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Pädagogik bei Sehbeeinträchtigungen

01.09.2020

Dino Capovilla kommt als Leiter des neuen Lehrstuhls für Pädagogik bei Sehbeeinträchtigungen sowie Allgemeine Heil-, Sonder- und Inklusionspädagogik an die Uni. Die Professur ist bayernweit einmalig und bundesweit selten.

Porträtfoto von Professor Dino Capovilla
Professor Dino Capovilla. (Bild: privat)

Der Freistaat Bayern baut an seinen Universitäten die Sonderpädagogik aus. Das hat einen guten Grund: Im Zuge der Bemühungen um mehr Inklusion werden immer öfter Kinder und Jugendliche mit und ohne besonderen Förderbedarf gemeinsam unterrichtet. Und dafür braucht es deutlich mehr Lehrkräfte, die sonderpädagogisch ausgebildet sind.

Die Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg erhält darum zusätzlich zu ihren fünf Sonderpädagogik-Lehrstühlen einen weiteren mit dem neuen Schwerpunkt Pädagogik bei Sehbeeinträchtigungen. Damit gibt es für dieses Gebiet in Deutschland nun insgesamt fünf Lehrstühle, in Bayern hat die JMU den einzigen.

Situation von Menschen mit Beeinträchtigungen des Sehens verbessern

Als Leiter des neuen Lehrstuhls kommt ab 1. Oktober 2020 Dino Capovilla nach Würzburg. Derzeit ist er Juniorprofessor für Pädagogik bei Beeinträchtigungen des Sehens an der Humboldt-Universität (HU) zu Berlin.

Der neue Professor möchte mit seiner Arbeit die persönlichen, schulischen und beruflichen Perspektiven von Menschen mit Sehbeeinträchtigungen verbessern und ihre Selbstbestimmung und gesellschaftliche Teilhabe unterstützen. An der JMU wird er ein Team aufbauen, das einschlägige Handlungskonzepte entwickelt und verbessert. Aktuell ist er schon auf der Suche nach Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Neue Perspektiven für Studierende

Den Studierenden der JMU eröffnet der zusätzliche Lehrstuhl neue Berufsfelder: Er wird Lehrkräfte und Fachleute für Sonderpädagogik mit dem Profil „Pädagogik bei Sehbeeinträchtigungen“ ausbilden. Sie können später in spezifischen Förderschulen oder in allgemeinen Schulen unterrichten, aber auch in anderen pädagogischen Handlungsfeldern tätig werden. Dino Capovilla baut dafür einen neuen Studiengang auf, der voraussichtlich ab dem Wintersemester 2021/22 an den Start geht.

In der Lehre will Capovilla auch den Aspekt berücksichtigen, dass sich sonderpädagogische Dienste immer stärker etablieren: "Das Berufsbild von Inklusionslehrkräften erweitert sich hin zu Beratungslehrkräften, die auch mobil in Regelschulen beraten, etwa in Bezug auf didaktische Konzepte im Unterricht für Alle, Barrierefreiheit oder individuelle Förderung von Schülerinnen und Schülern." An Universitäten setze man oft noch zu stark auf die Ausbildung „klassischer“ Lehrkräfte.

Kompetenz in technologiegestützter Kommunikation

„Mein Alleinstellungsmerkmal in Deutschland ist meine Kompetenz in der technologiegestützten Kommunikation bei Sehbeeinträchtigungen“, sagt der Professor. Bei ihm lernen Studierende behinderungsspezifische Arbeitstechniken und den Einsatz von assistiven Technologien, um Lernende mit Sehbeeinträchtigungen bei der Nutzung von Computern, Tablets und Smartphones zielführend zu unterstützen. Sein Konzept setzt auch darauf, die digitale Lehre auszuweiten – ein Feld, das in der Corona-Pandemie bereits einen kräftigen Impuls erfahren hat.

