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Robert Schumanns poetische Welt

29.11.2022

Robert Schumann war Komponist, Literat und Publizist. Ein neues Forschungsprojekt arbeitet jetzt an der Edition seiner Werke – analog und digital. Dessen Laufzeit ist rekordverdächtig.

Robert Schumann, wie ihn der Künstler Hadi Karimi sieht, vor einem Ausschnitt aus dem Originalmanuskript der "Faust-Szenen".
Robert Schumann, wie ihn der Künstler Hadi Karimi sieht, vor einem Ausschnitt aus dem Originalmanuskript der "Faust-Szenen". (Bild: Hadi Karimi / Wikimedia Commons / Lizenz: CC BY-SA 4.0)

„Heute würde man sagen, Robert Schumann war ein Workaholic. Wer sein Tagebuch liest, muss zu dem Schluss kommen, dass die meisten von uns im Vergleich dazu ein gemütliches Leben führen.“ Ulrich Konrad steht selbst nicht im Verdacht, ein „gemütliches Leben“ zu führen. Immerhin leitet er seit 26 Jahren den Lehrstuhl für Musikwissenschaft I an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU), kümmert sich seit einem Vierteljahrhundert als geschäftsführender Vorstand um die Geschicke des Instituts, ist Mitglied zahlreicher Akademien, Kommissionen und Gesellschaften – und hat jetzt erfolgreich einen Antrag für ein neues Forschungsprojekt gestellt, das bis 2047 laufen wird.

„Robert Schumanns Poetische Welt. Drama – Oratorium – Vokalsymphonik – Literarisches Werk. Historisch-kritische Hybrid-Ausgabe“: So lautet der offizielle Titel des Projekts, das in Kooperation mit der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München, der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz und der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig durchgeführt wird. Arbeitsstellen sind an der Sächsischen Akademie, der Universität Würzburg und dem Freien Deutschen Hochstift Frankfurt am Main angesiedelt. Sie teilen sich die jährlichen Zuwendungen in Höhe von rund 405.000 Euro. Die Leitung liegt bei Ulrich Konrad und den Professorinnen Christiane Wiesenfeldt und Anne Bohnenkamp-Renken.

Rund 24 kreative Jahre

Robert Schumann wurde am 8. Juni 1810 in Zwickau geboren, am 29. Juli 1856 starb er in Endenich bei Bonn, wo er zuvor mehr als zwei Jahre lang in einer Nervenheilanstalt untergebracht gewesen war. Setzt man das Jahr 1830 als Beginn seines kreativen Schaffens an, blieben ihm also etwa 24 Jahre, um das zu hinterlassen, was nun in dem gleichen Zeitraum aufgearbeitet werden soll.

Dessen Umfang ist gewaltig: „Wir werden voraussichtlich 22 großformatige Notenbände mit insgesamt über 6.000 Seiten erarbeiten. Dazu kommen als Grundlage einer digitalen Edition des dichterischen und schriftstellerischen Oeuvres von Schumann rund 3.000 handschriftliche Seiten und etwa 6.000 Druckseiten literarischer Publikationen“, beschreibt Konrad das Vorhaben.

Dreiklang aus Dichtung, Komposition und Publizistik

Schumann war nicht nur Komponist zahlreicher Symphonien, Oratorien, Dramen und kammermusikalischer Werke. Daneben war er auch Literat und Schriftsteller und zehn Jahre lang Herausgeber der von ihm 1834 gegründeten „Neuen Zeitschrift für Musik“, für die er zahlreiche musiktheoretische Aufsätze selbst schrieb. „Diesem Dreiklang aus Dichtung, Komposition und Publizistik bei Schumann, den ich als Kern seiner „poetischen Welt“ ansehe, wollen wir in unserem Forschungsprojekt nachspüren“, sagt Konrad.

Dabei verfolgen die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen interdisziplinären Ansatz zwischen Musik- und Literaturwissenschaft sowie den Digital Humanities. Die Universität Würzburg nimmt dabei eine Schlüsselposition ein. Schließlich hat sie sich schon frühzeitig strategisch in Richtung „Digitale Geisteswissenschaften“ und „Digitale Philologie“ ausgerichtet, was sich aktuell in dem von Konrad mitinitiierten Neubau für das „Zentrum für Philologie und Digitalität“ (ZPD) zeigt, der im Frühjahr 2023 bezogen werden soll. Dort wird dann auch die Würzburger Schumann-Forschungsgruppe untergebracht sein.

