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Schneller zum neuen Medikament

30.05.2023

Ein Forschungsteam aus Rostock, Aachen und Würzburg hat ein neues Verfahren entwickelt, das die Zersetzungsprozesse von Arzneimitteln in nur 15 Minuten simuliert. Dies könnte die Zulassung deutlich beschleunigen.

Praktisch alle Arzneimittel enthalten Hilfs- und Trägerstoffe, die mit dem Wirkstoff in Wechselwirkung treten können. Im Foto zu sehen sind farbliche Veränderung nach der forcierten Zersetzung der untersuchten Arzneistoffe durch das Mahlen mit hoher Geschwindigkeit.
Praktisch alle Arzneimittel enthalten Hilfs- und Trägerstoffe, die mit dem Wirkstoff in Wechselwirkung treten können. Im Foto zu sehen sind farbliche Veränderung nach der forcierten Zersetzung der untersuchten Arzneistoffe durch das Mahlen mit hoher Geschwindigkeit. (Bild: LIKAT / Nordlicht)

Arzneimittel müssen vor ihrer Zulassung nicht nur auf ihre Wirksamkeit und Unbedenklichkeit geprüft werden, sondern auch auf ihre Stabilität, da sie zumeist über Jahre in Apotheken und privaten Haushalten der Patienten lagern und sich dabei nicht verändern dürfen. Um ihre Stabilität zu prüfen, braucht es ein Verfahren, welches das Medikament „im Zeitraffer“ zersetzt.

Ein solches Verfahren wurde jüngst von einem Team aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vom Leibniz-Institut für Katalyse in Rostock (LIKAT), der RWTH Aachen University und der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, begleitet durch die Firma RD&C (Wien, Österreich), entwickelt. Die Forschungsergebnisse wurden nun hochranging in der Zeitschrift ACS Central Science veröffentlicht.

Zusatzstoffe treten mit dem Wirkstoff in Wechselwirkung

Zum Hintergrund: Praktisch alle Arzneimittel sind Mehrkomponenten- oder Mehrphasensysteme, die in eine Matrix eingebettet sind, also zum Beispiel Hilfs- und Trägerstoffe enthalten. Diese Zusatzstoffe können mit der Zeit, etwa bei längerer Lagerung der Arzneimittel, mit dem Wirkstoff in Wechselwirkung treten und die Wirkung des Arzneimittels beeinträchtigen. Die pharmazeutische Industrie muss vor der Zulassung eines neuen Arzneimittels sämtliche Daten zur Stabilität offenlegen, weshalb ein erhebliches Interesse an der Entwicklung zuverlässiger Vorhersageinstrumente zur Einschätzung der Sicherheit von Arzneimitteln besteht.

Aktuell sind solche Prognoseinstrumente für Festkörpereigenschaften, insbesondere im Hinblick auf Festkörperstabilität und -abbau jedoch nur begrenzt verfügbar. Außerdem sind die Geschwindigkeit und die Zersetzungsprodukte von Festkörperabbauprozessen für jede Verbindung einzigartig, was die Entwicklung von Stabilitätsmodellen sehr zeit- und kostenaufwendig macht. Es gibt Vorhersagemethoden in wässriger Umgebung, die allerdings zu hohen Fehlerquoten führen. Da unter diesen Bedingungen oft nicht relevante Abbauprodukte gebildet werden, bedeuten diese Vorhersagemethoden für den Hersteller neuer Arzneimittel und für den Kunden ein hohes finanzielles und gesundheitliches Entwicklungsrisiko.

Schnelle Ergebnisse dank der Schwingmühle

Auf der Grundlage von Proof-of-Concept-Studien, die von RD&C und dem Team erfolgreich durchgeführt wurden, konnte nun eine bisher einzigartige und innovative experimentelle Methode zur Vorhersage von Stabilitätsprofilen und Abbaupfaden in festen Verbindungen, Mischungen und Matrices entwickelt werden. In der Literatur wird der Ansatz als „Mechanochemie“ bezeichnet. Dabei wird der isolierte Wirkstoff oder das auf dem Markt erhältliche pharmazeutische Produkt in einer Schwingmühle in Gegenwart eines die Zersetzung induzierenden Reagenz behandelt. Innerhalb von weniger als 15 Minuten können Abbauprozesse beobachtet werden.

Everaldo Krake (LIKAT Rostock), Erstautor der Studie und frisch promovierter Nachwuchswissenschaftler, führt aus: „Wir konnten dies an einer Reihe strukturell ähnlicher sogenannter Thienopyridine, das sind die Arzneistoffe in den Thrombozytenaggregationshemmer-Tabletten, zeigen. Entscheidend für den Erfolg war die Zusammenarbeit mit der Gruppe um Carsten Bolm (RWTH Aachen), einem weltweit führenden Experten auf dem Gebiet der Mechanochemie, und dem Team von Ulrike Holzgrabe (Universität Würzburg), einer renommierten pharmazeutischen Chemikerin“.

Ein Paradigmenwechsel in der organischen Chemie

Dabei zeigte sich, dass die Abbauprofile sowohl für den reinen Arzneistoff als auch das fertige pharmazeutische Produkt identisch sind. Das bedeutet, dass reproduzierbare und relevante Aussagen für diese Klasse von Arzneimitteln bereits in kurzen Reaktionszeiten allein mit dem Wirkstoff erstellt werden können. Für eine beschleunigte Zulassung von Arzneimitteln wäre dies von großer Bedeutung.

Dieser neue Ansatz stellt nach dem Urteil der Autorinnen und Autoren einen Paradigmenwechsel in der Anwendung mechanochemischer Prozesse in der organischen Chemie dar. „Im Allgemeinen werden mechanochemische Studien zur Umwandlung kleiner organischer Moleküle, insbesondere von Arzneimitteln, mit dem Ziel durchgeführt, bestimmte strukturelle Motive herzustellen. Die neue nun erschienene Arbeit unterstreicht das Potential dieses Ansatzes, auch gezielt spezifische strukturelle Motive abzubauen“, so Carsten Bolm.

Dies könnte nicht nur für die Arzneimittelprüfung, sondern auch für die organische Synthese im Allgemeinen von Bedeutung sein. „Zukünftig wird es interessant sein, diesen mechanochemischen Ansatz auch auf andere Wirkstofffamilien zu übertragen und die Rolle anderer Stimuli wie Licht oder Temperatur für den erzwungenen Abbauprozess zu bewerten“, fasst Ulrike Holzgrabe zusammen.

Originalpublikation

E. F. Krake, L. Backer, B. Andres, W. Baumann, N. Handler, H. Buschmann, U. Holzgrabe, C. Bolm, T. Beweries, ACS Cent. Sci. 2023, DOI: 10.1021/acscentsci.3c00167.

Kontakt

Prof. Torsten Beweries, Leibniz-Institut für Katalyse e.V., torsten.beweries@catalysis.de

Prof. Carsten Bolm, RWTH Aachen University, Institut für Organische Chemie, carsten.Bolm@oc.rwth-aachen.de

Prof. Ulrike Holzgrabe: Universität Würzburg, Institut für Pharmazie und Lebensmittelchemie, ulrike.holzgrabe@uni-wuerzburg.de

Von Torsten Beweries / LIKAT

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