Diesen Impuls will Capovilla weiterführen: Er plant, seinen Lehrstuhl im Oswald-Külpe-Weg 84 auf dem Campus Nord papierfrei zu organisieren und Barrierefreiheit im Lehrstuhlalltag mit ökologischer Nachhaltigkeit zu verbinden. Wie diese Idee entstand? „Ich bin selber hochgradig sehbehindert und habe in Berlin auch Mitarbeiter mit Sehbeeinträchtigungen. Von Papier können wir nicht ohne weiteres lesen, und es war immer ein enormer Aufwand, die universitären Papierunterlagen zu digitalisieren.“ Mit dem allgemeinen Digitalisierungsschub durch Corona sei da plötzlich einiges leichter geworden.

Selbstbestimmung als zentraler Aspekt

In Lehre und Forschung möchte Capovilla stark den Aspekt der Selbstbestimmung behandeln. Noch vor gut zehn Jahren sei über Menschen mit Behinderungen vorwiegend bestimmt worden: „Ein Netz von Einrichtungen und Akteuren versuchte, individuelle Probleme zu lösen und dadurch den Bedürfnissen der Betroffenen möglichst gerecht zu werden.“

Heute stünden Menschen mit Behinderung zunehmend als selbstbestimmte Individuen im Mittelpunkt. „Die Betroffenen sollen soweit möglich selbst entscheiden, wie ihre gesellschaftliche Teilhabe aussieht; das wird nicht mehr von anderen ausgehandelt. Das empfinde ich als sehr zukunftsweisend und wohltuend.“

Werdegang des neuen Professors

Dino Capovilla, Jahrgang 1979, wurde in Stuttgart geboren. Um ihm den Besuch einer inklusiven Schule zu ermöglichen, zog seine Familie nach Bozen (Italien). In Deutschland gab es kaum derartige Schulen in der Mitte der 1980er-Jahre.

Ab 1998 studierte Capovilla Informatik an der Technischen Universität München (TUM). Mit dem Diplom in der Tasche ging er zurück nach Bozen. Dort arbeitete er als Lehrer für Mathematik und Informatik – in Italien steht das Schulsystem auch Quereinsteigern mit abgeschlossenem Fachstudium offen. In Bozen absolvierte er außerdem eine einjährige Zusatzqualifizierung: Sie bescheinigte ihm die grundsätzliche Eignung für den Lehrberuf in Informatik und Mathematik an Berufsschulen.

Vier Jahre unterrichtete Capovilla an Berufsschulen in Bozen, drei Jahre an Gymnasien in Bozen und München. Parallel dazu studierte er Philosophie an der Fernuniversität Hagen – ein Fach, für das er sich schon als Schüler begeistert hatte. 2008 schloss er dieses Studium mit dem Master ab.

2012 zog es den Lehrer zurück in die Wissenschaft: Er begann an der TUM mit einer Doktorarbeit an der Professur für Didaktik der Informatik. Das Thema: „Inklusion in der Informatischen Bildung am Beispiel von Menschen mit Sehschädigung.“ Für die 2015 abgeschlossene Dissertation bekam er zwei Auszeichnungen. 2016 folgte er dem Ruf auf die Juniorprofessur am Institut für Rehabilitationswissenschaften der HU Berlin.

Kontakt

Prof. Dr. Dino Capovilla, dino.capovilla@uni-wuerzburg.de


Sonderpädagogik in Würzburg studieren

Das Institut für Sonderpädagogik der JMU bietet im Rahmen der Lehramtsstudiengänge bislang fünf Fachrichtungen an: Pädagogik bei Lernbeeinträchtigungen – Körperbehindertenpädagogik – Sprachheilpädagogik – Pädagogik bei geistiger Behinderung – Pädagogik bei Verhaltensstörungen. Voraussichtlich zum Wintersemester 2021/22 kommt die Pädagogik bei Sehbeeinträchtigungen als sechste dazu. Zudem gibt es zwei Bachelor-Studiengänge und einen Master-Studiengang für Sonderpädagogik sowie der Studiengang „Akademische Sprachtherapie/Logopädie“.
 

Von Robert Emmerich

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