Mehr Artenvielfalt am Ackerrand
18.04.2023Können Blühstreifen, kombiniert mit Hecken die biologische Vielfalt in intensiv genutzten landwirtschaftlichen Gebieten verbessern? Das untersucht ein Team der Uni Würzburg mit Projektpartnern aus vier EU-Ländern.
Das Problem ist bekannt: Weltweit gehen die Menge und die Vielfalt der Insekten zurück. Auch die Bestände vieler Vogelarten sind in den vergangenen Jahrzehnten drastisch geschrumpft. Die Gründe dafür sind gut erforscht. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler führen diesen Rückgang zum einen auf Veränderungen der Landnutzung zurück, beispielsweise auf die Zunahme großer Monokulturen wie Mais und Raps. Zum anderen nennen sie als Ursache auch den Klimawandel mit vermehrter Hitze und langen Phasen der Trockenheit.
Ob sich die biologische Vielfalt in intensiv genutzten landwirtschaftlichen Gebieten mit vergleichsweise einfachen Maßnahmen erhalten und sogenannte „Ökosystemleistungen“ maximieren lassen: Das erforscht ein internationales Verbundprojekt in den kommenden drei Jahren. Daran beteiligt sind acht Projektpartner aus vier EU-Ländern, die Projektleitung liegt bei der Universität Rennes in Frankreich. Mit im Boot ist die Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU); sie erhält dafür vom Bundesforschungsministerium rund 200.000 Euro.
Feldexperimente in Unterfranken
„Wir untersuchen, ob Hecken in Kombination mit Blühstreifen in der Nachbarschaft zu landwirtschaftlich genutzten Flächen dazu beitragen können, die Artenvielfalt zu erhöhen, ohne den landwirtschaftlichen Ertrag zu verringern“, erklärt Dr. Sarah Redlich die Vorgehensweise. Redlich ist Akademische Rätin am Lehrstuhl für Zoologie III (Leitung: Prof. Ingolf Steffan-Dewenter) der JMU; die Biologin forscht bereits seit vielen Jahren zum Rückgang der Artenvielfalt und dem Einfluss von Landnutzung, Klima und Bewirtschaftung auf Ökosystemleistungen auf dem Acker.
In insgesamt 20 Landschaften in Unterfranken werden sie und ihr Team demnächst Blühstreifen anlegen, die sich in direkter Nähe zu Hecken und Weizenfeldern befinden. „Hecken sind normalerweise gut für die Artenvielfalt vieler Tiere, zum Beispiel Vögeln“, erklärt Redlich. Gleichzeitig können sie aber auch Schädlingen Schutz und Unterschlupf bieten. Das wiederum schätzen Landwirte gar nicht.
Die Hoffnung der Biologin ist, dass Blühstreifen die, wie sie sagt, „möglichen Nachteile der Hecke“ reduzieren. Denn neben Wildtieren und Bestäubern profitieren auch räuberische oder samenfressende Insekten von der Strukturvielfalt und den Ressourcen in Hecken und Blühstreifen. Wandern sie von dort in den benachbarten Acker, könnten sie diesen somit vor Schädlingsbefall und Unkraut bewahren und im besten Fall sogar die Reduzierung von Pflanzenschutzmittel ermöglichen.
Reallabore und bürgerbasierte Datenerfassung
Ein wichtiger Schwerpunkt des Forschungsprojekts ConservES ist die Etablierung eines Reallabors in der Region Unterfranken. Das Reallabor bietet die Möglichkeit eines transdisziplinären Austausches zwischen Wissenschaftlern und nicht-wissenschaftlichen Akteuren aus der Region, um gemeinsam die Zielrichtung des Forschungsvorhabens festzulegen und die Feldexperimente umzusetzen.
