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Lern- und Entscheidungsprozesse im Blick

25.05.2021

Als Juniorprofessorin für Lernprozesse in der Entwicklungspsychiatrie, Psychotherapie und Prävention ergänzt Andrea Reiter das Forschungsspektrum der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Würzburger Universitätsmedizin.

Juniorprofessorin Dr. Andrea Reiter, Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Universitätsmedizin Würzburg
Juniorprofessorin Dr. Andrea Reiter, Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Universitätsmedizin Würzburg (Bild: Martina Berger / Universitätsklinikum Würzburg)

„Mit Drogen experimentieren, betrunken Auto fahren oder ungeschützten Geschlechtsverkehr haben – viele Gesundheitsgefahren von Jugendlichen beruhen auf schlechten Entscheidungen. Unter anderem deshalb ist es so wichtig, die dahinterstehenden Lern- und Entscheidungsprozesse noch besser zu verstehen“, sagt Andrea Reiter und umreißt damit eines ihrer Forschungsgebiete an der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg. Seit Februar 2021 hat sie hier die neugeschaffene Juniorprofessur für Lernprozesse in der Entwicklungspsychiatrie, Psychotherapie und Prävention inne.

Damit kehrt die gebürtige Augsburgerin (Jahrgang 1986) zum Ausgangsort ihrer akademischen Karriere zurück: Im Jahr 2006 startete sie an der JMU mit ihrem Psychologie-Studium. Aus geisteswissenschaftlichem Interesse – vor allem an Sprachen – studierte sie außerdem parallel Anglistik, Romanistik und Erziehungswissenschaften bis zum ersten Staatsexamen. Ein eingeschobenes Erasmus-Auslandssemester führte sie an die Psychologische Fakultät der Universität Lissabon.

Promotion zu Sucht und Kontrollverlust

Nach dem in Würzburg abgelegten Diplom in Psychologie im Jahr 2012 wechselte Andrea Reiter mit einem kompetitiven Promotionsstipendium ans Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig.

An der dortigen International Max Planck Research School on Neuroscience of Communication und der Universität Leipzig promovierte sie an der Schnittstelle von kognitiven Neurowissenschaften und klinischer Psychologie. Thema waren die kognitiv-neurowissenschaftlichen Hintergründe von Suchterkrankungen und anderen psychischen Problemen, die mit Kontrollverlust einhergehen, wie der von Essattacken geprägten Binge-Eating-Störung.

Methodenportfolio vertieft

„Im Lauf der Zeit interessierte ich mich immer stärker für Entwicklungsaspekte von psychischen Erkrankungen, aber auch für Veränderungen im Lernen und Entscheidungsverhalten, die im typischen Entwicklungsverlauf eines Menschen auftreten“, schildert Andrea Reiter. Dies führte sie nach ihrer Doktorarbeit im Jahr 2015 als wissenschaftliche Mitarbeiterin in den Bereich „Entwicklungspsychologie und Neurowissenschaft der Lebensspanne“ an der TU Dresden.

Ihre letzte Karriereetappe vor Würzburg war von 2018 bis 2020 das University College in London. Dort beschäftigte sie sich als Postdoktorandin am Max Planck – UCL Centre for Computational Psychiatry and Ageing Research und am Wellcome Trust Centre for Human Imaging mit jugendlicher Entwicklung und Psychopathologie. „Dabei hatte ich Gelegenheit, meine Kenntnisse in Bereichen wie Hirnbildgebung und Computationaler Modellierung zu vertiefen und an einer großangelegten Längsschnittstudie zur jugendlichen Entwicklung mitzuwirken“, erläutert Reiter.

Entscheidungsprozesse von Jugendlichen besser verstehen

Mit diesem Werdegang steht der Psychologin ein umfangreiches Methodenportfolio für ihre breit angelegten Forschungsinteressen zur Verfügung, die sie nun an der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (KJPPP) des Uniklinikums Würzburg (UKW) weiterverfolgt.

„Schwerpunktmäßig beschäftige ich mich aus einer grundlagenwissenschaftlichen Perspektive damit, wie vor allem junge Menschen Entscheidungen treffen, wie basale Lernprozesse ablaufen und wo es hierbei mögliche Zusammenhänge zu psychischen Erkrankungen gibt“, schildert die Wissenschaftlerin.

Die dafür nötigen Daten werden in psychologischen Experimenten gewonnen, bei denen neben Verhaltensmaßen unter anderem die besonders involvierten Hirnareale mittels Magnetresonanztomografie (MRT) oder Elektroenzephalografie (EEG) ermittelt werden. Anschließend helfen Computeralgorithmen, die aus Verhaltensexperimenten oder per Hirnscanner gewonnenen Informationen auszuwerten.

