Mehr VR und KI im GI
18.04.2023Alexander Hann hat die neue Professur für Digitale Transformation in der Gastroenterologie am Uniklinikum Würzburg angenommen. Sein Ziel ist es, die Digitalisierung in Forschung, Lehre, Vorsorge und Behandlung voranzutreiben.
Im Gespräch mit Alexander Hann, dem neuen Professor für Digitale Transformation in der Gastroenterologie am Uniklinikum Würzburg, ergeben sich unweigerlich Assoziationen zu Daniel Drüsentrieb, dem genialen Meistertüftler aus Walt Disneys Entenhausen. Zum Beispiel, wenn Alexander Hann sein Basecap mit Tracking-Gerät obenauf präsentiert. Beugt sich die Person mit dem Tracker auf dem Kopf nach vorn, vergrößert sich das endoskopische Bild in dem Bereich des Dickdarms, der gerade von Interesse ist.
„Ein typisches Beispiel, wie sich mit einfachen technischen Tricks und etwas Computerwissen die Probleme, die wir im klinischen Alltag haben, lösen lassen“, sagt der Gastroenterologe, der schon als Schüler eine Firma gegründet hat, um Homepages zu programmieren. Das Problem lag hier darin, dass das Endoskop bei der Darmspiegelung, der so genannten Koloskopie, manchmal nur eingeschränkte Bilder liefert.
„Wenn ich zum Beispiel einen Bereich näher betrachten möchte, und das Gerät nicht näher an die Darmwand kann, geht man automatisch mit dem Kopf näher zum Monitor, natürlich erfolglos, da vergrößert sich nichts“, bemerkt Alexander Hann. „Daher habe ich einen Virtual-Reality-Tracker an den Kopf des Untersuchenden angeschlossen und das Videosignal durch den Computer geleitet. Jetzt wird das Bild tatsächlich größer, wenn ich näher rangehe.“ Die intuitive Zoom-Methode mittels virtueller Realität (VR) wurde 2019 im gastroenterologischen Fachjournal Gut publiziert.
Künstliche Intelligenz in der Darmkrebsvorsorge
Alexander Hann liebt es, solche praktischen Sachen zu erforschen und zu entwickeln. Er selbst hat, ähnlich wie die Comicfigur Düsentrieb, keine kommerziellen Interessen, freut sich aber natürlich, wenn die Industrie seine Ideen aufgreift. Am liebsten steckt er jedoch seine Energie in neue, spannende Projekte. Zum Beispiel untersucht er mit seiner Würzburger Arbeitsgruppe InExEn, wie sich mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) die Darmkrebs-Vorsorge verbessern lässt.
InExEn steht für interventionelle und experimentelle Endoskopie. So hat das interdisziplinäre InExEn-Team, das aus Informatikern, Ingenieuren und Ärzten besteht, die programmieren können, eine KI entwickelt, die während einer Dickdarmspiegelung in Echtzeit mit kleinen blauen Quadraten auf Krebsvorstufen aufmerksam macht. Dazu musste die KI zuvor mit vielen Bilddaten trainiert werden, welche im Rahmen von klinischen Studien an verschiedenen Zentren gesammelt wurden.
„Dank unserer Kooperationspartner haben wir einen unglaublichen Datenschatz mit tausenden von Endoskopie-Videos, die dazu beitragen, die Vorsorge unserer Patientinnen und Patienten zu verbessern“, schwärmt Alexander Hann, der die KI zur Polypen-Detektion im Internet frei zur Verfügung gestellt hat.
Blind auf die KI verlassen, solle man sich jedoch nicht. Sein Team hat nämlich auch den Einfluss von KI auf die Untersuchenden unter die Lupe genommen. Dazu wurden Erfahrenen und Anfängern Eyetracking-Brillen aufgesetzt und endoskopische Videos mit und ohne Polypen sowie mit und ohne KI-Unterstützung gezeigt. Ergebnis: Sobald KI im Spiel ist, reduzierten sich die Augenbewegungen in beiden Gruppen, die Untersuchenden werden weniger aufmerksam. KI birgt also auch Risiken. Für die grundlegenden und klinischen Analysen der Polypen-Detektionssysteme in der Vorsorgekoloskopie wurde das Team mit dem Darmkrebs-Präventionspreis 2023 der Stiftung LebensBlicke ausgezeichnet.
Neue Dimension des Lernens mit dem Virtuellen Gastro-Tutor
Nicht nur die Forschung und Optimierung der Behandlung liegen dem Vater einer kleinen Tochter am Herzen, auch die Lehre. Und hier kann Virtual Reality eine sinnvolle Ergänzung sein, wie das Projekt VIGATU (VIrtueller GAstro TUtor) erfolgreich unter Beweis stellt. In dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Förderrichtlinie „Digitale Medien in der beruflichen Bildung in den Gesundheitsberufen (DigiMed)“ geförderten Verbundprojekt, wird ein VR-basiertes Lehr-Lernsystem für Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte entwickelt.