Sogenannte „BioBlitze“ sind ein weiterer zentraler Bestandteil – oder anders formuliert: die bürgerbasierte Datenerhebung vor Ort. „Wir wollen dafür im Juni an einem Wochenende interessierte Bürgerinnen und Bürger einladen, damit diese, betreut von Expertinnen und Experten, die Grunddiversität vor Etablierung der Blühstreifen erfassen – also genau untersuchen, welche und wie viele Gliederfüßer, Vögel und Pflanzen in dem jeweiligen Gebiet bereits leben“, so die Biologin. Kombiniert mit detaillierten Biodiversitätserfassungen durch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie einem zweiten BioBlitz im letzten Jahr des Projektes können so die Veränderungen der Artenvielfalt genau dokumentiert werden.
Die anderen Projektbeteiligten werden identisch vorgehen – in fünf unterschiedlichen Regionen Europas, die sich in erster Linie durch ihr jeweiliges Klima unterscheiden. Diese erstrecken sich von dem eher milden atlantischen Klima in West- und Nordfrankreich über Wallonien (Belgien) und Süddeutschland bis ins kontinentale Klima in West-Tschechien. Das macht es möglich, den Effekt der Temperatur und damit einen wichtigen Treiber des Klimawandels in die Studie miteinzubeziehen, erklärt Redlich.
Landwirte werden miteinbezogen
Auch die Landwirte werden eng in die Untersuchungen eingebunden, sowohl durch das Reallabor, die BioBlitze als auch die Feldexperimente. „Die Einbeziehung der Betriebe vor Ort ist eine der wichtigsten Aktivitäten und ein entscheidender Faktor für den Erfolg des Projekts“, sagt Stephanie Timm, Projektleiterin bei der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), die für die internationale Kommunikation sowie für die Verbreitung der Ergebnisse und des erworbenen Wissens verantwortlich ist.
„Das Konzept des Reallabors sieht vor, gemeinsam mit den Landwirten Szenarien für die Ausweitung der Vielfalt innerhalb, in der Nähe und um die Felder herum zu entwickeln, um die Vielfalt der Agrarökosysteme auf der Ebene der Betriebe und der Landschaft zu optimieren. Die Landwirte werden in die Erhaltung der biologischen Vielfalt und die Gesundheit der Ökosysteme einbezogen“, so Timm.
Am Ende versprechen sich die Projektbeteiligten „einen hohen ökologischen Nutzen der floralen Anreicherung für die biologische Vielfalt und die Ökosystemleistungen auf konventionell bewirtschafteten Flächen“, wie die Projektleiterin Joan Van Baaren von der Universität Rennes sagt.
Der Lehrstuhl für Zoologie III
Der Lehrstuhl für Zoologie III der Universität Würzburg verfügt über eine langjährige internationale Reputation in der Erforschung des globalen Wandels. Bei der Suche nach den Ursachen für den regionalen und globalen Rückgang der biologischen Vielfalt bildet die Erforschung der Ökologie, der Evolution, des Verhaltens und der Physiologie von Insekten einen Schwerpunkt der Arbeit von Lehrstuhlinhaber Professor Ingolf Steffan-Dewenter und seinem Team.
Frühere Forschungsarbeiten der Mitglieder des Lehrstuhls deuten darauf hin, dass die landwirtschaftliche Flächennutzung eine der Ursachen für den jüngsten Insektenrückgang ist. In weiteren Publikationen konnten sie die Wechselwirkungen zwischen Klima und Flächennutzung auf die pflanzliche, tierische und mikrobielle Vielfalt aufzeigen. Ihre Arbeiten unterstreichen die Bedeutung des Artenreichtums für die Bestäubungsleistung und die Bekämpfung von Schädlingen.
Kontakt
Dr. Sarah Redlich, Lehrstuhl für Zoologie III (Tierökologie), T: +49 931 31-82129, sarah.redlich@uni-wuerzburg.de
Wer mehr über das Projekt ConservES wissen möchte und/oder an der Teilnahme am Reallabor, den Feldexperimenten oder dem BioBlitz interessiert ist, kann sich an folgende Adresse wenden: conserves@uni-wuerzburg.de