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Demenz vom Stigma befreien

21.03.2023

Ein besserer Umgang mit Demenz – dafür setzt sich Professorin Alexandra Wuttke ein. Ihr liegt vor allem am Herzen, Erkenntnisse der Forschung im Alltag von Erkrankten und Angehörigen umzusetzen.

Alexandra Wuttke, Professorin für die Prävention von Demenz und Demenzfolgeerkrankungen.
Alexandra Wuttke, Professorin für die Prävention von Demenz und Demenzfolgeerkrankungen. (Bild: Universitätsklinikum Würzburg)

Sie ist mit 34 Jahren eine der jüngsten Professorinnen in der Würzburger Universitätsmedizin. Und sie kümmert sich um die Älteren unserer Gesellschaft – um Menschen mit Demenz.

„Seit meinem Psychologiestudium finde ich ältere Menschen spannend und faszinierend“, erläutert Professorin Alexandra Wuttke ihren Arbeitsschwerpunkt. „Ich erlebe tagtäglich, welche Ressourcen in ihnen schlummern. Ihre Kräfte und Energien wären so wichtig für einen intergenerationalen Austausch. Schade, dass die Gesellschaft oft eine negative Sicht auf die älteren Menschen hat.“

Ebenso bedauerlich findet sie, dass die Demenz immer noch stigmatisiert wird. Das Wort Demenz verbinden viele mit der Oma im Pflegeheim, die einen nicht mehr erkennt, oder dem Opa, der nicht mehr reden kann. Alle hätten das letzte Stadium im Kopf und dass man gegen eine Demenz machtlos sei.

Demenz entwickelt sich schleichend

Aber dass es einen jahrzehntelangen Vorlauf gibt, sich die Demenz schleichend entwickelt und sich viele Weichen stellen lassen, um das Fortschreiten zu verlangsamen und die Selbstständigkeit für einen sehr langen Zeitraum zu erhalten, das sei leider nicht in den Köpfen. Und das möchte Alexandra Wuttke ändern: das Wissen aus der Forschung in die Bevölkerung bringen!

Ein weiteres Ziel ist der Ausbau der frühen Begleitung und Intervention, die sich an Menschen mit Demenz und auch an ihre Angehörigen richtet, damit beide gesund bleiben können. Denn die Diagnose „Demenz“ sei ein Stressfaktor für alle Beteiligten, und in den unterschiedlichen Stadien der Demenz müsse es spezifische Angebote für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen geben, um Stress zu reduzieren und Resilienz zu stärken.

Die Stifter der neuen Professur

Seit Februar 2023 hat Alexandra Wuttke eine an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie im Zentrum für psychische Gesundheit (ZEP) angesiedelte W1-Stiftungsprofessur für die Prävention von Demenz und Demenzfolgeerkrankungen – zunächst in Teilzeit, da sie derzeit noch das Zentrum für psychische Gesundheit im Alter in Mainz leitet.

Die Stiftungsprofessur wurde 2022 vom Uniklinikum Würzburg, der Julius-Maximilians-Universität, der Vogel Stiftung Dr. Eckernkamp und der Stiftung Bürgerspital zum Hl. Geist eingerichtet, um an der Schnittstelle zwischen Forschung, Lehre und Anwendung das gesellschaftlich so wichtige Thema der Demenz voranzubringen.

Alexandra Wuttke ist von den ersten Arbeitstagen in Würzburg begeistert: „Ich wurde so herzlich begrüßt. Die Infrastruktur zur Demenzforschung ist in Würzburg hervorragend und es gibt bereits tolle Initiativen und Anlaufstellen für Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen.“

Würzburg bietet immensen Wissensschatz

Die Stiftung Bürgerspital zum Hl. Geist bietet seit ihrer Gründung in ihren Senioreneinrichtungen alten Menschen mit all ihren Erkrankungen eine bestmögliche Versorgung unter Wahrung von Autonomie und Würde. Und in ihrem Geriatriezentrum und der dort angesiedelten GesundheitsAkademie50Plus wird schon seit fast 20 Jahren die Therapie und Prävention typischer Alterserkrankungen intensiv verfolgt. Wuttke sieht hier zahlreiche Vernetzungsmöglichkeiten.

Einen immensen Datenschatz für die Frühdiagnose und Prävention bieten zudem die Forschungsergebnisse aus einer von der Vogel Stiftung Dr. Eckernkamp finanzierten Studie, in der mehr als 600 Würzburgerinnen und Würzburger ab 75 Jahren innerhalb von zwölf Jahren mehrfach am ZEP untersucht wurden. Nach der Querschnittsauswertung zu den Risikofaktoren für eine Demenzentwicklung steht jetzt die Längsschnittauswertung zur Frage an, wie sich eine Demenzentwicklung vorhersagen lässt.

Professorin lehrt demenzsensiblen Umgang

Auch das Uniklinikum Würzburg nimmt die Herausforderungen an, die der demografische Wandel mit sich bringt. Es hat die Themen Alterung und Multimorbidität als eines von vier Strategiefeldern definiert. Die Professur von Alexandra Wuttke ist Teil dieser Strategie.

