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Resonanzen in historischer Tiefe ausleuchten

23.05.2017

Zeno Ackermann ist neuer Professor für British Cultural Studies an der Universität Würzburg. Die Kulturwissenschaft betreibt er aus der Perspektive des Historikers und des Literaturwissenschaftlers.

Zeno Ackermann (Foto: Jim Martin)
Unter anderem mit Musik beschäftigt sich Zeno Ackermann in seinen Seminaren. Er findet: „Selbst in einem populären Schlager können wir die Abgründe menschlicher Existenz hören“. (Foto: Jim Martin)

„Studying Popular Music Culture“: Der Titel des Seminars klingt vergleichsweise entspannt – ein bisschen Beyoncé, etwas Kanye West, wenn`s sein muss auch Helene Fischer und der ESC. Stattdessen steht am Anfang Theodor Adornos  Aufsatz "Zeitlose Mode: Zum Jazz" aus dem Jahr 1953 und dazu das Pink-Floyd-Album „The Wall“. Später folgt der Beatles-Film „A Hard Day`s Night“, gekoppelt mit der Lektüre von Richard Hoggarts „The Uses of Literacy“ von 1957 – einem Buch, in dem der Autor den Einfluss der US-amerikanischen Kultur auf die britische Arbeiterklasse erforscht. Dann kommen David Bowie, Woodstock und Wacken an die Reihe.

„Musik ist immer metaphorisch. Und deshalb können wir sogar in einem populären Schlager die Abgründe menschlicher Existenz hören“: Mit diesen Worten beschreibt Zeno Ackermann, warum er in diesem Semester das Seminar „Studying Popular Music Culture“ anbietet. Ackermann ist seit kurzem Professor für British Cultural Studies an der Universität Würzburg. Was ihn an Rock und Pop, Punk und Schlager interessiert? „Wenn Menschen über Musik sprechen, wird es sehr schnell bedeutungsvoll. Sie fangen an zu philosophieren, fragen sich, was es bedeutet ein Subjekt zu sein in der heutigen Welt und suchen nach gültigen oder ungültigen Aussagen. Und im schlimmsten Fall können Freundschaften zerbrechen über der Frage, welche Musik wem gefällt“, erklärt der Kulturwissenschaftler.

Die Bedeutung von Klangphänomenen

Dabei ist Ackermann gar nicht speziell auf Musik fixiert. Tatsächlich interessiert er sich für Klangphänomene ganz allgemein. „Wenn es ums Hören geht, sind die Phänomene stark mit Bedeutung aufgeladen“, sagt er. Und Klänge sind in der Lage, „Resonanzen in historischer Tiefe auszuleuchten“. Was das konkret bedeutet? Wenn Shakespeare seine Protagonisten über Klänge reden lässt, steckt er damit soziale Räume ab. Und wenn Menschen sich heute darüber freuen, dass vor ihrem Fenster eine Amsel zwitschert, sagt dies viel über die Gesellschaft aus, in der wir leben. Und genau darum geht es Ackermann: Nicht über den Menschen, sondern über die Gesellschaft etwas herauszufinden.

„Cultural Studies“: Diese Bezeichnung im Titel seiner Professur möchte Zeno Ackermann zunächst einmal in einem weiten Sinn verstanden wissen: als englische Entsprechung des Begriffs der Kulturwissenschaft und damit als Verweis auf eine komplexe Wissenschaftstradition, zu der die Kultur- und Ideengeschichte gehören. Er verfolge diese Tradition aus der Perspektive des Historikers und des Literaturwissenschaftlers – beide Fächer hat er studiert.

Und auch wenn das „British“ ganz am Anfang der Bezeichnung der Professur steht, gilt sein Blick nicht alleine den Britischen Inseln. Auch andere Länder und Kulturen, die durch die britische Kolonialgeschichte und die englische Sprache geprägt wurden, gehören seiner Meinung nach unbedingt mit bedacht und berücksichtigt. Auch für Indien, das ein wichtiges Forschungsgebiet und Partnerland der Würzburger Universität und der Würzburger Anglistik ist, interessiere er sich stark.

