Schwielen an den Händen von Hammer und Meißel
01.08.2017Archäologen rekonstruieren antike Kulturen, indem sie Skulpturen auf Bearbeitungsspuren hin untersuchen. Stein ist aber nicht gleich Stein: In einem Workshop haben Studierende der klassischen Archäologie das an ihren eigenen Händen erfahren.
Freitagnachmittag: Aus einem Hinterhof in der Innenstadt hört man ein Klopfen. Regelmäßig ist es – und laut. Hämmer hauen auf Meißel und Meißel auf Stein. Zehn junge Frauen und Männer sind hochkonzentriert. Keiner von ihnen spricht ein Wort. Sie alle sind in ihre Arbeit vertieft.
Zwei Tage lang versuchen sich die Studierenden der klassischen Archäologie an der Bearbeitung eines Steinbrockens mit Werkzeugen, die sich seit der Antike nicht verändert haben: Hammer und Meißel.
Auf dem Hof vor dem Atelier von Holz- und Stein-Bildhauer Harald Scherer sieht es aus wie an einer Ausgrabungsstätte: Ein großer Pavillon schützt die Köpfe der Forscher vor Sonne und Regen. Überall staubt es. Bei jedem Schlag bröckeln kleine Steinsplitter ab, die unkontrolliert durch die Luft fliegen.
„Nicht zu viel Druck. Du musst das Eisen arbeiten lassen“, sagt Scherer und nimmt einer jungen Frau das Werkzeug aus der Hand. Aus jahrelanger Erfahrung weiß er, worauf es bei der Steinbearbeitung ankommt. Ganz locker hält er den Meißel zwischen den Fingern und schlägt mit dem Hammer darauf. „Siehst du, wie einfach sich der Stein abtragen lässt?“
Die junge Frau nickt und versucht, das eben Gelernte umzusetzen. Schmutzig ist ihr Gesicht, und ihre Hose ist ganz weiß vom Steinstaub. Das scheint sie aber nicht zu stören. Ihr Blick ist nur auf Sandstein gerichtet, den sie gerade bearbeitet.
Klassisches Arbeitswerkzeug: Spitzmeißel, Zahn- und Flacheisen
Mit jedem ihrer Schläge wird sie sicherer. Ihre anfängliche Zurückhaltung weicht, und jedes abgeschlagene Stück Stein gibt mehr von der Figur frei, die Josefine aus dem Stein klopfen will: Ein Kykladen-Idol soll es werden. Darüber hat sie in ihrem Studium der klassischen Archäologie bereits viel gelernt.
Bekannt sind die rund 50 Zentimeter großen Idole überwiegend in der Frontansicht: Ein flacher Kopf, aus dem oft nur eine scharfkantige Nase herausragt. „Eine Kyklade ist recht kantig. Deshalb dachte ich, diese Form wäre als Anfänger gut aus dem Stein zu meißeln.“ Die Tücken stecken aber oft im Detail: Des Öfteren hat Josefine um die Nase der Figur gebangt.
Mit Spitzmeißel, Zahn- und Flacheisen bearbeitet sie ihren unterfränkischen Sandstein. Alles Werkzeuge, die bereits in der Antike zur Steinbearbeitung verwendet wurden. „Die Bearbeitungsspuren an den Gegenständen im Museum lassen diese Vermutung zu“, sagt Dr. Florian Leitmeir. Er ist Dozent am Lehrstuhl für klassische Archäologie an der Universität Würzburg und Organisator des Workshops. Diese Spuren seien wichtige Anhaltspunkte, um nachzuvollziehen, wie damals gearbeitet wurde.
Warum er den Workshop anbieten wollte? „Kunsttheoretische Betrachtungen verstellen uns Archäologen oftmals den Blick auf die konkrete Handwerkstechnik.“ In den zwei Tagen können aus den Studierenden sicherlich keine perfekten Steinmetze werden, so Leitmeir. Er wolle ihnen mit dem Seminar einen Eindruck vom Arbeitsaufwand vermitteln, der hinter einer Skulptur oder Säule stecke und den Blick auf die Werkzeugspuren schärfen.
Passende Unterstützung
Mit Harald Scherer hat er genau den richtigen Stein-Experten gefunden. Der nennt sich selbst einen verunglückten Archäologen. „Während meiner Zeit an der Uni habe ich gemerkt, dass ich ein Macher bin“, sagt Scherer. Darum habe er das Studium damals hingeschmissen und eine Ausbildung gemacht. Damals hätte er sich in den Seminaren an der Universität einen stärkeren praktischen Bezug gewünscht. Allein aus diesem Grund ist es ihm ein besonderes Anliegen, diesen Workshop zu leiten.
Muskelkater in den Händen
Ganz bewusst haben die beiden Dozenten nicht festgelegt, was aus den Steinklötzen entstehen soll. Zu ihrer Verwunderung haben sich alle Teilnehmer für einen antiken Gegenstand entschieden. „Das Kykladen-Idol ist das Erste was mir eingefallen ist“, sagt Josefine und reibt sich die Hände. Sie hat Muskelkater. Harald Scherer erklärt, dass das am Anfang ganz normal sei. „Du arbeitest noch viel zu verkrampft.“ Irgendwann wandert der Meißel praktisch von alleine über den Stein. „Es ist unglaublich, was die Künstler damals hinbekommen haben“, so Josefine.
Nach einer kurzen Pause macht sie weiter. Schicht um Schicht trägt sie den Sandstein ab. Aber bloß nicht zu viel. Bei einem ihrer Kommilitonen ist nämlich schon der Kopf seiner Skulptur abgefallen. „So genau weiß ich auch nicht, wie das passiert ist“, sagt Jonas Zweifel und hält lachend eine Steinkugel in den Händen. Er habe eigentlich ganz woanders gemeißelt. „Aber vielleicht einfach zu fest.“
Schwierigkeit mit dem „R“
Neben den Einzelarbeiten haben sich Leitmeir und Scherer auch ein Gemeinschaftsprojekt überlegt: Auf einer großen Steintafel sollen die Studierenden einen Schriftzug einmeißeln. „Jeder einen Buchstaben“, so Scherer. Am Ende wird das Wort „Archäologie“ zu lesen sein, in der berühmten römischen Monumentalis Capitalis, die bis heute zum Grundwissen eines jeden Schriftdesigners zählt. Während die Dozenten noch diskutieren, wie sie das „AE“ nun schreiben sollen, üben die Studierende bereits die Buchstaben.
Mit Feder und Tusche malen sie diese vor und übertragen sie mit einem Pauspapier auf den Stein. „Man muss den Meißel dann so ansetzen, dass eine saubere Mittelkante entsteht“, sagt Eva Ruchti. Bei den Rundungen des „R“ sei das aber nicht so einfach. Man müsse erstmal ein Gefühl für das Material und das Werkzeug bekommen, erzählt sie.
Ob die Teilnehmer mit ihren Skulpturen fertig geworden sind? Vermutlich nicht. „Darum geht es aber auch nicht“, so Leitmeir. „Ich bin mir sicher, dass die Studierenden nicht nur ein Gespür für das Material „Stein“ und den Aufwand der Bearbeitung gewonnen haben. Sie werden von nun eine Skulptur in ihrer Gesamtheit sowie die Werkzeugspuren auf der antiken Oberfläche mit einem geschärften Blick betrachten. Das war das Ziel der Veranstaltung.“