Mit struktureller Hirnbildgebung Umbauprozesse untersuchen

Die oben genannten Bildgebungsverfahren spielen auch eine zentrale Rolle, wenn es um die strukturelle Entwicklung des Gehirns geht. Andrea Reiter: „Wir wissen schon seit langem, dass sich das menschliche Gehirn in der Kindheit massiv verändert. Im Gegensatz dazu sind weitere solche Umbauprozesse im Teenager-Alter erst in den letzten beiden Jahrzehnten in den Fokus der Forschung gerückt. Eine Hypothese dabei ist, dass abweichende Umbauprozesse auch damit zusammenhängen können, dass Jugendliche psychische Probleme entwickeln.“

Verhalten ist ansteckend

Ein weiterer Schwerpunkt in der Forschungsarbeit der Juniorprofessorin sind soziale Aspekte von Verhalten. Sie verdeutlicht: „Wir alle lassen uns in unserem Verhalten von anderen anstecken. Im Jugendalter wirkt dieser Effekt allerdings deutlich stärker.“

Aus Studien ist bekannt, dass Jugendliche mit bestimmten psychischen Störungen soziale Reize anders verarbeiten als gesunde Jugendliche. Ein Ziel ihrer Arbeitsgruppe ist es, die Rolle von sozialer Information und Interaktion sowie von sozialem Lernen bei verschiedenen psychiatrischen Erkrankungen, aber auch in Therapieprozessen zu untersuchen.

„Eine interessante Frage für die zukünftige Therapieplanung ist in diesem Zusammenhang, ob sich durch kognitive Marker, die zum Teil mit Computeralgorithmen gewonnen werden können, die Jugendlichen, die zum Beispiel von einer Gruppentherapie profitieren könnten, von denjenigen unterscheiden lassen, für die das nicht der richtige Behandlungsweg ist“, sagt Andrea Reiter.

Erfolgreiche Drittmitteleinwerbungen

„Wir sind hochzufrieden, dass wir die neue Juniorprofessur mit einer so vielseitigen und anerkannten Wissenschaftlerin besetzen konnten“, freut sich Prof. Dr. Marcel Romanos, der Direktor der KJPPP. Deutlich wird die Relevanz der wissenschaftlichen Themen des Würzburger Neuzugangs unter anderem durch die von ihr bislang eingeworbenen Forschungsmittel. Neben der mehrfachen Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) wurde Andrea Reiter auch international durch den 2020 NARSAD Young Investigator Award der Brain & Behavior Research Foundation ausgezeichnet. Diese Förderung ist eine renommierte internationale Auszeichnung für NachwuchswissenschaftlerInnen im Bereich Biologische Psychiatrie.

Auch in Klinik und Lehre engagiert

Neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit ist Andrea Reiter auch klinisch als Psychotherapeutin tätig – sie hat 2019 die Approbation für psychologische Psychotherapie erworben. Außerdem engagiert sie sich in der Lehre, und zwar sowohl bei der Ausbildung von Medizinstudierenden als auch in der Betreuung von Medizin- und Psychologie-Doktorarbeiten.

In Summe ist die Professur für Andrea Reiter nach eigenen Worten wie maßgeschneidert. „Mein Interesse für die Wissenschaft ist durch mein Psychologiestudium in Würzburg geweckt worden. Eine Besonderheit war schon damals die hier gepflegte enge Zusammenarbeit, auch über Fakultäten hinweg, beispielsweise zwischen der Psychiatrie und der klinischen Psychologie. Auch jetzt freue ich mich auf vielfältige Kooperationsmöglichkeiten – sei es mit der Erwachsenenpsychiatrie, der Neuroradiologie und Neurobiologie, der Psychologie oder der Pädagogik.“ Außerdem gebe es in Würzburg schon seit langem einen starken wissenschaftlichen Fokus auf Lernprozesse.

„Last but not least kann ich mich hier im neuen Deutschen Zentrum für Präventionsforschung und Psychische Gesundheit engagieren. Das ist für mich sehr attraktiv, da ich es für essentiell halte, psychische Krankheiten nicht nur effektiv zu behandeln, sondern diesen auch evidenzbasiert vorzubeugen“, betont die Professorin. Ihre Stelle wurde von der JMU im Tenure-Track-Verfahren eingerichtet. Das bedeutet, dass in drei Jahren eine Evaluation stattfindet, nach der eine Verstetigung der Professur in Aussicht steht.

Kontakt

Juniorprofessorin Dr. Andrea Reiter, Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Universitätsmedizin Würzburg, reiter_a2@ukw.de

Von Helmuth Ziegler

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