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Mehr als nur ein Meisterwerk

02.07.2024

Auf dem diesjährigen Africa Festival war auch die Universität Würzburg wieder mit einem Zelt vertreten. Kulturstaatsministerin Claudia Roth zeigte sich bei ihrem Besuch davon begeistert.

Bei ihrem Besuch auf dem Africa Festival hat Kulturstaatsministerin Claudia Roth mit Studierenden der JMU über die Aufarbeitung des Kolonialismus in Deutschland diskutiert.
Bei ihrem Besuch auf dem Africa Festival hat Kulturstaatsministerin Claudia Roth mit Studierenden der JMU über die Aufarbeitung des Kolonialismus in Deutschland diskutiert. (Bild: Forum Afrikazentrum)

Afrika – das ist unter anderem Namibia und Ghana, Marokko und Tansania, Äthiopien und Kongo. Dass es „das“ Afrika gäbe, damit fangen die falschen Vorstellungen an. Im Uni-Zelt auf dem Africa Festival wurde gezeigt, wie vielfältig Afrika ist. Und wie viele Würzburger Forschungsprojekte mit afrikanischen Universitäten zusammenarbeiten.

Ausstellung „Würzburg und Kolonialismus“

Die Würzburger Museologie präsentierte eine facettenreiche, spannende Querverbindung zwischen der Kolonialgeschichte Deutschlands und kolonialistischen Spuren in Würzburg. Vor allem dies stieß auf großes Interesse bei Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Von der Präsentation war sie so begeistert, dass sie spontan nach Berlin einlud.

Das markanteste Beispiel für koloniale Kontexte in Würzburg ist wahrscheinlich das Deckenfresko von Giovanni Battista Tiepolo in der Residenz. Wer sich ohne viel Mühe mit ihm befasst, bleibt im Staunen stecken: Was für ein Meisterwerk! Beim näheren Hinschauen allerdings werden irritierende Details sichtbar. „Es ist auffällig, wie hier rassistische Stereotype reproduziert werden“, sagt Museologie-Studentin Filippa Mörz. Sie hat sich für die Ausstellung „Würzburg und Kolonialismus: Gestern? Heute!“, die auf dem rassismuskritischen Stadtrundgang „Würzburg postKolonial beleuchten“ aufbaut, intensiv mit dem Deckenfresko beschäftigt.

Ein neuer Blick auf Tiepolos Deckenfresko

An Tiepolos Meisterwerk lässt sich erkennen, wie leicht man ganze Bevölkerungsgruppen herabsetzen kann. Tiepolo hatte sich für vier Frauengestalten als Allegorien der vier damals bekannten Kontinente entschieden. Jene Frauen, die Afrika und Amerika symbolisieren, werden primitiv, nackt und umgeben von Gewaltszenen gezeigt. Das arbeiteten die Studierenden heraus. Was mehr als einmal für einen Aha-Effekt im Uni-Zeit sorgte: So hatte man das Deckenfresko noch nie betrachtet!

Das Team der Museologie war darauf eingestellt, dass manche Besucher womöglich sauer reagieren würde, wenn Tiepolos Meisterwerk derart kritisch unter die Lupe genommen wird. Und so war es. „Viele Besucherinnen und Besucher haben sich bei uns bedankt, aber es gab auch vereinzelt Kritik“, so Filippa Mörz.

Kritische Stimmen an der Pinwand

Die Tatsache, dass hier eurozentristische Klischees wiedergegeben werden, sei doch übertrieben, äußerten diese Gäste. Damit wurden die Gestalterinnen des Ausstellungsbanners mit einer Reaktion konfrontiert, die man dieser Tage häufig antrifft. Man dürfe nicht penetrant moralisieren, sagen bisweilen Bürgerinnen und Bürger. „Dass sich einige persönlich angegriffen gefühlt haben, obwohl man nur den heutigen Forschungsstand aufzeigt, hat mich erstaunt“, so Guido Fackler, Leiter der Würzburger Museologie. Die Gruppe erlaubte deshalb, Feedbacks auf die Banner zu pinnen: „Wir ließen auch kritische Stimmen kleben, die wollten wir auf keinen Fall unterdrücken.“

Um persönliche Angriffe geht es bei Rassismuskritik nicht, betont Studentin Julia Braun: „Wir wollen aufklären, nicht angreifen.“ Selbstverständlich ist ein individueller Geschmack erlaubt: Ein und das gleiche Kunstwerk kann von den einen aus ästhetischen Gründen bewundert und von den anderen wegen kolonialer Kontexte abgelehnt werden. Inhaltlich betrachtet schaut die Sache nämlich anders aus.

