„Narragonien digital“ geht online
04.05.2021Am 10. Mai 2021, dem 500. Todestag des Humanisten Sebastian Brant, wird die digitale Edition seiner berühmten Moralsatire „Das Narrenschiff“ aus dem Jahr 1494 und ihrer frühen europäischen Ausgaben freigeschaltet.
Das „Narrenschiff“ ist eine bebilderte Moralsatire in frühneuhochdeutschen Knittelversen, die am 11. Februar 1494 in Basel im Druck erschienen ist. Aufgrund seiner Bebilderung mit 114 Holzschnitten, die wohl größtenteils von Albrecht Dürer geschaffen wurden, gilt das „Narrenbildbuch“ als prominentes Beispiel für experimentelle Intermedialität der Frühdruckzeit.
In dem germanistisch-romanistischen Projekt „Narragonien digital“ haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) sowie weiterer Einrichtungen im Rahmen des vom Bundesbildungsministerium geförderten „Kallimachos“-Verbundes von 2014 bis 2019 eine digitale Edition des „Narrenschiffs“ erarbeitet. Unter www.narragonien-digital.de sind nun vom 10. Mai 2021 an erstmals Brants „Narrenschiff“, seine Nachdrucke und Bearbeitungen sowie seine frühneuzeitlichen Übertragungen ins Lateinische und Französische digital zugänglich.
Menschliche Narrheit in all ihren Erscheinungsformen
Sebastian Brant (1457 bis 10. Mai 1521) gehörte um 1500 zu den führenden Intellektuellen im deutschen Sprachraum. Im „Narrenschiff“ will er die menschliche Narrheit in all ihren Erscheinungsformen vor Augen stellen. Leitmetapher ist das mit Narren voll besetzte Schiff, das Kurs auf das imaginäre Narrenland „Narragonien“ nimmt. Ziel der Narrensatire ist es, den Leserinnen und Lesern in unterhaltsamer Form ihre Schwächen, Missetaten und lässlichen Sünden vor Augen zu stellen und somit Orientierung in Fragen christlicher Lebensführung zu geben.
Hierzu präsentiert Brant eine Revue von 109 Narren, die in Bild und Spruchgedichten veranschaulicht werden und jeweils für eine bestimmte Verfehlung stehen: der Säufernarr, der Schwätzernarr, der Modenarr, der Büchernarr, der vergnügungssüchtige Studierende, der versponnene Professor und dergleichen mehr. Der Narr ist also kein verquerer Außenseiter. Er ist vielmehr ein Jedermann, der in der Mitte der Gesellschaft steht. Wir alle, sagt Brant, sind Narren im Sinne des „Narrenschiffs“, und schließt sich selbst augenzwinkernd ein. Doch die eigene Narrheit ist heilbar, wenn man sie als solche erkennt, umdenkt und sich ändert. Dies zu erreichen, ist Ziel des „Narrenschiffs“.
Ein großer Erfolg in Europa
Der Erfolg des „Narrenschiffs“ auf dem frühneuzeitlichen Buchmarkt ist bemerkenswert. Allein zwischen 1494 und 1500 erschienen 28 Ausgaben im Druck, und dies nicht nur im deutschen Sprachraum. Das breite europäische Fortwirken des „Narrenschiffs“ dankt sich seiner lateinischen Übertragung, die Brants Schüler Jakob Locher dichtete und 1497 in Basel publizierte. Sie wurde zur Grundlage für weitere Bearbeitungen in lateinischer, französischer, englischer und niederländischer Sprache, die zwischen 1497 und 1509 entstanden.
Zwölf Ausgaben im digitalen Vergleich
„Narragonien digital“ macht insgesamt zwölf dieser europäischen ‚Narrenschiff‘-Ausgaben digital verfügbar und präsentiert sie als Digitalisat, Transkription und Lesetext. Wählbar ist jeweils die Online-Anzeige als Einzeltext und in einer Zwei-Fenster-Synopse, in der man zwei „Narrenschiffe“ kapitelweise gegenüberstellen kann. Ein kommentiertes Register der Orts- und Personennamen, ein Verzeichnis der aufgerufenen Referenztexte und eine Volltext- und Filtersuche ergänzen die Texterschließung. Alle erarbeiteten „Narrenschiffe“ stehen unter einer Creative-Common-Lizenz für die wissenschaftliche Nachnutzung zur freien Verfügung.
Die Beteiligten
Der Projektgruppe „Narragonien digital“ gehörten zuletzt unter anderen Raphaëlle Jung, Florian Langhanki und Maximilian Wehner an. Die technische Umsetzung der digitalen Edition oblag Dominika Heublein, Yannik Herbst und Martin Gruner. Partner an der JMU waren das BMBF-Verbundprojekt "Kallimachos", das Zentrum für Philologie und Digitalität (Dr. Christian Reul), die Universitätsbibliothek Würzburg, der Lehrstuhl für Künstliche Intelligenz und Wissenssysteme (Prof. Dr. Frank Puppe ) und das Institut für deutsche Philologe (Dr. Christian Naser).
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Ausführlicher Bericht zum Start des Projekts
Kontakt
Prof. Dr. Brigitte Burrichter, Lehrstuhl für Französische und Italienische Literaturwissenschaft, brigitte.burrichter@uni-wuerzburg.de
Prof. Dr. Joachim Hamm, Professur für deutsche Philologie, insb. Literaturgeschichte des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, joachim.hamm@uni-wuerzburg.de