Praxisverändernde Studie zur Therapie bei Knochenmarkkrebs
09.01.2024Ein Team rund um den Würzburger Hämatologen Hermann Einsele hat eine neue Erstlinientherapie für Knochenmarkkrebs definiert. Dabei kommt der Antikörper „Daratumumab“ zum Einsatz.
Daratumumab ist ein künstlich hergestellter Antikörper, der gegen das Protein „CD38“ wirkt – dieses kommt insbesondere auf Tumorzellen vor. Das bedeutet: Daratumumab bekämpft den Tumor direkt und unterstützt gleichzeitig das Immunsystem dabei, Krebszellen besser zu erkennen und zu zerstören. Der Wirkstoff ist bereits für die Standardtherapie des Multiplen Myeloms (oder: „Knochenmarkkrebs“) zugelassen.
Die internationale Phase-3-Studie „PERSEUS“ untersuchte die Wirksamkeit und Sicherheit von unter die Haut injiziertem Daratumumab bei der Behandlung von Erkrankten mit neu diagnostiziertem Multiplem Myelom, die für eine Transplantation von Knochenmark in Frage kommen. An der Studie nahmen insgesamt 709 Menschen teil, die nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen eingeteilt wurden: Eine Gruppe erhielt zusätzlich zur standardmäßigen Induktions-, Konsolidierungs- und Erhaltungstherapie mit den Arzneistoffen Bortezomib und Lenalidomid sowie mit dem Entzündungshemmer und Immunsuppressivum Dexamethason (kurz: VRd-Therapie) den Wirkstoff Daratumumab. Die andere Gruppe erhielt nur die VRd-Therapie.
Verabreichung unter die Haut hat weniger Nebenwirkungen als die intravenöse
„Die subkutane Verabreichung von Daratumumab, also die Injektion in das Fettgewebe unter der Haut, ist genauso wirksam wie die intravenöse Gabe und hat ähnliche Auswirkungen auf den Körper. Beide Verabreichungsformen sind sicher, aber die subkutane Form hat weniger Nebenwirkungen“, erklärt Prof. Dr. Hermann Einsele, Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums Würzburg (UKW), Sprecher des Nationalen Tumorzentrums NCT WERA und Mitglied des European Myeloma Network. „Zudem kann sie schneller verabreicht werden – in nur drei bis fünf Minuten. Das bedeutet, dass Erkrankte das Medikament in einer einzigen Dosis erhalten können, was bequem ist und weniger Zeit in Anspruch nimmt“,
Enorme Fortschritte in der Therapie des Multiplen Myeloms
Im Hauptfokus der Studie, die im New England Journal of Medicine publizierte wurde, stand das so genannte progressionsfreie Überleben, also die Zeit, in der die Krankheit ohne Fortschreiten oder Tod kontrolliert werden konnte. Die Ergebnisse zeigten, dass die Gruppe, die zusätzlich Daratumumab erhielt, einen signifikanten Vorteil beim progressionsfreien Überleben hatte.
Generell seien bei der Erkrankung enorme Fortschritte in der Therapie erreicht worden, so Einsele: Vor 20 Jahren lag die mittlere Überlebenszeit der Betroffenen bei zwei bis drei Jahren. In der aktuellen Studie waren nach 48 Monaten jedoch ganze 84,3 Prozent ohne Fortschreiten der Erkrankung, verglichen mit 67,7 Prozent in der Gruppe ohne Daratumumab.
Weitere wichtige Ergebnisse waren, dass in der Daratumumab-Gruppe mehr Studienteilnehmende ein vollständiges oder besseres Ansprechen auf die Behandlung zeigten, und auch der Anteil der Erkrankten mit einem negativen Status für eine minimale Resterkrankung höher war als in der Kontrollgruppe. Unerwünschte Ereignisse, insbesondere schwere, traten in beiden Gruppen auf, aber die Zugabe von Daratumumab führte nicht zu einem erhöhten Risiko für schwerwiegende Nebenwirkungen.
Neue Erstlinien-Therapie beim Multiplen Myelom definiert
Hermann Einsele zieht folgendes Fazit: „Unsere Studie zeigt, dass die Zugabe von subkutan verabreichtem Daratumumab zu einer 3er-Kombinationstherapie bei Erkrankten mit neu diagnostiziertem Multiplen Myelom, die für eine Transplantation von Knochenmark in Frage kommen, einen signifikanten Vorteil im Hinblick auf das progressionsfreie Überleben bringt. Damit haben wir eine neue Erstlinientherapie für das Multiple Myelom definiert. Die Studie verändert die Praxis.
Die Studie wurde gefördert durch das European Myeloma Network in Zusammenarbeit mit Janssen Research and Development.
Würzburger Beitrag zu Immuntherapien bei Multiplem Myelom
Das Multiple Myelom ist nach der Leukämie die zweithäufigste Blutkrebserkrankung, bei der es zu verschiedenen bösartigen Tumorherden im Knochenmark kommt. Der Begriff leitet sich vom Lateinischen „multiple“ für vielfach und dem Griechischen „myelos“ für Mark ab. Jedes Jahr erhalten allein in Deutschland rund 7.000 Menschen die Diagnose. Das Erkrankungsrisiko steigt in höherem Alter deutlich an.
Bei den Betroffenen vermehren sich entartete Plasmazellen unkontrolliert und verdrängen die gesunden weißen Blutkörperchen, die für die Produktion von Antikörpern zuständig sind. Aufgrund der veränderten Immunität kommt es vermehrt zu Infektionen, die Knochenstruktur wird zerstört, Nerven und Organe werden geschädigt, die Betroffenen leiden unter Müdigkeit und Appetitlosigkeit. Dauerhaft geheilt werden kann diese Krebserkrankung noch nicht. Denn auch nach vermeintlich erfolgreicher Therapie müssen die Betroffenen immer mit einem Rezidiv rechnen. Mit einem besseren Verständnis der Evolution dieser entarteten Knochenmarkzellen könnten aber die Diagnose und Behandlung optimiert werden.
Als große Hoffnungsträger gelten Immuntherapien mit Antikörpern oder Gen-manipulierten T-Zellen, den so genannten CAR-T-Zellen. Das Universitätsklinikum Würzburg (UKW) spielt bei der Erforschung, Anwendung und Ausweitung dieses neuen Arzneimittelprinzips eine international bedeutende Rolle. So wird in Würzburg das größte Myelom-Programm in Europa mit vielem klinischen Studien und Begleitforschung zu den neuesten Therapieformen wie CAR-T-Zellen und verschiedenen T-Zell-aktivierenden (bispezifischen) Antikörpern angeboten.
Publikation
Daratumumab, Bortezomib, Lenalidomide, and Dexamethasone for Multiple Myeloma. Pieter Sonneveld, M.D., Ph.D., Meletios A. Dimopoulos, M.D., Mario Boccadoro, M.D., Hang Quach, M.B., B.S., M.D., P. Joy Ho, M.B., B.S., D.Phil., Meral Beksac, M.D., Cyrille Hulin, M.D., Elisabetta Antonioli, M.D., Ph.D., Xavier Leleu, M.D., Ph.D., Silvia Mangiacavalli, M.D., Aurore Perrot, M.D., Ph.D., Michele Cavo, M.D., et al., for the PERSEUS Trial Investigators*. Erschienen in: The New England Journal of Medicine. 12. Dezember 2023. DOI: 10.1056/NEJMoa2312054
Kontakt
Prof. Dr. Hermann Einsele, Leiter des Lehrstuhls für Innere Medizin II, Tel.: +49 (931) 201-40000, einsele_h@ukw.de