Publikation auf einer Open-Access-Plattform

„Das Projekt rekonstruiert erstmalig vollständig das poetische Werk Schumanns in einer historisch-kritischen Edition, die den zentralen Bestand an Schriften, Dichtungen und Vokalkompositionen erschließt“, beschreibt Konrad das Ziel des jetzt bewilligten Forschungsprojekts. Auf einer Open-Access-Plattform, die den Arbeitstitel „Robert Schumann-digital“ trägt, sollen seine publizistischen Arbeiten, die poetischen Werke inklusive der Libretti und der „Kritischen Berichte“ samt deren Entstehungsgeschichte der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Rein analog sollen Schumanns Kompositionen in klassischen Notenbänden erscheinen – weil Musiker heutzutage immer noch aus gedruckten Musikalien spielen, wie Konrad sagt.

Zum einen also die Edition eines streng begrenzten Korpus an musikalischen Werken; zum zweiten eine Edition der damit verbundenen dichterischen Texte und zum dritten die Edition der ästhetischen Reflexionen Robert Schumanns – und alle drei wechselseitig aufeinander bezogen: Mit diesem Ansatz soll das Forschungsprojekt erstmals einen einzigartigen und vernetzten Zugang ermöglichen zu einem Werkausschnitt Schumanns, welcher der lange überfälligen Neubewertung harrt.

Start am 1. April 2023

Ein „großes Programm“ also, wie Ulrich Konrad sagt. Der Start ist für den 1. April 2023 geplant. Bis dahin gilt es, vier Stellen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und eine Promotionsstelle zu besetzen. Verstärkung erhält dieses Team durch einen Pool von Hilfskräften sowie – phasenweise – durch Fachkräfte aus dem Bereich der Informatik, die sich um den Aufbau von Datenbanken sowie die Webpräsentation kümmern sollen.

Eine Laufzeit von 24 Jahren: Da ist abzusehen, dass Ulrich Konrad das Projekt nicht bis zu seinem Abschluss leiten wird. Schließlich wird er am 30. September 2023 an der Universität Würzburg offiziell in den Ruhestand verabschiedet. „Ich werde dann allerdings als Seniorprofessor noch ein paar Jahre weiter forschen“, sagt er. Und bei Akademieprojekten sei es möglich, dass deren Leitungen bis zum 70. Lebensjahr die Projekte begleiten. „Damit kann ich zumindest die erste Phase durchgängig betreuen, ehe ich das Vorhaben in jüngere Hände lege“, so der Musikwissenschaftler.

Ein Forscherleben mit Schumann

Erfahrung auf diesem Gebiet bringt Konrad mehr als genug mit, seit 2012 leitet er ein ähnlich umfangreiches Projekt: die historisch-kritische Gesamtausgabe von Richard Wagners Schriften, für die etwa 4.100 Seiten nach editionswissenschaftlichen Standards bearbeitet und publiziert werden. Darüber hinaus war er bis vor einem Jahr verantwortlich für eine Gesamtausgabe von Robert Schumanns instrumentalem Werk – sprich: sämtlichen Symphonien, Klavierwerken und seiner Kammermusik.

Man könnte fast sagen, dass sich mit dem neuen Projekt für Ulrich Konrad ein Kreis schließt. Immerhin hat er bereits 1987 eine umfangreiche Studie zum Verhältnis von Robert Schumann und Richard Wagner veröffentlicht. Tatsächlich, sagt er, haben auch diese Komponisten ihn sein ganzes Forscherleben begleitet.

Das Akademienprogramm

Das gemeinsame Forschungsprogramm der deutschen Wissenschaftsakademien ist das größte geisteswissenschaftliche Langzeitforschungsprogramm der Bundesrepublik Deutschland und wird von der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften koordiniert.

Das Programm fördert innovative Forschungsprojekte von überregionaler und gesamtstaatlicher Bedeutung und hoher (inter-)disziplinärer Relevanz. Die Projektvorhaben müssen auf eine Laufzeit von 12 bis 25 Jahren angelegt sein und sich in einem mehrstufigen Wettbewerbsverfahren mit ihrer exzellenten wissenschaftlichen Qualität durchsetzen.

Kontakt

Prof. Dr. Ulrich Konrad, Lehrstuhl für Musikwissenschaft I, T: +49 931 31-82828, ulrich.konrad@uni-wuerzburg.de

Von Gunnar Bartsch

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