Bibliotheken voller Moleküle
14.02.2023Seine Arbeit macht die Suche nach medizinischen Wirkstoffen effizienter: Der neue Pharmazieprofessor Andreas Brunschweiger ist Experte für DNA-kodierte Molekülbibliotheken.
Man stelle sich vor: Eine Forscherin identifiziert in Tumorzellen ein Protein, das ein neuer Angriffspunkt für die Krebstherapie sein könnte: Wenn es nicht richtig funktioniert, sterben die Tumorzellen. Nun gilt es Wirkstoffe zu finden, die sich an genau dieses Protein binden und es ausschalten.
Es beginnt eine Suche nach Nadeln im Heuhaufen. Dieser Prozess ist einer der ersten Schritte auf dem langen Weg hin zu neuen Medikamenten.
Die Pharmazeutische Industrie führt mit Millionen unterschiedlichster Moleküle Reihentests durch. Diese sind zwar automatisiert, aber immer noch sehr aufwändig. Die Screenings werden aber deutlich effizienter, wenn DNA-kodierte Molekülbibliotheken zum Einsatz kommen. Ein Experte auf diesem Gebiet ist Professor Andreas Brunschweiger, neuer Leiter des Lehrstuhls für Pharmazeutische und Medizinische Chemie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU).
Scannen wie im Supermarkt
DNA-Molekülbibliotheken sind nichts anderes als ein Gemisch sehr vieler unterschiedlichster Moleküle. Sie werden extra für diesen Zweck synthetisiert, und jedes einzelne davon bekommt eine spezifische Markierung aus DNA angehängt. So wie der Scanner einer Supermarktkasse den Preis jedes Artikels über den Barcode abruft, so lassen sich in einem Wirkstoff-Screening über die DNA-Markierung deutlich schneller diejenigen Moleküle finden, die an ein Tumorprotein oder andere Zielmoleküle binden.
„Durch einen kombinatorischen Ansatz können wir mit sehr wenigen Syntheseschritten unglaublich große Bibliotheken mit Millionen von unterschiedlichen DNA-gelabelten Molekülen erstellen“, sagt Andreas Brunschweiger.
Auf sein Konto geht eine Innovation, die das Spektrum der Molekülbibliotheken deutlich erweitert hat: „Die DNA wird bei vielen chemischen Prozessen, die für die Produktion von Molekülbibliotheken attraktiv wären, beschädigt und verliert dann ihre Lesbarkeit als Barcode.“ An diesem Problem forscht sein Arbeitskreis. Er hat zum Beispiel DNA-Barcodes entwickelt, die chemisch sehr stabil sind und viele Reaktionsbedingungen aushalten.
Mitgründer eines Biotech-Startups
Mit einer DNA-Molekülbibliothek, die sein Team in Dortmund entwickelt hat, gelang die Identifizierung einer Substanzklasse, die in einen Tumor-relevanten Mechanismus eingreift. Brunschweiger hat mehrere Patente angemeldet. 2019 war er Mitgründer des Biotech-Startups Serengen GmbH, das Dienstleistungen im Bereich der frühen Arzneimittelforschung anbietet.
An der JMU wird der Professor seine Arbeit an DNA-Molekülbibliotheken weiterführen. Er will auch einen Schwerpunkt für RNA-Medizin aufbauen und ist bereits im neuen Verbund BASE Lipid dabei, der effiziente und sichere Speziallipide für mRNA-Medikamente erforscht. Brunschweigers Team ist interdisziplinär zusammengesetzt; es versammelt Fachleute unter anderem aus Chemie, Informatik, Statistik, Nanotechnologie oder Molekularbiologie.
Lehre auch zu Themen der Naturwissenschaften
Interdisziplinär möchte der neue Professor auch seine Lehre gestalten. Meist sind es vorwiegend Pharmaziestudierende, die seine Vorlesungen hören. Doch künftig will er Lehrangebote zum Thema Wirkstoffentwicklung und -forschung für andere naturwissenschaftliche Studiengänge ausbauen und hierbei auch sehr aktuelle Themen berücksichtigen, etwa RNA-basierte Wirkstoffe.
Gerade in der Coronapandemie bot er seinen Studierenden, damals in Dortmund, zusätzliche, aktuelle Themen wie RNA-Viren, PCR-Tests oder Impfstoffentwicklung in einer naturwissenschaftlichen Grundlagenvorlesung an. „Das kam gut an, ich wollte die Studierenden damit motivieren, auch mal andere Bahnen zu gehen.“
In der Lehre setzt er gerne ein Format ein, das bei der Vorbereitung auf Prüfungen hilft: „Etwa zwei Wochen vor der Klausur bitte ich die Studierenden, mir ihre offenen Fragen zu schicken. In einer Zusatzstunde gehen wir die dann gemeinsam durch. Dabei kommen die Antworten oft aus dem Kreis der Studierenden.“ In Dortmund habe diese FAQ-Runde bewirkt, dass sich die Bestehensquoten deutlich erhöhten.
Werdegang des Professors
Andreas Brunschweiger, Jahrgang 1976, stammt aus Kiel. Er hat Pharmazie an der Universität in seiner Heimatstadt studiert; seine Doktorarbeit absolvierte er an der Universität Bonn. Dort forschte er ab 2007 auch als Postdoc. Eine weitere Postdoc-Station war ab 2010 die Eidgenössische-Technische Hochschule Zürich.
2013 übernahm Brunschweiger die Leitung einer unabhängigen Forschungsgruppe an der Technischen Universität Dortmund. Gefördert vom Bundesforschungsministerium, widmete er sich dort einem komplett neuen Thema, den DNA-kodierten Molekülbibliotheken. 2020 habilitierte er sich, zum 1. Januar 2023 folgte er dann dem Ruf auf den Lehrstuhl für Pharmazeutische und Medizinische Chemie der JMU.
Kontakt
Prof. Dr. Andreas Brunschweiger, Lehrstuhl für Pharmazeutische und Medizinische Chemie, Universität Würzburg, T +49 931 31-82450, andreas.brunschweiger@uni-wuerzburg.de