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Physico-Medica: Festakt mit viel Prominenz

05.11.2024

2024 feiert die Physikalisch-Medizinische Gesellschaft, die „Würzburger Physico-Medica“, ihr 175-jähriges Jubiläum. Zum Festakt waren unter anderem eine Nobelpreisträgerin und ein Nobelpreisträger nach Würzburg gekommen.

Geballte Wissenschaft im Röntgen-Hörsaal (v.l.): Manfred Schartl, Stefan W. Hell, Christiane Nüsslein-Volhard, Peter Hegemann und Manfred Gessler.
Geballte Wissenschaft im Röntgen-Hörsaal (v.l.): Manfred Schartl, Stefan W. Hell, Christiane Nüsslein-Volhard, Peter Hegemann und Manfred Gessler. (Bild: Gunnar Bartsch / JMU)

1849: Der Botaniker Carl Friedrich von Gärtner veröffentlicht das Buch „Versuche und Beobachtungen über die Bastarderzeugung im Pflanzenreiche“ – ein Werk, das auch Gregor Mendel intensiv studieren wird. Der Franzose Armand Hippolyte Louis Fizeau misst die Lichtgeschwindigkeit und kommt auf ein Ergebnis von 315.000 Kilometer pro Sekunde, was vom wahren Wert 299.792 gar nicht so weit entfernt ist. Und in Bayern wird aus dem „Ministerium des Innern für kirchliche Angelegenheiten“ das neue „Staatsministerium des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten“ – der Vorläufer des heutigen Kultus- und Wissenschaftsministeriums.

Gründung am 2. Dezember 1849

Was außerdem noch 1849 geschah: In Würzburg gründen am 2. Dezember 24 Mitglieder der Universität, darunter 20 Professoren, die Physikalisch-Medizinische Gesellschaft, auch „Würzburger Physico-Medica“ oder „Societas physico-medica“ genannt. Initiatoren der Gesellschaft waren der Anatom Albert Kölliker, der Pathologe Rudolf Virchow, der Pharmakologe Franz von Rinecker, der Klinische Chemiker Johann Joseph Scherer und der Geburtshelfer Franz Kiwisch von Rotterau.

Ihr Hauptanliegen war es, sämtliche medizinischen und naturwissenschaftlichen Fächer zu fördern, die „naturhistorisch-medicinischen Verhältnisse von Franken“ zu erforschen, niedergelassene Ärzte zu wissenschaftlicher Tätigkeit anzuregen und in öffentlichen Veranstaltungen Studenten – Studentinnen gab es zu dieser Zeit in Bayern noch nicht – die Möglichkeit zu geben, „ihre Lehrer mitten im Forschen zu belauschen“.

Bei den regelmäßigen Sitzungen der Gesellschaft trugen Wissenschaftler neueste Forschungsergebnisse vor, die handschriftlich dokumentiert wurden. Diese Sitzungsberichte wurden anschließend weltweit an andere wissenschaftliche Gesellschaften verschickt, damit sich das Wissen verbreiten konnte – lange bevor Fachzeitschriften und das Internet diese Aufgabe übernahmen.

Festakt an Röntgens ehemaliger Wirkungsstätte

Knapp 175 Jahre nach der Gründungsversammlung am 2. Dezember 1849 konnte die Physico-Medica jetzt ihr Jubiläum mit einem großen Festakt und zahlreichen prominenten Ehrengästen begehen. Begrüßt wurden diese von Manfred Schartl, Präsident der Physico-Medica, früherer Inhaber des Lehrstuhls für Physiologische Chemie und jetzt Seniorprofessor am Biozentrum der JMU, sowie den Vorstandsmitgliedern Manfred Gessler, Leiter des Lehrstuhls für Entwicklungsbiochemie und Utz Fischer, Leiter des Lehrstuhls Biochemie I.