„Das darf man nicht verwechseln“, warnt Guido Fackler. Worin die Problematik besteht, erklärt Johanna Rieger, die das Lehrforschungsprojekt „Würzburg postkolonial (er-)leben“, aus dem die Ausstellung hervorging, gemeinsam mit ihm und Jana Sierig geleitet hatte. „Rassistische Denkstrukturen sind seit langer Zeit tief in der Gesellschaft verankert“, betont die Studentin.

Einladung nach Berlin

Dass man das nicht wegreden kann, bestätigte den 13 am Ausstellungsprojekt beteiligten Studierenden Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Die Arbeit der jungen Leute gefiel der Grünen-Politikerin so gut, dass sie erklärte, mit der Projektgruppe im Austausch bleiben zu wollen. Bei einem Gespräch in Berlin würde sie die lebhaften Diskussionen im Uni-Zelt gerne fortsetzen wollen. „Noch ist unser Besuch allerdings nicht terminiert“, so Guido Fackler. Auch Würzburgs Oberbürgermeister Christian Schuchardt fand die Ausstellung gelungen. Er würde sich wünschen, dass sie demnächst im Würzburger Rathaus gezeigt wird.

Passiert heute irgendetwas irgendwo auf der Welt, liegen in kürzester Zeit verschiedene Schilderungen eines Ereignisses vor. Es gibt einander widersprechende Zeugenaussagen. Oder unterschiedliche Expertenmeinungen. Darüber kann man sich informieren. Diese Möglichkeit hatten weder die Zeitgenossen Tiepolos noch jene des Würzburger Dichters Max Dauthendey.

Ein kritischer Blick auf historische Sprache

Letzterer beschrieb das, was er bei seinem Aufenthalt in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Neuguinea sah, laut Julia Braun in einer Sprache, die heute äußerst kritisch zu sehen ist. „Doch man konnte das damals nicht gegenchecken“, sagt sie. Durch seine Wortwahl entstand ein von Rassismus geprägtes Weltbild im Kopf seiner Leserinnen und Leser.

Um dieses heute nicht in Ausstellungstexten zu reproduzieren, entschied sich die Studierendengruppe Textauszüge von Dauthendey nur über einen QR-Code zugänglich zu machen. Dazu gab es folgende “Trigger-Warnung”, so Julia Braun: “Entscheide selbst, ob du Aussagen in rassistischer Sprache lesen willst.” Jeder, der einmal tief und ehrlich über sich selbst nachdenkt, wird auf die eine oder andere unbewusste Eingebildetheit oder das eine oder andere unbewusste Vorurteil stoßen. Bewusst machen, aufklären, Zusammenhänge aufzeigen, Stereotype entlarven ist das Ziel.

Mit und über Afrika: Forschung und Lehre an der JMU

Es gibt aber noch viel mehr Forschungen und Aktivitäten über und mit Afrika an der Uni Würzburg. Hier haben sich mehr als 50 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus diversen Fakultäten im “Forum Afrikazentrum” (FAZ) zusammengeschlossen. “Wir präsentieren jedes Jahr im Uni-Zelt auf dem Afrikafestival eine kleine Auswahl unserer zahlreichen Projekte”, so FAZ-Sprecher Ronald Bogaschewsky.

Highlights bildeten in diesem Jahr diverse Forschungsprojekte des Lehrstuhls für Fernerkundung, des Else-Kröner-Centers zur Wurmerkrankung Schistosomiasis, das neue Kongo-Handbuch der Political and Social Studies sowie Aktivitäten zur „Planetaren Gesundheit“ der Medizinischen Fakultät sowie des von der Erwachsenenbildung/Weiterbildung organisierten internationalen Studierendenaustauschs.

„In all diesen Fällen handelt es sich um herausragende Projekte“, so der Leiter des Würzburger Lehrstuhls für BWL und Industriebetriebslehre. Charakteristisch sei, dass hier Forschung in und mit Afrika betrieben werde. Es gehe also nicht darum, sich weit weg von Afrika mit dem Kontinent als reinem Forschungsgegenstand auseinanderzusetzen.

Afrika, wurde durch die Präsentationen deutlich, ist mehr als die medial oft herausgestellten Hungersnöte, Kriege und Chaos. „Sehr viel mehr“, so Ronald Bogaschewsky. Afrika sei im Übrigen nicht nur auf Europa angewiesen, sondern Europa auch auf Afrika. Gute Wege zu finden, mit Afrika partnerschaftlich zusammenzuarbeiten, werde immer wichtiger.

Homepage des Forum Afrikazentrum

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Von Pressestelle JMU

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