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Mit Ruhe, Papier und Bleistift

03.05.2022

Sebastián Bergeret ist mit einem Forschungspreis der Humboldt-Stiftung zu Gast an der Universität Würzburg. Am Lehrstuhl für Theoretische Physik IV sucht er nach Materialien für die Technik der Zukunft.

Sebastián Bergeret interessiert sich für die Transporteigenschaften von Nanostrukturen. In Würzburg holt er sich dafür frische Ideen.
Sebastián Bergeret interessiert sich für die Transporteigenschaften von Nanostrukturen. In Würzburg holt er sich dafür frische Ideen. (Bild: Gunnar Bartsch / Universität Würzburg)

Was braucht ein Physiker, der nach neuen Materialien mit überraschenden Eigenschaften sucht, Materialien, die die Grundlage bilden von extrem schnellen Computern, sparsamen Rechen-Chips oder ultrasensiblen Sensoren? Ganz einfach: Papier, Bleistift – und möglichst viel Ruhe. So zumindest im Fall von Sebastián Bergeret – dessen Nachname übrigens französisch ausgesprochen wird, obwohl er ursprünglich aus Uruguay stammt.

Bergeret ist Professor am Centro de Física de Materiales (CFM) in San Sebastián (Spanien) und leitet dort die Mesoscopic Physics Group. Derzeit ist er jedoch zu Gast an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) – genauer gesagt bei Professor Björn Trauzettel, Inhaber des Lehrstuhls für Theoretische Physik IV.

Ausgestattet mit einem Friedrich Wilhelm Bessel-Forschungspreis der Alexander von Humboldt-Stiftung kann Bergeret sich hier in den kommenden Monaten ganz auf seine Forschung konzentrieren, in deren Mittelpunkt bestimmte physikalische Eigenschaften neuer Materialien stehen. Und da Bergeret ein Experte auf dem Gebiet der theoretischen Physik ist, reichen ihm dafür im Wesentlichen Papier und Bleistift.

Forschung im Bereich zwischen Mikro- und Makrokosmos

Mesoscopic Physics: Was ist darunter zu verstehen? „‘Mesoskopisch‘ steht für Größenordnungen, die zwischen dem Mikro- und dem Makrokosmos liegen“, erklärt Bergeret. Oder, in anderen Worten: Es geht um Systeme, die deutlich größer sind als einzelne Atome oder Moleküle, aber viel kleiner als die Gegenstände, mit denen wir uns im Alltag umgeben.

Bergeret interessiert sich in erster Linie für die Transporteigenschaften von Nanostrukturen; insbesondere für den Transport von elektrischen Ladungen, Spin und Wärme in diesen Strukturen. In den vergangenen Jahren hat er sich dabei auf supraleitende und sogenannte spintronische Systeme konzentriert und vielzitierte Arbeiten veröffentlicht.

Bergeret steht allerdings nicht im Labor und experimentiert dort mit neuen Materialien. Als Vertreter der theoretischen Physik sei seine Arbeit „stark analytisch geprägt“, wie er sagt. Deshalb reichen ihm meistens Papier und Bleistift. Der Computer komme in der Regel erst dann ins Spiel, wenn die mathematischen Gleichungen zu kompliziert werden.

Diskussionen sind zentraler Bestandteil der Arbeit

Wichtig sei aber auch der Austausch mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. „Diskussionen sind in meinem Bereich zentral, um neue Ideen zu entwickeln“, sagt er. Diskussionen mit Kolleginnen und Kollegen, die er sonst nur ab und zu am Rande von internationalen Tagungen und Konferenzen trifft (wenn nicht ein Virus gerade solche Zusammenkünfte unmöglich macht): Diese Möglichkeit bietet ihm nun der Wilhelm Bessel-Forschungspreis – wofür Bergeret dankbar ist.

„Würzburg hat eine weltweit einzigartige Expertise auf dem Gebiet der topologischen Isolatoren“, sagt er. Der Austausch mit Vertreterinnen und Vertretern dieser Fachrichtung an der JMU sei nicht nur „erfrischend“, sondern habe schon innerhalb kurzer Zeit zu jeder Menge neuer Ideen geführt.