„Ein demenzsensibler Umgang mit Patientinnen und Patienten erfordert vor allem Empathie“, lehrt sie ihre Studierenden. „Es geht darum, die Bedürfnisse zu verstehen. Menschen mit Demenz sind zum Beispiel nicht aggressiv, weil sie böse sind, sondern weil ein Bedürfnis nicht erfüllt ist. Vielleicht hat eine geschlossene Tür Erinnerungen an Kriegszeiten hervorgerufen und man kann Ängste nehmen, indem man die Tür offenlässt. Natürlich sind Gespräche zeitintensiver als die Gabe einer Pille, aber ein gutes Gespräch spart oft weitere Krisen und Wiederaufnahmen.“

Interdisziplinär denken, um alterssensibel zu handeln

Die interdisziplinäre Verortung ihrer Professur ist der Mannheimerin ganz wichtig. „Wir dürfen nicht in der eigenen Disziplin stecken bleiben. Um alterssensibel zu handeln, müssen wir interdisziplinär denken. Wir müssen die Pflege, die Medizin und die Psychologie zusammenbringen. Demenz und Depression sind die beiden größten Herausforderungen, wenn es um die psychische Gesundheit im Alter geht. Beides beeinflusst sich gegenseitig.“

Sie plant eine Studie, mit der sie genau auf diese interdisziplinäre Denkweise setzt. Zusammen mit einem Konsortium aus Versorgung, Wissenschaft und Politik möchte sie den Übergang von der stationären zur ambulanten Behandlung untersuchen.

Hörvermögen und Demenzrisiko

Doch woran erkenne ich eine Demenz? Und wie kann ich vorbeugen oder ein Fortschreiten verlangsamen?

„Wir wissen heute, dass 40 Prozent des Risikos, an einer Demenz zu erkranken, auf einen veränderbaren Lebensstil zurückgeht“, erklärt Alexandra Wuttke. Eine Rolle spielen zum Beispiel Bewegung, soziale Kontakte und psychische Gesundheit.

„Aber kaum jemand kennt den Faktor, der den größten Einfluss hat: die Hörfähigkeit im mittleren Erwachsenenalter. Wer schlecht hört und kein Hörgerät trägt, hat ein vielfach höheres Risiko, eine Demenz zu entwickeln.“ Das Tragen eines Hörgerätes könne dieses Risiko ausgleichen. Ein Grund mehr, das Thema Schwerhörigkeit nicht mehr zu tabuisieren.

Auf Augenhöhe kommunizieren – das reduziert Stress

Wenn jemand den Verdacht hat, eine Demenz zu haben, oder wenn die Angehörigen kognitive Störungen bemerken, ist es ratsam, dieses umgehend in einer Gedächtnisambulanz abklären lassen. Je früher man die Demenz erkennt und behandelt, desto besser kann man die Weichen für die weitere Versorgung stellen.

Neben Medikamenten, die den Verlauf einer Alzheimer-Demenz verlangsamen können, gibt es eine große Bandbreite an evidenz-basierten und wirksamen psychosozialen und psychotherapeutischen Maßnahmen, Interventionen und Ansätze, die Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen helfen, die demenzbedingten Veränderungen des Alltags zu bewältigen und Stress zu reduzieren.

Wichtig sei es, die Angehörigen mit einzubeziehen, betont Alexandra Wuttke, die sich sehr dafür interessiert, was sich in den Zweierbeziehungen bei einer Demenz verändert.

„Ich empfehle allen, auf Augenhöhe zu bleiben und die Menschen mit Demenz nicht wie ein Kind zu behandeln.“ Die Situation zu Hause entspanne sich oft schon durch eine Änderung der Kommunikation. Wer als Mensch mit Demenz ständig korrigiert und verbessert wird, fühlt sich ertappt und gestresst und zieht sich zurück.

„Wir dürfen den älteren Menschen durchaus mehr zutrauen. Eine gut eingestellte Smartwatch oder Aufkleber auf Schränken und Schubladen können zum Beispiel bei der Orientierung im Alltag helfen. Menschen mit einer demenziellen Entwicklung und ihre Angehörigen können lernen, trotz der Demenz möglichst lange gut zusammen zu leben. Unsere Aufgabe ist es, sie dabei bestmöglich zu unterstützen.“

Zum Werdegang der Professorin

Alexandra Wuttke hat an der Philipps-Universität in Marburg sowie an der University of Western Australia in Perth und an der Central Queensland University im australischen Rockhampton Psychologie studiert. Nach der Promotion in Marburg absolvierte sie eine Postgraduierten-Ausbildung zur psychologischen Psychotherapeutin (Fachkunde Verhaltenstherapie).

In der Universitätsmedizin in Mainz arbeitete sie als Postdoc in der AG „Gesundes Altern und Neurodegeneration, Demenz“, später übernahm sie die Leitung des Zentrums für psychische Gesundheit im Alter. Dieses Zentrum ist ein interdisziplinäres Netzwerk für Präventionsforschung und innovative Versorgungsmodelle des Landeskrankenhauses.

Im Jahr 2022 erhielt Alexandra Wuttke den Irmela-Florin-Forschungspreis der Deutschen Gesellschaft für Verhaltensmedizin und Verhaltensmodifikation für ihre Arbeit zu aufsuchenden, dyadischen Interventionen für Menschen mit beginnender Demenz und ihre Angehörigen. Sie ist verheiratet und hat einen Sohn.

Von Pressestelle Universitätsklinikum Würzburg

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