Raus aus der Komfortzone
30.07.2019Eine ungewöhnliche Woche für Lea Dippold: Die Lehramtsstudentin hat fünf Schüler auf einer herausfordernden Reise begleitet und dabei viele Erfahrungen für ihren späteren Lehrerberuf mitgenommen.
Schülerinnen und Schüler in der 9. Jahrgangsstufe suchen sich ihre eigene Herausforderung auf einer einwöchigen Reise, die sie gemeinsam meistern wollen: „Challenge“ heißt das Schulprojekt am Würzburger Dag-Hammarskjöld-Gymnasium. Studierende der Universität Würzburg haben es im Rahmen des Seminars „Challenge – mutig eine Woche unterwegs mit Kids fast ohne Geld“ miterlebt.
Stell` dich der Herausforderung
Lea Dippold ist Studentin im Lehramt Gymnasium für Mathematik und Sport und hat sich gemeinsam mit fünf Schülern auf Abenteuerreise gemacht. Die Bedingungen für die Woche im Juli: Die Aktivität soll eine gute Tat für einen oder mehrere Menschen außerhalb der Gruppe darstellen. Die Schülergruppe muss mit 60 Euro pro Person für Fahrt, Übernachtung und Verpflegung auskommen. Kein zusätzliches Taschengeld und keine elektrischen Geräte – auch darauf hat sich das Schülerteam von Lea mit Emil, Johannes, Luca, Sharu und Tom eingelassen. Gemeinsam haben sie sich mit den Fahrrädern auf den Weg nach Happurg im Landkreis Nürnberg gemacht, um sich auf einem Bauernhof Essen und Unterkunft jeden Tag von Neuem zu verdienen.
„Die Herausforderung bringt jede einzelne Schülergruppe aus ihrer Komfortzone, ohne Panik zu verursachen“, sagt Christian Herpich. Er ist Dozent des Seminars und Leiter des Projekts „Challenge“ am Dag-Hammarskjöld-Gymnasium. Gemeinsam mit den Lehramts- und Sonderpädagogik-Studierenden und den Neuntklässlern hat er die ungewöhnliche Schulveranstaltung vorbereitet.
Soviel Sicherheit wie nötig, soviel Freiheit wie möglich
„Ich hatte echt Respekt vor dieser Tour, auf Abenteuerreise mit fünf Jugendlichen zu gehen, wir kannten uns kaum. Wie die Jungs auf Geldmangel, unsichere Unterkunft oder Esseneinkaufen reagieren würden, wusste ich ja nicht“, erzählt Lea. Als Aufsichts- und Begleitperson hatte sie im Rahmen des Seminars viel Knowhow mitbekommen, das sie während der Woche erproben konnte: Gruppendynamik, Krisenmanagement oder Motivations- und Reflexionsmethoden. „Im Studium kommt die Didaktik einfach zu kurz, viele Studis fühlen sich im Referendariat ins kalte Wasser geworfen. Bei diesem Projekt aber habe ich auf einmal ganz viele praktische Erfahrungen auch in Grenzsituationen sammeln dürfen“, sagt die Lehramtsstudentin.
Der Auftrag hieß: Soviel Sicherheit wie nötig, soviel Freiheit wie möglich. „Meine persönliche Herausforderung begann gleich beim Start: Mit welchen Worten spreche ich Jugendliche geeignet an und gebe ihnen Aufgaben, aber nicht Befehle?“, erzählt Lea. Auf der Radtour beispielsweise Warnwesten anziehen müssen – diese Frage habe sich innerhalb der Schülergruppe von alleine geregelt, plötzlich sei das Tragen der Warnwesten „ganz cool“ geworden.
Anstrengend und empfehlenswert zugleich
„Die Woche war anstrengend, aber ich würde das Seminar unbedingt weiterempfehlen. An der Uni lernt man so viel Theoretisches, aber wie fünf Jungs auf mich vor Ort reagieren würden – das durfte ich jetzt erproben. Ich habe echt gerne die Verantwortung dafür übernommen“, berichtet Lea. Pleiten, Pech und Pannen gab es in der Woche zum Glück nicht. Für die Tagesetappen galt es, ohne Handy und Google Maps die Fahrten bis Happurg zu meistern. Nach einigen Regenschauern am ersten Tag waren nicht nur die Fahrräder verschlammt, auch das Gepäck im Anhänger war durchgeweicht. Die entscheidende Challenge an diesem Tag: Die im trockenen Zuhause errechneten Kilometer haben sich mitten im Steigerwald live ganz anders dargestellt. Nachdem aber dieser Tag überstanden war, war auch das Team gut eingespielt.
„Für mich persönlich war das Etappenziel, ein paar Tage auf einem Pferdebauernhof zu verbringen, echt schön – für die Jungs aber gar nicht, wie ich erst am Ende unseres ersten Tages bemerkte“, erzählt Lea. Sie lobt im Nachhinein ihr Team für den Einsatz, den es dann am Bauernhof gebracht hat: Heuboden ausräumen, Ställe und Koppeln säubern, Zaun streichen – und am letzten Tag spontan als Dank für die gute Unterbringung den Gastgebern eine kahle Hofmauer farbig bemalen.
Kein doppelter Boden
„Auch für Eltern ist das Projekt oft eine neue Erfahrung: Nicht für die Kinder zu planen und zu organisieren, sondern einfach Anregungen und Unterstützung geben und sie zur Selbständigkeit befähigen“, sagt Herpich. Dass die Jugendlichen auch mal scheitern, Fehler machen und Konflikte aushalten müssen und diese eigenverantwortlich lösen sollen – dies mache das Schulprojekt für alle Beteiligten besonders spannend. „Wir sind jedes Jahr von neuem vom Engagement der Studierenden begeistert, sie begeben sich rein ehrenamtlich mit den Kids auf Abenteuerreise. Sie schaffen es, oft wirklich schwierige Situationen mit Spaß und Mut zu meistern und sind alleine verantwortlich, kein doppelter Boden, kein Prof, der hinter ihnen steht“, berichtet Herpich.
Für viele Studierende seien die besondere Gruppenatmosphäre auf der Tour, der persönliche Erfolg und das Überschreiten der eigenen Grenzen besonders wertvolle Erfahrungen. „Als auch unsere diesjährigen Abiturienten bei der Abschlussevaluation ihrer Schulzeit mehrfach die Antwort ‘Das Beste an der Schule war die Challenge‘ angegeben haben, war uns klar, welcher Herausforderung wir uns auch nächstes Jahr gerne wieder stellen“, zieht Christian Herpich Bilanz.