Natürlich begeistert sich ein Vertreter der theoretischen Physik nicht allein für die Schönheit der von ihm entwickelten Modelle und Gleichungen. „Das Experiment hat immer das letzte Wort“, sagt Bergeret. Allerdings müssen beide Seiten ihren Beitrag leisten, damit am Ende der Erfolg steht. Und so kombiniert er beispielsweise in der Theorie unterschiedliche Materialien und versucht, deren Eigenschaften vorherzusagen oder – besser – zu berechnen.

Meint er, einen geeigneten Kandidaten identifiziert zu haben, kommt der Vertreter der experimentellen Physik ins Spiel. Dieser muss herausfinden, ob sich das Material in der Realität tatsächlich so verhält wie erhofft – was auch bei sorgfältigsten Berechnungen nicht garantiert ist. Aber: „Wenn das klappt, ist es ein grandioses Gefühl“, so Bergeret.

Patente für neue Detektoren

Geklappt hat diese Vorgehensweise beispielsweise bei der Entwicklung neuer Detektoren, die in der Lage sind, elektromagnetische Strahlung zu messen. Bergerets Berechnungen haben die Grundlage für neuartige Geräte gelegt, die bereits auf dem Markt sind. Dafür hält er auch die entsprechenden Patente. Im Rahmen eines großen EU-Projekts arbeitet er außerdem an der Entwicklung eines weiteren Strahlungsdetektors, der auf der Grundlage von Supraleitern und ferromagnetischen Isolatoren arbeitet und in der Astrophysik ganz neue Möglichkeiten eröffnen soll.

Wieso hat er sich eigentlich auf die theoretische Physik spezialisiert? Ist es nicht viel spannender, im Labor zu stehen und Experimente durchzuführen? „Den Anstoß dafür hat ein Mathematikdozent gegeben, den ich während meines Physikstudiums hören durfte“, sagt Bergeret. Dank dieses Kurses habe er die Mathematik lieben gelernt, weshalb dann auch klar gewesen sei: „Ich werde entweder Mathematiker oder konzentriere mich auf die theoretische Physik.“ Seine Entscheidung für die Physik habe er nie bereut.

Zur Person

Sebastián Bergeret ist in Uruguay aufgewachsen und hat dort nach der Schule zunächst ein Ingenieurstudium aufgenommen, sich nach einigen Semestern aber entschlossen, in die Naturwissenschaften zu wechseln. Zum Physikstudium hat er sich an der Universität Bochum eingeschrieben. Dort erwarb er 1999 das Diplom und 2002 den Doktortitel.

Als Postdoc ist Bergeret nach Spanien gegangen, zunächst an den Spanish National Research Council (CSIC) und anschließend an die Universidad Autónoma de Madrid. Seit Oktober 2009 leitet er die Mesoscopic Physics Group am Centro de Fisica de Materiales (CFM) in San Sebastián, und hat dort eine Forschungsprofessur inne.

Der Friedrich Wilhelm Bessel-Forschungspreis

Die Alexander von Humboldt-Stiftung verleiht jährlich ca. 20 Friedrich Wilhelm Bessel-Forschungspreise an international anerkannte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Ausland und würdigt damit deren herausragende Forschungsleistungen. Der Preis trägt den Namen des deutschen Astronomen und Mathematikers Friedrich Wilhelm Bessel (1784-1846) und wird finanziert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Das Preisgeld beträgt 45.000 Euro.

Vorgeschlagen werden können Forschungspersönlichkeiten, deren hervorragende wissenschaftliche Qualifikation international anerkannt ist. Außerdem sollen sie „die begründete Aussicht auf zukünftige herausragende wissenschaftliche Spitzenleistungen“ bieten, die das Fachgebiet auch über das engere Arbeitsfeld hinaus nachhaltig prägen werden.

Von Gunnar Bartsch

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