Der Ort dafür war passend gewählt: In direkter Nachbarschaft zum Labor Wilhelm Conrad Röntgens und auf den Originalbänken, auf denen auch Röntgens Zuhörer Platz nehmen mussten. Der Physiker war selbst Mitglied der Physico-Medica gewesen und hatte auf einer ihrer Sitzungen am 23. Januar 1896 den ersten – und übrigens auch seinen einzigen – öffentlichen Vortrag über seine jüngste Entdeckung gehalten: die X-Strahlen, wie er sie nannte, für die er 1901 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde.

Auch heute noch halten Nobelpreisträgerinnen und -träger und ähnlich hoch dekorierte Wissenschaftler Vorträge in den Veranstaltungen der Physico-Medica. Zum Jubiläumsfestakt übernahmen Stefan Hell, Christiane Nüsslein-Volhard und Peter Hegemann diese Aufgabe und berichteten über ihre ausgezeichnete Forschung. Auch dabei zeigten sich immer wieder Berührungspunkte zur Physico-Medica und zu Nobelpreisträgern, die einen Teil ihrer wissenschaftlichen Laufbahn an der JMU verbracht hatten.

Christiane Nüsslein-Volhard: Genetik und Entwicklung

Für Christiane Nüsslein-Volhard ist beispielsweise Theodor Boveri „der zweite Wissenschaftler, den ich sehr verehre – nach Charles Darwin“, wie sie in ihrem Vortrag „Genetics and Development: the Organisers of the Drosophila Embryo“ sagte. Die Tübinger Biochemikerin erhielt 1995 als erste Frau den Nobelpreis für Medizin. Ausgezeichnet wurde sie für ihre Entdeckungen zur genetischen Steuerung der frühen Embryonalentwicklung.

Boveri wurde 1893 Professor an der Universität Würzburg, wo er bis zu seinem Tod 1915 blieb. Er gilt als Begründer der experimentellen Zellforschung sowie der Chromosomentheorie der Vererbung. Wichtige Ergebnisse seiner Forschung hatte er 1902 in der Schriftreihe der Physico-Medica publiziert. Diese bilden die Grundlage von Nüsslein-Volhards Forschung oder, wie sie sagte: „It begins with the great Theodor Boveri.“ Dieser sei „einer der größten Biologen aller Zeiten.“

Peter Hegemann: Die Grundlagen der Optogenetik

Auch der Berliner Biophysiker Peter Hegemann konnte in seinem Vortrag „Optogenetics, from the bumpy origin to medical application“ Bezüge zwischen seiner Forschung und der Universität Würzburg aufzeigen. Hegemann hat der Wissenschaft Werkzeuge geliefert, „die die Neurobiologie revolutioniert haben“, wie der Würzburger Pflanzenforscher und Biophysiker Rainer Hedrich in seiner Vorstellung Hegemanns sagte.

Hegemann wurde für seine Pionierarbeiten auf dem Gebiet der Optogenetik mehrfach mit hoch dotierten Preisen ausgezeichnet, beispielsweise 2020 mit dem Shaw Prize. Diesen mit 1,2 Millionen US-Dollar dotierten Preis teilte er sich mit Gero Miesenböck (Oxford) und einem Würzburger Wissenschaftler: Georg Nagel, aktuell Seniorprofessor am Physiologischen Institut der Universität.

Im Rahmen seiner Forschung an Photorezeptoren hatte Hegemann außerdem Kontakt zu Harmut Michel. Der Biochemiker war von 1975 bis 1979 Doktorand und Assistent an der Universität Würzburg, 1988 erhielt er den Nobelpreis für Chemie für die Erforschung des Reaktionszentrums der Photosynthese bei Purpurbakterien.