Die Koordination und den medizinischen Input stellt Alexander Hann mit seinem Team. Die Endoskopie-Fachkrankenschwester und promovierte Pflegewissenschaftlerin Monika Engelke vom Bildungswerk Herne betreut die Inhalte für die Pflegekräfte, während die Universität Ulm mit dem Institut für Medieninformatik die Programmierarbeit und das Institut für Psychologie und Pädagogik die Didaktik übernehmen und das Unternehmen ThreeDee für die 3D-Gestaltung zuständig ist.
Wie der virtuelle Gastro-Tutor funktioniert und man Wissen und Fertigkeiten zur Durchführung einer Leitlinienkonformen Vorsorgekoloskopie mittels VR erwerben kann, erklärt Alexander Hann am Beispiel eines Films.
„Meine Kollegin Dorothea Henniger setzt hier im Büro die VR-Brille auf, ein so genanntes Head-Mounted-Display, und teleportiert sich in einen virtuellen Koloskopie-Raum. Sie kann sich dort umschauen und frei bewegen, überprüft Checklisten, baut das Endoskop auf, schaltet den Endoskopie-Turm ein, gibt dem Patienten etwas zum Schlafen, überprüft Blutdruck und Puls, alles ganz wichtige Pflegetätigkeiten, bevor es zur Simulation einer Vorsorgekoloskopie kommt.“ 30 solcher VR-Brillen stehen bereit, um in den nächsten Monaten deutschlandweit in Weiterbildungszentren eingesetzt zu werden.
VR als Vehikel, um Wissen zu transportieren
Auch für die Studierenden gibt es Möglichkeiten, sich mittels VR sowohl theoretisches als auch praktisches Wissen über die Endoskopie anzueignen. Mit der VR-Brille beamen sie sich gewissermaßen in eine andere Welt, in der sie auf spielerische Art und Weise alles rund um den Darm erfahren: Wie unterscheidet sich zum Beispiel ein kranker vom gesunden Darm? Was sind Symptome und Risikofaktoren von Pankreaskarzinomen? Die Studierenden bekommen ein Endoskop in die Hand gedrückt und müssen die Ventile korrekt stecken. Und sie werden zu Krebsvorstufen abgefragt, welche Polypen deuten auf ein Karzinom hin?
„Das Tolle ist, dass die Ausbildenden die Plattform eigenständig und ohne Programmierkenntnisse bedienen und eigene VR-Lehrvideos erstellen können“, bemerkt Alexander Hann. „Damit haben wir, was die Virtual Reality betrifft, die gesamten Weiterbildungsbereiche abgedeckt.“
Bei der Informatik und Medizin gebe es so viele Überschneidungen und Verknüpfungsmöglichkeiten, sodass Alexander Hann dringend empfiehlt, Medizinstudierende, die ein Interesse an KI haben, zu fördern. Ebenso sollten Informatiker schon während des Studiums für medizinische Fragestellungen begeistert werden.
Schreibt KI künftig die Endoskopie-Befunde?
Mit der neuen Professur, die er seit dem 1. März 2023 innehat, möchte er die Universitätsmedizin Würzburg auf dem Gebiet der KI und Digitalisierung deutschlandweit bekannter machen. Ebenfalls möchte er die Digitalisierung vorantreiben und weiterhin viele praktische Lösungen finden, welche die Diagnostik und Behandlung verbessern, nachhaltig sind und Arbeitsschritte erleichtern. Aktuell arbeitet er daran, dass die KI Ärzten und Ärztinnen vom zeitaufwändigen und bisweilen mühsamen Schreiben der Befunde erlöst. „Die KI kann das sehr gut übernehmen, wie unsere neuste Forschungsarbeit zeigt.“
Zur Person
Alexander Hann (Jahrgang 1980) ist in Hamburg aufgewachsen und hat schon vor dem Abitur eine Firma gegründet und Homepages programmiert. Während seines Medizinstudiums hat er am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf (UKE) Grundlagenforschung betrieben, die er in seiner ersten Assistenzarztzeit am Universitätsklinikum Marburg zum Thema Pankreaskarzinom fortgesetzt hat. Seinen Facharzt für Innere Medizin hat er am Katharinenhospital in Stuttgart absolviert, wo er vorwiegend klinische Forschung zum Pankreaskarzinom betrieben hat. Diese intensivierte er am Universitätsklinikum Ulm in der Gastroenterologie.
In Ulm hat er Professor Alexander Meining kennen gelernt, der dort von 2014 bis 2019 die Professur für interventionelle und experimentelle Endoskopie innehatte und heute am Uniklinikum Würzburg, stellvertretender Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik II ist und hier den Schwerprunkt Gastroenterologie leitet. Alexander Hann folgte Alexander Meining nach Würzburg und wurde stellvertretender Schwerpunktleiter der Gastroenterologie. Seit März 2023 hält er die neue Professur für Digitale Transformation in der Gastroenterologie.