzeitigen Durchschnitt des Biolandbaus.

„Ertragsstabilität kann durch die vorgeschlagenen Maßnahmen jedoch nicht gewährleistet werden“, so Ute Fricke. Um resiliente, ertragreiche Anbausysteme zu schaffen, die ohne chemische Pflanzenschutzmittel auskommen, seien deshalb über den erarbeiteten Katalog hinausgehende Maßnahmen und Innovationen notwendig.

Der Workshop

Der Workshop fand im Rahmen des T0P-AGRI-Netzwerks („Towards zer0 Pesticide AGRIculture: European Network for Sustainability“) statt. Dabei handelt es sich um eine europäische Initiative, die sich mit Veränderungen im Anbausystem beschäftigt, die es ermöglichen, qualitativ hochwertige und bezahlbare Lebensmittel ohne chemische Pflanzenschutzmittel zu produzieren.

Geleitet wurde der Workshop von Dr. Ute Fricke, unterstützt von Dr. Fabienne Maihoff und Denise Bertleff – alle drei arbeiten am Lehrstuhl für Tierökologie und Tropenbiologie der Universität Würzburg.

Mehr Informationen zum TOP-AGRI-Netzwerk

Weitere Bilder

Von Ute Fricke / Gunnar Bartsch

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