Cultural Studies als emanzipatorisches Projekt

Eine zweite Bedeutung der Bezeichnung „British Cultural Studies“ ist dem neuen Professor nicht minder wichtig. Diese verweise auf eine Schule „engagierter Zeitbeobachtung und Theoriebildung, die sich in Großbritannien nach dem Zweiten Weltkrieg herausbildete“, wie er sagt. Damals sei es darum gegangen, eine von Industrieproduktion, Konsumkultur und Massenmedien getragene Gesellschaft neu auszuloten. „Diese Cultural Studies der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts begriffen sich als emanzipatorisches Projekt“, sagt Ackermann.

Als Kultur sei dabei das Feld verstanden worden, in dem sich „bestimmende Strukturen ins Leben der Einzelnen hinein übersetzen“ – beispielsweise Rock `n` Roll aus den USA, der plötzlich die Jukebox in der Kneipe um die Ecke dominierte. „Kultur erschien damit sowohl als Ort des Zutagetretens von Macht wie auch als Möglichkeitsraum eigenmächtiger Praktiken“, so  Ackermann. Und in diesem Kräftespiel wollten die frühen Protagonisten der Cultural Studies, die oft aus der Literaturwissenschaft kamen, intervenieren. Die Erinnerung an diese Ursprünge der British Cultural Studies möchte der Wissenschaftler in seiner Forschung und Lehre aufrechterhalten – auch wenn die früheren Zielsetzungen und Methoden gründlich hinterfragt werden müssten.

Lehre für Berufe jenseits der Wissenschaft

Die Zeit zwischen Abitur und Professur hat Zeno Ackermann nicht durchgängig im akademischen Betrieb verbracht.  Dass er auch eine andere Berufs- und Lebenspraxis zu sehen bekommen hat, schätzt er heute sehr. Aus diesem Grund habe er sich für seine Tätigkeit in Würzburg vorgenommen: Im Auge zu behalten, dass die Studierenden zum weit größeren Teil für Berufe jenseits der Hochschule studieren. „Ich halte es für außerordentlich wichtig, wach zu bleiben und Vorstellungen davon zu haben, was es – auch neben den Lehramtsberufen – an Möglichkeiten für Studierende der Anglistik und Amerikanistik gibt und in Zukunft geben wird.“

Was nicht heißen soll, dass er eine Art „Berufsausbildung an der Uni“ anbieten möchte. „Wer meine Seminare besucht, erhält keine Ausbildung zum Redakteur einer Musikzeitschrift oder für den Internetvertrieb von Musik-DVDs“, sagt er. Ihm seien andere Ziele wichtiger: die Fähigkeit zur aktiven Auseinandersetzung mit den Gegenständen des Studiums, eine Heranbildung eigener Interessen und Positionen und die Fähigkeit zu selbständigem sowie theoriegeleitetem Arbeiten. Und das lässt sich eben auch in der Auseinandersetzung mit den Beatles, David Bowie oder Rammstein erreichen.

Zur Person

Zeno Ackermann hat von 1990 bis 1996 an der Universität Regensburg Anglistik und Amerikanistik, Geschichte und Philosophie studiert. 2001 wurde er mit einer Arbeit über Poetics and Ideology in Novels ot the Antebellum American South promoviert. Weitere Stationen seines akademischen Werdegangs waren die Freie Universität Berlin, die Goethe-Universität Frankfurt, die Universität Erfurt und zuletzt die Pädagogische Hochschule Ludwigsburg. Das Thema seiner Habilitation im Jahr 2015 lautet: Gedächtnis-Fiktionen: Mediale Erinnerungsfiguren und literarischer Eigensinn in britischen Romanen zum Zweiten Weltkrieg.

Nach seiner Promotion war Ackermann mehrere Jahre lang in der außerschulischen  Jugend- und Erwachsenenbildung an der Nürnberger Akademie C.-Pirckheimer-Haus tätig. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit dort lag auf Problemen der Erinnerungsarbeit und der Erinnerungsgeschichte in Deutschland.

Kontakt

Prof. Dr. Zeno Ackermann, Professur für British Cultural Studies, T: (0931) 31-88346, zeno.ackermann@uni-wuerzburg.de

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