Schlechte Noten für kluge Köpfe
28.09.2021Ein Team der Uni Würzburg hat mögliche Ursachen für schwache Schulleistungen trotz hoher Intelligenz bei Schülerinnen und Schülern gefunden. Mit einem Training wollen sie diesen schlechten Schulleistungen jetzt vorbeugen.
Ein hochbegabtes Kind wird nicht zwangsläufig Professor oder Nobelpreisträgerin. Einige schaffen es nicht einmal an die Universität. „Underachievement“ nennen Expertinnen und Experten dieses Phänomen. „Ca. zehn bis zwölf Prozent aller hochbegabten Kinder sind betroffen“, erklärt die Würzburger Psychologin Dr. Catharina Tibken. Die im Verhältnis zur Intelligenz niedrigen Schulleistungen können darauf zurückzuführen sein, dass die Kinder nicht wissen, wie man lernt. Darauf weisen die Ergebnisse einer Studie von einem Team um Tibken und Professor Tobias Richter, Inhaber des Lehrstuhls für Psychologie IV an der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg, hin.
Viele Eltern, die sich an die Begabungspsychologische Beratungsstelle der JMU wenden, fragen sich, ob die niedrigen Leistungen ihrer Kinder ein Hinweis auf Underachievement sein könnten. „Ihnen fällt beispielsweise auf, dass sich das Kind zuhause anders verhält als in der Schule“, erläutert Catharina Tibken. Zu Hause ist das Kind neugierig und fragt viel. Erklärungen folgt es mühelos. In der Schule erhält es trotzdem schlechte Noten. Darunter leiden laut Tibken nicht nur die Betroffenen selbst: „Wird das intellektuelle Potenzial nicht ausgeschöpft, ist das oft sehr belastend für die Kinder. Aber auch für die Gesellschaft ist es ein Verlust, wenn Schülerinnen und Schüler unter ihren Möglichkeiten bleiben.“
Ursachen von Underachievement
Die Kardinalfrage lautet, was die Ursache für die Minderleistung trotz Hochbegabung sein könnte. Dies untersuchte das Forschungsteam in einer einjährigen Längsschnittstudie, die im Frühjahr 2019 begann. Fast 350 Sechst- bis Achtklässler aus Süddeutschland waren einbezogen. Wie sich herausstellte, verfügten die hochbegabten Underachiever unter ihnen über keine guten Lernstrategien und wussten vor allem nicht, wie man Lernstrategien bei der Bearbeitung einer konkreten Aufgabe am effektivsten einsetzt. Es fehlte ihnen auch teilweise an Motivation, bekannte Lernstrategien einzusetzen, wenn dies mühevoll und mit Anstrengung verbunden war.
Warum die Kinder und Jugendlichen das Lernen bis zum Gymnasium noch nicht gelernt haben, kann laut Catharina Tibken daran liegen, dass ihnen in der Grundschule alles zuflog. Sie mussten sich selten anstrengen und verstanden Lernmaterial oft mühelos. Am Gymnasium wird dies plötzlich anders. Eine besonders wichtige Rolle für den Lernerfolg am Gymnasium spielt das Lernen aus Sachtexten. Die Underachiever in der Studie der JMU waren im selbstständigen Erschließen von Sachtexten nicht sehr geübt.
Keine Überwachung des Lernfortschritts
Ihre Mitschülerinnen und Mitschüler, die sich in früheren Schuljahren Lesestrategien angeeignet hatten, gingen zum Beispiel planvoller an Texte heran, überwachten ihren Leseprozess stärker und ergriffen, wenn nötig, Maßnahmen, um das Textverständnis zu verbessern. Maßnahmen bei Verständnisschwierigkeiten könnten zum Beispiel sein, dass man schwierige Stellen noch einmal liest oder nach weiteren Informationen sucht. Hochbegabte Underachiever taten dies vergleichsweise seltener, erläutert Tibken. Die Underachiever hatten größere Schwierigkeiten einzuschätzen, ob sie einen Text verstanden hatten.
Training für Underachiever
Hochbegabte Underachiever könnten also ihr Potenzial steigern, wenn sie „zu lernen lernen“. Laut Tobias Richter wollen die Würzburger Forscherinnen und Forscher deshalb im nächsten Schritt ein Trainingsprogramm entwickeln, bei dem Lernstrategien und ihre Anwendung im Unterricht und beim Lernen für die Schule vermittelt und eingeübt werden sollen. Von diesem Training könnte die ganze Klasse profitieren, nicht nur Underachiever, da für ein erfolgreiches Lernen am Gymnasium Lernstrategien und die Überwachung des Lernfortschritts insgesamt wichtig sind. Es geht nicht nur Hochbegabten so, dass sie unter ihrem Niveau bleiben. Auch normal begabte Schülerinnen und Schüler schreiben zum Teil Noten, die nicht ihren Fähigkeiten entsprechen. Auch ihnen könnte das Training nützen.
Die Forscherinnen und Forscher planen dazu eine Anschlussstudie, in deren Rahmen das Training entwickelt und seine Wirksamkeit überprüft werden soll. Die soeben abgeschlossene Studie wurde von der Karg-Stiftung finanziert. Die Forschungsarbeit erschien in der renommierten psychologischen Fachzeitschrift Child Development.
Publikation
Tibken, C., Richter, T., von der Linden, N., Schmiedeler, S. & Schneider, W. (2021). The role of metacognitive competences in the development of school achievement among gifted adolescents. Child Development. Advance online publication. https://doi.org/10.1111/cdev.13640 (open access)
Kontakt
Dr. Catharina Tibken, Lehrstuhl für Psychologie IV, T. +49 931 – 31 80438, catharina.tibken@uni-wuerzburg.de
Prof. Dr. Tobias Richter, Lehrstuhlinhaber Psychologie IV, T. +49 – 31 83755, tobias.richter@uni-wuerzburg.de