Menschenrechte und Religion
19.12.2017Flüchtlingsbewegungen und die Finanzkrise setzen die Menschenrechte unter Druck. Welche Rolle Religion dabei spielt, untersucht ein von Würzburger Theologen koordiniertes internationales Forschungsprojekt. Jetzt liegen neue Ergebnisse vor.
Welcher Lebensstandard soll allen Menschen gleichermaßen garantiert werden? Welche Minimalansprüche soll es geben, um die Würde des Einzelnen zu achten? Mit Blick auf gegenwärtige Ereignisse wie die Flüchtlingsproblematik und die Finanzkrise gewinnen diese Fragen zunehmend an Brisanz. Grundlegende Menschenrechte wie das Recht auf Arbeit, auf Bildung und auf Gesundheit geraten zunehmend unter Druck. Welche Rolle spielen in dieser Diskussion die Religionen und die religiösen Überzeugungen der Bürgerinnen und Bürger?
Internationale Forschergruppe diskutiert ihre Ergebnisse
Zur Klärung dieser Fragen traf sich vom 6. bis zum 9. Dezember 2017 die von Professor Hans-Georg Ziebertz (Universität Würzburg) koordinierte Forschergruppe „Religion and Human Rights“ an der Universität Uppsala, um Ergebnisse ihrer internationalen empirischen Studie zu diskutieren. Im Zentrum standen die Fragen: Welchen Stellenwert geben junge Menschen aus verschiedenen Ländern den sozioökonomischen Rechten? Wie beurteilen sie diesbezüglich die Arbeit der staatlichen Institutionen? Welchen Einfluss hat ihre Religiosität auf diese Einschätzungen?
Spannungen in Schweden
Die Tagung wurde eröffnet durch einen Vortrag der Juristin Anna-Sara Lind vom Uppsala Religion and Society Research Centre (CRS). Sie zeichnete darin die Tradition des schwedischen Wohlfahrtsstaates nach, der erst 1995 mit dem Eintritt in die EU und durch die Ratifizierung der Europäischen Menschenrechtskonvention mit den Ansprüchen sozioökonomischer Menschenrechte konfrontiert wurde.
Mit dem Zusammentreffen der beiden rechtlichen Systeme – garantierte wohlfahrtsstaatliche Leistungen des Staates einerseits und menschrechtlich begründete Ansprüche des Einzelnen andererseits – ergeben sich politische und juristische Spannungen, die sich durch die Aufnahme einer großen Zahl von Flüchtlingen im Jahr 2015 nochmals verschärft haben, so die Juristin. Eindrücklich zeichnete Anna-Sara Lind diese Spannungen anhand von Gerichtsfällen nach, bei denen entschieden werden musste, ob Personen aufgrund ihrer religiösen Identität beim Zugang zu wohlfahrtsstaatlichen Leistungen diskriminiert worden waren.
Unterschiede zwischen Georgien und Moldawien
Mit Blick auf die Situation in Osteuropa unternahm eine Gruppe Würzburger Forscher um Hans-Georg Ziebertz in Kooperation mit Sophia Zviadadze (Georgien) und Marina Shupac (Moldawien) einen Vergleich zwischen Georgien und Moldawien. Beide Länder eint die Geschichte als ehemalige Sowjetrepubliken und die Tatsache, dass die Mehrheit der Bevölkerung dem orthodoxen Christentum angehört.
Die Analyse der empirischen Daten konnte jedoch zeigen, dass in Georgien die Religiosität der Befragten keinen Einfluss auf die Zustimmung zu sozioökonomischen Rechten hat, weil sich die Georgische Orthodoxe Kirche vor allem als Garant national-kultureller Identität inszeniert, so die Wissenschaftler. In Moldawien hingegen, wo die orthodoxe Kirche auch soziale Aufgaben eines nicht funktionierenden Staates übernimmt, zeige die Religiosität der Befragten einen deutlichen Einfluss auf die Zustimmung zu sozioökonomischen Rechten.
Ähnliche Befunde in Tansania und Nigeria
Zu ähnlichen Ergebnissen kamen auch Clement Fumbo (Tansania) und Modestus Adimekwe (Nigeria), die die Zustimmung zum Recht auf Bildung in Tansania und Nigeria miteinander verglichen. Das Recht auf Bildung spielt im Hinblick auf gesellschaftliche und individuelle Entwicklung eine zentrale Rolle und gilt deshalb als eines der Menschenrechte, die zur adäquaten Wahrnehmung vieler anderer Rechte (beispielsweise politischer Rechte) überhaupt erst befähigen. So verwundere es nicht, dass die Zustimmung zum Recht auf Bildung – welches vor allem eine erreichbare, kostenlose Grundbildung für alle umfasst – in Tansania und Nigeria sehr hoch ausfällt.
Auch hier zeigten die Befunde der empirischen Studie, dass die Religiosität der Befragten vor allem dann einen Einfluss auf ihre Zustimmung hat, wenn die sozial-karitative Dimension von Religion relevant wird. Religion führe nicht per se zu einer höheren Akzeptanz sozioökonomischer Rechte. Es sei ein bestimmtes Verständnis von Religion – eines, dass die sozialen Nöte in einer Gesellschaft als religiös relevant erachtet –, dass von Bedeutung ist, so das Resümee der beiden Wissenschaftler.
Internationales Projekt wird von Würzburg aus geleitet
Professor Hans-Georg Ziebertz, Inhaber des Lehrstuhls für Religionspädagogik an der Universität Würzburg, ist Leiter und Initiator der internationalen Forschergruppe „Religion and Human Rights“. Am Projekt sind rund 30 Länder aus Europa, Afrika, Asien und Südamerika beteiligt. Das Projekt hat eine Laufzeit bis 2019. In jährlichen Tagungen, die ein spezifisches menschenrechtsbezogenes Thema in den Blick nehmen, werden die Ergebnisse der Studie systematisch ausgewertet. Die Ergebnisse der Tagungen werden im Springer Verlag in der Reihe „Religion and Human Rights“ publiziert.
Kontakt
Prof. Dr. Dr. Hans Georg Ziebertz, Lehrstuhl für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts, Universität Würzburg, T (0931) 31-83131, hg.ziebertz@uni-wuerzburg.de