Komplexe Behinderungen im Blick
17.01.2023Sophia Falkenstörfer ist neue Leiterin des Lehrstuhls für Körperbehindertenpädagogik. Nicht nur, aber auch für Menschen mit komplexen Behinderungen, vertritt sie eine Pädagogik der Ermöglichung.
Körperbehinderungen? Bei diesem Thema denken die meisten Laien vermutlich zuerst an Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen, kognitiv aber nicht beeinträchtigt sind.
Das Fachgebiet der Körperbehindertenpädagogik hat einen viel breiteren Ansatz. Es nimmt auch Menschen in den Blick, die zum Beispiel chronisch krank oder zusätzlich zu körperlichen Behinderungen auch andere Beeinträchtigungen haben. „Wir sprechen hier von komplexen Behinderungen“, sagt Sophia Falkenstörfer, die neue Leiterin des Lehrstuhls für Körperbehindertenpädagogik der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU).
In der Lehre behandeln Sophia Falkenstörfer und ihr Team all das, was für Menschen mit körperlichen Behinderungen eine Rolle spielt. Angehende Förderschullehrerinnen und -lehrer beschäftigen sich hier unter anderem mit Themen wie Inklusion und Barrierefreiheit, ethischen, pädagogischen und soziologischen Fragestellungen, Hilfsmitteln (auch assistive Technologien) und medizinischen wie (physio)therapeutischen Ansätzen.
Das Lehrangebot umfasst außerdem die schulische Pädagogik und Didaktik für Menschen mit körperlichen und komplexen Behinderungen. Um auf diesem Feld kompetent agieren zu können, ist das komplette sonderpädagogische Knowhow nötig. Dazu gehört unter anderem profundes Wissen aus der Lern-, Verhaltens- und Wahrnehmungsforschung.
Digitale Teilhabe ist wichtig
Sophia Falkenstörfer steht für eine Pädagogik der Ermöglichung: „Menschen mit komplexen Behinderungen sind sehr vulnerabel. Ihnen sollten möglichst viele Bildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten und eine möglichst große gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht werden“, sagt die Professorin. Was ihr wichtig ist: Zur Teilhabe gehören auch digitale Zugänge.
Ein Beispiel: Dank der Sprachausgabe von Computern muss heutzutage niemand mehr lesen können, um sich zu bilden und zu informieren. Hier gelte es, für Menschen mit komplexen Behinderungen Brücken zu bauen. Dazu will die Professorin der Sonderpädagogik ihre Studierenden befähigen. Fachwissen über Technik und Digitales gehört darum fest zum Lehrplan.
Demokratieschulung als Auftrag
„Was mich auch sehr umtreibt: Wir haben als Lehrkräfte den gesetzlichen Auftrag, Schülerinnen und Schüler zur Demokratie zu schulen. Demokratie ist übrigens auch die Grundlage für Inklusion.“ Dieses Bewusstsein will sie den Studierenden vermitteln. Sie sollen später im Unterricht fähig sein, mit einer gefestigten demokratischen Haltung Wissen über diese Staatsform zu vermitteln.
Um Sensibilität für diese Thematik zu erreichen, adressiert die Professorin ihre Studierenden bewusst auch als Bürgerinnen und Bürger einer Demokratie. Ein Beispiel: „Zur Demokratie gehört es, diskutieren zu lernen“, sagt sie. Um diese Fähigkeit zu fördern, bietet sie mit ihrem Kollegen Professor Stephan Ellinger Filmabende rund ums Thema Behinderungen an. Nach dem Kinovergnügen geht es an die Arbeit, dann wird über das Gesehene diskutiert.
Werdegang der neuen Professorin
Sophia Falkenstörfer hatte schon als Schülerin bei mehreren Praktika Kontakte zu Menschen mit komplexen Behinderungen. „Ich war immer wieder sehr überrascht von ihren unterschiedlichen Ausdrucks- und Gestaltungsformen“, sagt sie. Aus dieser Erfahrung heraus entschied sie sich für ein Studium der Sonderpädagogik, und zwar an der Pädagogischen Hochschule (PH) Ludwigsburg/Reutlingen.
Nach dem Studium arbeitete sie drei Jahre als Lehrerin in der Stiftung Nikolauspflege in Stuttgart, in einer Einrichtung für Menschen mit Seh- und anderen Beeinträchtigungen. Als eine frühere Professorin sie 2007 fragte, ob sie als akademische Mitarbeiterin mit einer halben Stelle an die PH zurückkommen wolle, sagte sie zu. Parallel dazu arbeitete sie weiter als Lehrerin.
Das Miteinander von Tätigkeiten an Universität und Schule prägte das Berufsleben der Sonderpädagogin rund zehn Jahre lang: Sie unterrichtete an Schulen mit unterschiedlichen sonderpädagogischen Ausrichtungen und trieb parallel ihre akademische Karriere voran. 2019 schloss sie ihre Promotion an der Universität Köln ab, 2020 wurde sie Professorin für Heilpädagogik / Inclusive Education an der Katholischen Universität Freiburg. Von dort folgte sie zum 1. Mai 2022 dem Ruf auf den Würzburger Lehrstuhl für Sonderpädagogik II – Körperbehindertenpädagogik.
Kontakt
Prof. Dr. Sophia Falkenstörfer, T +49 931 31-83030
sophia.falkenstoerfer@uni-wuerzburg.de, Webseite