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Mit uns reden – nicht über uns

31.07.2018

Nicht nur über Menschen mit Handicap reden, sondern mit ihnen: Studierende der Sonderpädagogik an der Universität Würzburg lernen gemeinsam mit Menschen mit geistiger Behinderung in einem Seminar.

Studierende der Sonderpädagogik
Theo von den Eisinger Werkstätten (Mitte) gestaltet als Tutor ein Seminar der Sonderpädagogik mit. (Foto: Annette Popp)

Die Sonderpädagogik geht einen neuen Weg in der Lehre: Menschen mit Behinderung bringen sich aktiv als Tutoren ein und gestalten das Seminar „Vertiefung der Heil- und Sonderpädagogik. Ausgewählte Aspekte sonderpädagogischer Theoriebildung“ im Sommersemester 2018 mit.

Begeisterung für das Studienfach Sonderpädagogik stärken

Die Idee für das Seminar an der Uni Würzburg stammt von Petra Vogt, Mitarbeiterin am Lehrstuhl IV für Sonderpädagogik mit Schwerpunkt Pädagogik bei geistiger Behinderung. Petra Vogt hat das Seminar entwickelt und nun zum ersten Mal durchgeführt. „Unsere Studierenden können das theoretische Lernen an der Uni direkt mit den praktischen Feldern des späteren Berufsbildes verknüpfen und sich das eigene Handeln bewusster machen. Auch möchte ich ihre Begeisterung für das Studienfach Sonderpädagogik stärken“, sagt die Dozentin.

Für das Pilotprojekt hat Petra Vogt außerhalb der Universität in den „Eisinger Werkstätten“ einen Partner gefunden, bei dem sie offene Türen eingerannt ist. Die Werkstatt für behinderte Menschen hat drei Beschäftigte für das Projekt freigestellt: Melanie, Andreas und Theo kommen nun alle zwei Wochen als Gastreferenten und Bildungsexperten in eigener Sache nach Würzburg. Zwischen den Seminarterminen fährt Petra Vogt nach Eisingen und bereitet mit den Dreien die nächsten Seminarsitzungen vor.

Im Miteinander Bildung erleben

Beim Auftakttreffen an der Uni Würzburg sind Melanie, Andreas und Theo sichtlich aufgeregt, sie lernen eine ganz neue Rolle kennen: Jetzt sind sie Tutoren und erhalten für diese Tätigkeit pro Sitzung eine Gastvergütung. Mit der Dozentin und den Studierenden und werden sie die Seminareinheiten bestreiten.

In der ersten Sitzung geht es zunächst um theoretische Grundlagen und das in der UN-Behindertenrechtskonvention manifestierte Recht auf lebenslange Bildung: Wie können sich Menschen mit Handicaps an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens gleichberechtigt beteiligen? Wie können sie individuelle Stärken und Ressourcen aufbauen und Möglichkeiten der Mitsprache und Mitgestaltung nutzen? Diesen Fragen gehen die Studierenden im Verlauf des Semesters zusammen mit den Betroffenen nach und erarbeiten, welche Voraussetzungen, Notwendigkeiten, aber auch Möglichkeiten sich eröffnen, im Miteinander Bildung zu erleben.

Die Perspektiven wechseln

Für die Studierenden ist besonders wichtig, die Perspektiven zu wechseln und Menschen aus ihrem zukünftigen Berufsfeld mit deren persönlichen Erfahrungen kennen zu lernen. Die Seminarteilnehmer teilen sich in Kleingruppen auf, die sich während des Semesters zu festen, verlässlichen Austauschgruppen mit jeweils einem Tutor entwickeln. So kommen sie intensiv mit Menschen mit Behinderung ins Gespräch und erkennen deren Schwierigkeiten, beispielsweise eigene Gedanken und Ideen in Worte zu fassen und sich bei Entscheidungen in der Gruppe aktiv mit einzubringen. In der Seminareinheit Sport erarbeiten die Studierenden gemeinsam Übungen und Spiele, bei denen es keine Verlierer gibt und die Tutoren ohne Einschränkungen mitmachen können. Beim Thema Biografie erleben sie, wie schwierig es für die drei Tutoren ist, sich den Zuhörern persönlich vorzustellen und möglichst frei von sich und ihrer Vergangenheit zu erzählen. Beim Besuch einer Ausstellung im MIND-Center der Uni beobachten die Studierenden, wie Menschen mit geistiger Behinderung auf völlig andere Weise Informationen aufnehmen oder Exponate ausprobieren.

Ohne Notendruck Erfahrungen sammeln

Georg Bauerschmidt studiert Lehramt Sonderschulpädagogik im zweiten Semester: „Die Idee des Seminars, die Praxis an die Uni zu holen, finde ich sehr gut. Sie fehlt einfach oft im Unialltag.“ Besonders wichtig sind dem Studenten die praktischen Erfahrungen mit den drei Gastdozenten: „Praktische Übungen, kein Klausurenstress und eine gute Gelegenheit sich auszutauschen.“ Mit seiner Studienfachwahl ist sich Georg recht sicher: „Mir macht es generell wahnsinnig viel Spaß, mit behinderten Menschen in der Praxis zusammen zu arbeiten.“

Auch Seminarteilnehmerin Lisa Neureither findet den Praxisbezug besonders überzeugend: „Dieses Projekt eröffnet mir die Chance, durch Gespräche und Versuche neue Erfahrungen und Erkenntnisse in einem freundschaftlichen Rahmen zu sammeln.“ Motiviert durch dieses Seminar meint Lisa: „Der besondere Reiz liegt in dem gemeinsamen Entdecken und Kennenlernen abseits des üblichen Bücherwälzens und Auswendiglernens.“

Das neu gestaltete Seminar der Sonderpädagogik ist ein Pflichtmodul, allerdings ein Modul ohne Notenvergabe. Umso mehr zählt die Verpflichtung der Teilnehmer zu aktiver, zuverlässiger Mitarbeit – auch gegenüber den neuen Tutoren. Dr. Andreas Rauh, Koordinator im Kompass Tutoren- und Mentorenprogramm an der Fakultät für Humanwissenschaften, unterstützt das Pilotprojekt mit Mitteln aus dem Qualitätspakt Lehre: „Hier können Studierende im geschützten Raum Erfahrungen sammeln, ihren Umgang mit Menschen mit geistiger Behinderung reflektieren. Und dies ohne Notendruck und Leistungsnachweis.“

Kontakt

Petra Vogt, Lehrstuhl für Sonderpädagogik IV – Pädagogik bei Geistiger Behinderung, T +49 931 31-86264, petra.vogt@uni-wuerzburg.de

Von Annette Popp

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