Stefan Hell: Ein scharfer Blick auf Proteine

Proteinen bei der Arbeit zuzuschauen, war der Wissenschaft lange nicht möglich. Mit der gängigen Technik waren nur Bilder mit verschwommenen Konturen möglich. Das hat der Göttinger Physiker Stefan W. Hell geändert. Für seine bahnbrechenden Arbeiten auf dem Gebiet der ultrahochauflösenden Fluoreszenzmikroskopie bekam er 2014 den Chemie-Nobelpreis zugesprochen. Wie er dabei vorgegangen war, erläuterte er in seinem Vortrag „Molecule-scale resolution and dynamics in fluorescence microscopy“.

Sein Trick: Hell setzte mit einem ringförmigen „Donut“-Laserstrahl eine neue Technik ein, die, zusammen mit weiteren Verbesserungen, eine Auflösung von 20 bis 30 Nanometern ermöglichte und die sichtbare Detailtreue um den Faktor zehn verbesserte. Er läutete damit die Ära der superauflösenden Fluoreszenzmikroskopie ein, eine Technik, an der auch an der JMU intensiv geforscht wird.

Rückblick einer Medizinhistorikerin

Bevor Nüsslein-Volhard, Hell und Hegemann ihre Vorträge hielten, gab die Würzburger Medizinhistorikerin Sabine Schlegelmilch einen kurzen Einblick in die ersten 50 Jahre der Physico-Medica. Da die Gesellschaft über kein eigenes Gebäude verfügte, sei die Zeit geprägt gewesen von permanenten Umzügen, Treffen an unterschiedlichen Orten – ab und zu wohl auch in dem gleichen Gebäude, in dem der Festakt stattfand – und der zumindest zeitweiligen Unterbringung der bedeutenden Bibliothek in Privathaushalten.

Objekte haben damals in der Forschung eine wichtige Rolle gespielt, so Schlegelmilch: „So gut wie in jeder Sitzung wurden Objekte gezeigt.“ Das konnte der Beckenknochen eines Wollnashorns sein, das angeblich bei Arbeiten vor dem Zeller Stadttor in Würzburg gefunden wurde, oder ein versteinerter Schachtelhalm, den ein anderes Mitglied auf Exkursionen in Mainfranken ausgegraben hatte. „Thema war in dieser Zeit gefühlt alles“, so die Medizinhistorikerin.

Die ersten 50 Jahre sind digitalisiert

Warum Sabine Schlegelmilch ihren historischen Einblick auf die ersten 50 Jahre der Physico-Medica beschränkte, lässt sich leicht erklären: Für die Zeit danach sind Sitzungsberichte nur schwer oder gar nicht in digitalisierter Form zu finden. Die gesamten Unterlagen aus der Anfangszeit stehen jedoch dank der Finanzierung durch Physico-Medica und Unibibliothek ab sofort allen Interessierten frei zur Verfügung – digital und zum großen Teil mit der Möglichkeit der Freitextsuche, wie Christian Malzer den Gästen des Jubiläumsfestakt erläuterte. Malzer leitet das Digitalisierungszentrum der Würzburger Universitätsbibliothek und hat in dieser Funktion die Digitalisierung der Physico-Medica-Schriften intensiv begleitet.

Über das Online-Portal „Franconica“ sind nun alle eigenständigen Drucke der Physico-Medica sowie der 1853 in ihr aufgegangenen Würzburger Philosophisch-Medizinischen Gesellschaft einsehbar. In der digitalen Zeitschriftensammlung der UB lässt sich in den Jahrbüchern, in der Würzburger medicinischen Zeitschrift oder in der Würzburger naturwissenschaftlichen Zeitschrift recherchieren, studieren oder einfach nur lesen.

Insgesamt 22.000 Seiten aus Periodika und weitere 1.000 Seiten aus Monographien seien dafür digital erfasst worden. Damit seien diese historischen Unterlagen „in der Jetztzeit angekommen“, wie Malzer sagte.

Links

Homepage der Physico-Medica

Franconica Online 

Die digitale Zeitschriftensammlung

Von Gunnar Bartsch

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